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FESTIVAL/106: San Diego Hollywood Con - Ein anderes Gesicht der Mega-Show (SWH)


Szene WHatcher
Das Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für triviales Entertainment seit 1995
No. 269 vom 11. August 2008

San Diego Hollywood Con

Ein anderes Gesicht der Mega-Show


Die Spatzen pfeifen es schon lange von den Dächern: Der San Diego Comic Con wird mehr und mehr zum Werbeballon Hollywoods. So mancher wird ob dieser Entwicklung mit den Schultern zucken und ein "na und?" murmeln, warum sollte es anders sein, vielleicht ist der Comic nicht mehr en vogue aber die Comic-Verfilmung im Hype? Sicher ist das der Gang der Dinge, einer kommt und der andere geht. Der Trend bringt die Kohle und nicht die Stagnation.

Kann ja alles sein, aber viele US-amerikanische Comic-Händler sehen diese Entwicklung nicht so leidenschaftslos und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie während des Schreibens ihrer bitterbösen Newsletter in die Tastatur weinen.

Comic-Händler fühlen sich in San Diego inwischen wie "Bettler am eigenen Tisch" und immer wieder werden die alten Zeiten beschworen, als der Con noch um die 1.000 Besucher anlockte, sich die Veranstalter gern im Lichte der Comic-Stars sonnten und alle an einem Strick zogen. Am Lagerfeuer wird die Geschichte von dem Con-Direktor erzählt, der die Einnahmen mit nach Hause nahm, sie unter's Bett legte und nach einer tollen Party feststellte, dass das Geld verschwunden war. Damals bat man die Comic-Händler unbescheiden um Spenden, damit der nächste Con stattfinden konnte. Und jetzt soll der Comic verdrängt werden, von den suits aus Hollywood, die sich noch nie die Hände schmutzig gemacht haben und stattdessen "opm" (other peoples money) verpulvern?

Dass die Schlangen der Lieferwagen vor den Laderampen immer länger wurden, nahm man noch murrend hin, es dauerte eben alles länger, aber man konnte schon neidvoll beobachten, dass die Film-Elite es sich leisten konnte, im Café zu sitzen und Arbeitstrupps für sich schuften zu lassen. Die Veranstalter boten den einfachen "riff-raff" Comic-Händlern an, ihre LKWs in einen sogenannten marshalling yard zu fahren und die Ware dann von Trupps in die Halle bringen zu lassen, natürlich damit die Rampen für die suits aus Hollywood frei blieben. Bud Plant hatte vor zwei Jahren von diesem Angebot Gebrauch gemacht, am Ende der Aufbauphase allerdings vor leeren Regalen gestanden, weil seine Ware noch unterwegs war.

Als die Comic-Händler jetzt zum Abladen in einem marshalling yard nahe des Airports, einem Areal auf dem auch Autowracks unter freiem Himmel auf rauhem Acker schlummern, gezwungen werden sollten, war das Mass voll und die Nerven der geschundenen Händler lagen blank. Aufschreie u. a. in Newslettern bewegten die Veranstalter den gehasste marshalling yard auf einen in der Nähe des Congress Centrums gelegenen Parkplatzes nahe der Yachtanlegeplätze zu verlegen. "Warum nicht gleich so", mochten sich die Händler gedacht haben.

Die Verkehrslage im verträumten San Diego während des Cons wird als absolut katastrophal bezeichnet. Mit "Zu viele Menschen auf zu kleinem Raum" wird die Lage beschrieben. Die Strassen sind hilflos verstopft und der öffentliche Nahververkehr ist eher niedlich als nützlich. Wer am Samstagmorgen aus Los Angeles über die Interstate-5 anreist, braucht für die 120 Meilen auch schon mal um die sechs Stunden (normal: bei starkem Verkehr 3,5 Std). Ein Zimmer in einem Mittelkasse-Hotel kostet statt der regulären 84 pünktlich zum Con 299 Dollar und in der Gastronomie blockieren die suits tagelang ganze Restaurants.

