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MARVEL-BROKER/020: Spider-Man 2


Brian K. Vaughan, J. Michael Straczynski, Staz Johnson, John Romita Jr.


Spider-Man 2



Das tapfere Schneiderlein

Nachdem der geneigte Leser in der vorigen Ausgabe Tante May bei ihrem "packenden" Samstagnachmittags-Einkaufsbummel begleiten durfte, geht es in "Spider-Man 2" der Spinne zwar nicht direkt an die Wäsche, doch spielen Kleidungsstücke in der ersten Story eine außerordentliche Rolle. Im Themenkomplex "Intermezzo", in dem kleine unbedeutende Begebenheiten des Alltags am Rande der großen Heldenabenteuer des Netzschwingers näher beleuchtet werden, kann der Fan einen aufschlußreichen Blick hinter die Kulissen werfen und das größte Geheimnis im Marvel Universum über die Superhelden und auch der Superschurken erfahren: Wo haben sie bloß ihre schicken Kostüme her? Von Leo Zelinsky natürlich. Leo, wer?

Leo Zelinsky, seines Zeichens Schneider, war in der ersten Story einst mit seinem inzwischen verstorbenen Sohn aus Polen in die Vereinigten Staaten von Amerika eingewandert und bildete wie viele andere hart arbeitende Menschen, die ihre Wurzeln im "alten" Europa haben, das Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft. Er ist unscheinbar, lebt bescheiden und allein mit seinem Enkel in einer Mietswohnung und hat ansonsten keine Freunde, da er ganz in seiner Arbeit aufgeht. Als anständiger Bürger hat er seine ehernen Geschäftsprinzipien und garantiert seinen Kunden Verschwiegenheit. So kann er sowohl den Helden als auch den Schurken ihre Kostüme reparieren oder gar neu entwerfen und schneidern.

So weit, so gut. Doch plötzlich wird seine Berufsethik auf eine harte Probe gestellt, und er befindet sich in der Not, Zivilcourage zeigen zu müssen, denn Enkel Michael erinnert ihn daran, daß man sich bei Unrecht nicht heraushalten darf und bei einem zukünftigen Auftragsmord, von dem man erfahren hat, schon gar nicht. Was also tun? Berufsethik hin, Zivilcourage her. Es bedarf eines Superhelden, der seinen Job macht, d.h. die Missetat verhindert. Also wirft das tapfere Schneiderlein den Faden mit dem Köder aus und angelt sich die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft, die dann "ganz zufällig" die Schandtat verhindern soll. Der Plan ist gut, denn siehe da, die Spinne beißt an und übernimmt bereitwillig den ihr zugedachten Part, doch dann gerät die Planung aus dem Ruder, aber lest selbst ...

Die erste Geschichte "Wie wär's mit Hosen dazu" gehört, wie der Titel schon verspricht, zur Kategorie der seichten Erzählung, die leise vor sich hinplätschert, ohne Höhen und Tiefen, bestenfalls durch eine sanfte Prise Humor versehen. Also ganz nett, denn die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft kann sich ja nicht nur um die Rettung der Welt kümmern, sondern muß auch hin und wieder für die kleinen Dinge des Lebens da sein.

Selbstredend, damit kann man leben, wäre da nicht dieses unsäglich abgedroschene Klischee: Bei Unrecht muß der brave Bürger aufstehen, um durch ein beherztes Eintreten seinen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Gemeinplätze begegnen dem Leser gerade in den Comics besonders oft, da hier der Platz für eine "tiefgreifende" Auseinandersetzung fehlt - dabei hat Marvel durchaus des öfteren gezeigt, daß es auch anders geht -, doch manchmal ist es einfach zuviel des Guten. Und so endet auch die erste Geschichte mit einem klassischen Klischee, das selbst Enkel Michael dann zurecht als "schmalzig" empfindet, als die Spinne am Ende folgendes sinniert: Nicht die Kleider machen einen Helden aus, sondern sein Herz.

Den Übergang zur zweiten Story bildet zum einen das überaus gelungene Titelbild der amerikanischen Originalausgabe "Amazing Spider-Man 502" der obigen Erzählung, das in der Tat die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft zeigt, zum anderen das Interview mit dem italienischen Künstler Gabriele Dell'Otto. Er ist zur Zeit einer der wichtigsten neuen Zeichner der Comic- Branche und hat sich durch seine Arbeit für Marvels "Secret War" inzwischen einen Namen gemacht, an dem man nicht mehr ohne weiteres vorbeikommt.

Die Hauptrollen der zweiten Erzählung "Negativ-Entwicklung 2" belegen die Akteure Spider-Man und der herrlich durchtriebene Doktor Octopus; in der Nebenrolle - wie immer! - Jeffrey Haight. Doc Ock schmiedet mal wieder finstere Pläne, um aus dem Gefängnis Rykers Island zu entfliehen. Bei einem seiner Überfälle wurde er auf den zweitklassigen Fotografen Jeffrey Haight aufmerksam, der für das Revolverblatt "Daily Bugle" arbeitet und Peter Parker dessen Erfolg bei der Arbeit neidet. Denn Parker kommt mit seinen Bildern von Spider-Man immer wieder auf die Titelseite der Zeitung, während es Haight, der sich für einen Künstler hält, mit seinen Fotos trotz größter Mühe gerade mal auf Seite 11 gebracht hat. Natürlich ahnt Haight nicht im entferntesten, daß sein "Intimfeind" der Wandkrabbler höchstpersönlich ist, der selbstverständlich immer am dichtesten am Geschehen der Spinne dran ist und deshalb die besten Bilder schießen kann. Der Neid scheint ihn zu zerfressen, und der clevere Doktor Octopus wittert zurecht seine Chance, auf der Klaviatur der Gefühle des sich selbstüberschätzenden Fotografen zu spielen, ihn zu manipulieren, bis er nach Meinung von Doc Ock als ein Katalysator eine "Explosion" verursacht.

Es ist eine Freude, am Ende des Heftes den alten Bekannten Doktor Octopus zu erleben, wie er, genauso selbstverliebt wie sein mutmaßliches Opfer, sich ziemlich sicher wähnt, daß die vermeintlich clever ausgeheckten "Berechnungen" ihm die gewünschte Freiheit bringen. Auch daß der Geier, der mal wieder an seinem Vorhaben scheitert, mit in die Handlung als Nebenakteur einbezogen wird, ist ein kleines Leckerli, das man genüßlich genießen sollte.

Bleibt zu hoffen, daß der tentakelbewehrte Finsterling dem geneigten Leser auch im nächsten Heft genügend Dunkelheit in die zuckersüße Klischee-Landschaft von "Intermezzo 3" bringen wird.

Euer Marvel-Broker


Spider-Man 2
Autoren: Brian K. Vaughan, J. Michael Straczynski
Bilder: Staz Johnson, John Romita Jr.
Panini, Stuttgart, Juni 2005
48 Seiten, farbig, Softcover-Album, Heftformat, 3,65 Euro