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ANTIQUARIAT/033: "Herr Hummel" von Alex Macartney


Alex Macartney


Herr Hummel



Heute wollen wir Ihnen zur Abwechslung einmal einen Comic aus der Schweiz vorstellen:

Ein unscheinbarer Mann mittleren Alters, der, ein Gürteltier an der Leine, mit skeptischem Blick vor grellbunten, lüsternen Reklamewänden dahintrottet, blickt dem Leser auf dem Cover entgegen - Herr Hummel, dessen "abenteuerliches Leben" ein 96seitiger Band aus dem schweizer Zytglogge Verlag schildert. Herr Hummel ist, wir ahnen es schon, ein absoluter Durchschnittsmensch. Mit Nickelbrille, schlecht sitzendem grauen Anzug, geschmackloser Kravatte und einem albernen, viel zu kleinen Hut auf dem sorgfältig gescheitelten Kopf repräsentiert er den Urtyp des "Niemand".

Sein Leben spielt sich zwischen den geblümten Wänden seiner Mietwohnung und seinem Arbeitsplatz ab, allenfalls unterbrochen durch kurze Abstecher zum Kiosk, wo er sich mit seiner Lieblingslektüre, Groschenromanen und dem Regenbogenblatt "Adelsülze" versorgt, zur Waschküche und in den Supermarkt. Hummels kleiner Freundes- und Kollegenkreis hat einen ähnlichen Habitus. Er besteht aus seiner Nachbarin Frau Riedlisbacher, die Herrn Hummel stets ungefragt und ausführlich in Fragen des Haushalts berät, einer namenlosen Arbeitskollegin Marke "Bürodrache" (die z.B. ihren Radiergummi annagelt, weil Herr Hummel ihn immer nimmt, ohne zu fragen), und seinem besten Freund Fred. Fred, ebenfalls Junggeselle und Brillenträger, paßt zu Herrn Hummel wie ein Filzpantoffel zum anderen.

Eine weitere Bezugsperson ist Hummels regelmäßig anrufende Mutter. Sie tritt zwar nie selbst leibhaftig in Erscheinung, verehrt ihrem Sohn jedoch zu Weihnachten ein Gürteltier, welches Hummel künftig in einem Hamsterkäfig hält. Zu seinem Haustier hat Hummel direkt ein herzliches Verhältnis und sorgt sich sehr um sein Wohlergehen. Da es in seinem engen Käfig nicht genügend Auslauf hat, schafft er eigens ein Laufband für das Tier an, führt es jedoch auch regelmäßig an der Leine spazieren, was allerlei Aufsehen erregt.

Eines Tages tritt eine weitere Person in diesen illustren Kreis ein. Herr Hummel bekommt einen neuen Nachbarn, Herrn Poltermann. Obwohl Poltermann, Supermacho und Bodybuilder, das genaue Gegenteil von Herrn Hummel ist, können die beiden sich erstaunlicherweise binnen kurzem recht gut leiden. Mit einer in der Waschküche liegengebliebenen Socke, die Herr Hummel - damals noch angstschlotternd - seinem Nachbarn überreichte, wird die Freundschaft besiegelt: "Ab heute sind Ihre Feinde auch meine Feinde! Wenn ich jemand töten soll, so brauchen Sie's nur zu sagen!!" Für manche Zeitgenossen ist Hummel jedoch eine echte Unperson. Etwa für die jungen Nachbarn, bei denen sich folgende Szene abspielt: "Colette, wo hast du denn meine hellblauen Unterhosen hingetan?" - "Fortgeworfen." - Fortgeworfen?! Aber die waren doch noch ganz neu!" - "Ich habe in der Waschküche gesehen, daß dieser Hummel aus dem zweiten Stock dieselben trägt ..."

Das Weltbild des biederen Herrn Hummel kann durch nichts und niemand erschüttert werden. Etwa wenn er auf einer öffentlichen Toilette angesprochen wird: "Verzeihung, könnten Sie mir wohl diesen Franken in zwei Fünfzig-Rappen-Stücke wechseln? Ich muß d-r-i-n-g-e-n-d auf die Toilette!" - "Kommt nicht in Frage! Sie kaufen sich mit dem Geld ja doch nur Drogen, kaum habe ich Ihnen den Rücken zugekehrt!" antwortet er und setzt in Gedanken hinzu: "Mit was für Tricks diese Süchtigen heutzutage arbeiten."

Seinen ersten (und wahrscheinlich auch einzigen) Tagtraum hat Herr Hummel in der Straßenbahn: "Ich könnte heute einfach sitzenbleiben und am Geschäft vorbeifahren ... Am Hauptbahnhof nehme ich dann einen Zug zum Flughafen ... Ich kaufe mir ein Flugticket und weg bin ich!" sinniert er während der Fahrt. Wie sehr Tag und Traum auseinandergehen, zeigt in aller Deutlichkeit das dritte Bild: Hummel betritt das Büro, wo ihn seine grantige Arbeitskollegin (die, die immer den Radiergummi annagelt) voller Häme mit den Worten "Zwei Minuten Blockzeitverletzung!" begrüßt.


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Herr Hummel, der Antiheld wie er im Buche steht, hatte seinen ersten Auftritt am 6.2.1992 im "Tagblatt der Stadt Zürich", wo er sich rasch zunehmender Beliebtheit erfreute. Von Anfang an nahmen die Leser regen Anteil an seinem Leben, unter anderem wurde vorgeschlagen, sein Zeichner Alex Macartney solle den Junggesellen doch endlich in den Hafen der Ehe führen. Dieser antwortete darauf mit einem Strip, um zu demonstrieren, warum sein Protagonist auf ewig unverheiratet bleiben wird. Er zeigt Hummel, der im strömenden Regen steht, im Gegensatz zu der neben ihm stehenden Frau hat er einen Schirm. Hummel sinniert: "Tja, ich habe nie eine Frau kennengelernt. Mir ist einfach nie etwas Gescheites eingefallen, das ich zu einer Frau hätte sagen können ..."

Auf die Frage, warum er ein derart uninteressantes Wesen zur Hauptfigur eines Comic Strips gemacht habe, antwortete Alex Macartney: "Weil mich das Unspektakuläre interessiert, das banale Grauen in den zwischenmenschlichen Beziehungen." Wie ihm sicher auch, wächst einem Herr Hummel schnell ans Herz - gerade wegen all seiner Unzulänglichkeiten.

8. Januar 2007

Herr Hummel
von Alex Macartney
Zytglogge Verlag (Schweiz), Oktober 1998
96 S., Softcover, s/w., DIN A5 quer
ISBN 3-7296-0518-6