Was vor ein paar Jahren noch ein Geheimtipp war, ist nunmehr zu einem Event für fast jedermann geworden: Der Abend des Con-Mittwochs. Einst konnten hier Dauerkartenbesitzer ab 18h (-21h) schon mal early bird sein und in den Comic-Kisten wühlen, bis Hollywood irgendwann den Abend für sich entdeckte und ihn für seine Werbeaktionen auserkor. Der Ansturm auf freebees, sprich Plastik-Ramsch und mpeg-Filmchen, wird von Beobachtern als Massenhysterie beschrieben, die von "ansteigendem Gierverhalten" geprägt ist und von den Medien-Giganten munter geschürt wird.

Am Mittwochabend ist nirgendwo mehr ein Durchkommen, wenn sich um die 30.000 Besucher in die Halle drängen, nur an den Comic-Ständen ist ein gemütliches Schlendern möglich. Die Displays der Hollywood-Mogule werden derweilen von kreischenden Fanboys gestürmt, so dass inzwischen von einer Stampede gesprochen wird und man sich fragt, was passiert, wenn der erste Con-Teilnehmer in diesem panischen Gedränge zu Schaden kommt. Dabei hatten die Comic-Händler ursprünglich die Öffnung am Mittwochabend begrüsst, um eine Messlatte für den Con-Verlauf anlegen zu können, heute hält sich ihre Begeisterung in Grenzen, denn aus einem coolen Gag ist ein ungeliebtes Spektakel geworden - die Geister, die sie riefen.

Die Veranstalter sind offenbar nicht unglücklich über diese Entwicklung und haben die Konterfeis der Comic-Helden von den Bannern auf den Strassen bereits verbannt, jetzt lautet der Schlachtruf: Celebrating the popular Arts.

Vor Jahren schon machte der Wunsch die Runde, man möge doch eine Con-Polizei einführen, die für Ordnung sorgt und überforderten Besuchern zur Seite steht, da die Räumlichkeiten immer unübersichtlicher würden und die Gänge zu Stosszeiten unpassierbar seien. Da sich der Con 2008 in Sachen Publikumsandrang noch kritischer entwickelt hat, ist die Idee aktueller denn je.

Die unvermeidlichen Veränderungen nehmen ihren Lauf, denn waren vor 39 Jahren auf dem San Diego Con noch die SF-Fans in der Majorität, gefolgt von den Comic-Fans in den 80ern des vorigen Jahrhunderts, so haben jetzt die Film- und Spiele-Multis das Geschehen mit ihrem convenient entertainment an sich gerissen - Schrift und Sprache haben nur noch werbetechnische Bedeutung. Der "Teufelspakt" mit Hollywood Anfang der 90er hat die verhängnisvolle Wende gebracht.

Inzwischen ist der Comic nur noch mit knapp 100 Händlern vertreten und mehr und mehr, besonders Gold Age- und Silver Age-Händler, haben ihr Wegbleiben angekündigt, zumal auch immer mehr Comic-Sammler der Show den Rücken kehren. Für den Comic ist die Schlacht verloren und längst scheint New York das Ruder übernommen zu haben, auch wenn einige Vertreter des Con-Kommitees nach Ende der diesjährigen Veranstaltung Gesprächsbereitschaft gegenüber DC, Mile High und Bud Plant, als Vertreter der Comic-Händler, bekundet haben.

Was schert's die Besucher, denn es werden Jahr für Jahr mehr und der Erfolg gibt den Veranstaltern Recht, deshalb bedanken sie sich artig auf ihrer Homepage: Thanks to everyone! For making Comic-Con 2008 our best yet! Sigh ...


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Quelle:
Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für
triviales Entertainment seit 1995, No. 269 vom 11. August 2008
Herausgeber: Joachim Heinkow
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Tel.: 030-768 051 22, 0171-681 74 11
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Internet: http://www.szene-wHatcher.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2008