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NEUERSCHEINUNG/549: 06/07 · DMZ (1) "Abgestürzt" (SB)


Brian Wood, Riccardo Burchielli


DMZ (1)

"Abgestürzt"



Nicht nur in Filmen, Fernsehproduktionen und Videospielen, sondern auch in der Comic-Welt schreitet die Militarisierung der Gesellschaft mit riesenhaften Schritten voran. Ein Paradebeispiel dieses Phänomens stellt der DC/Vertigo-Comic "DMZ - Abgestürzt" von Brian Wood und Riccardo Burchielli, der gerade in Deutschland beim Panini Verlag erschienen ist, dar. Hier wird der Krieg als Überhöhung gängiger alternativer Aussteiger- und Null-Bock-Träumereien zelebriert - zwar blutig, brutal, aber auch unheimlich aufregend und irgendwie sexy. Möglicherweise will die "voll krass"-Generation auch nichts anderes.

Schauplatz der Handlung ist die Insel Manhattan, die in einer nicht allzu fernen Zukunft zur De-Militarisierten Zone - daher der Titel - zwischen den Fronten im "zweiten amerikanischen Bürgerkrieg" geworden ist. Aus dem Schmelztiegel und der Welthauptstadt New York City mit ihren unzähligen Kulturen und Subkulturen ist ein urbanes Schlachtfeld geworden, wie man es in den bereits existierenden Computermodellen des Pentagons besser nicht hätte zeichnen können. Vor bekannter Kulisse - u. a. Battery Park, Brooklyn Bridge, Central Park, Empire State Building, Lower East Side - spielen sich grausame Szenen ab, wie man sie in den letzten Jahren von Grosny, Bagdad, Beirut, Falludscha und dem Gazastreifen kennengelernt hat. Das Militär auf beiden Seiten - westlich des Hudson in New Jersey und dem Hinterland die Rebellen der sogenannten "Freien Staaten" und östlich des East Rivers in Brooklyn, Queens und Long Island die regulären Streitkräfte der "Vereinigten Staaten von Amerika" - ist hochgerüstet. Durch den Einsatz von "Daisy-Cutter"-Munition, B2-Tarnkappenbombern und U-Boot-gestützten Marschflugkörpern werden die "Shock-and-Awe"-Taktiken des Harlan Ullman eindrucksvoll in Szene gesetzt.

Held des Comics ist Matthew Roth, der als junger Praktikant einen bekannten Fernsehmoderator begleitet, der am dritten Tag eines provisorischen Waffenstillstandes als erster Journalist nach fünf Jahren Krieg exklusiv aus der bisher abgeschotteten DMZ berichten will. Da die Bewohner Manhattans unangemeldeten, bewaffneten Besuchern aus welchem Lager auch immer nicht wohlgesonnen sind, kommt es, wie es kommen muß. Bei einem Überfall wird bis auf Roth das gesamte Fernsehteam getötet. Wegen der praktischen Unmöglichkeit, aus der hermetisch abgeriegelten DMZ herauszukommen, ergreift der junge Berufsanfänger seine Chance und entschließt sich, mit der ihm in den Schoß gefallenen Ausrüstung selbst für eine regelmäßige Berichterstattung aus Manhattan zu sorgen. Was daraus folgt, ist eine düstere Mischung aus John Carpenters "Klapperschlange" und Oliver Stones "Salvador".

Die urbane Vorzeigemetropole des Big Apple hat sich in eine Höllenlandschaft verwandelt, in der sich die verbliebenen Menschen irgendwie durchzuschlagen versuchen. Bei der Erkundung der Inselstadt mit ihren strikt voneinenander getrennten Vierteln wird Roth von der vorlauten Punkerin Zee begleitet, die sich als Florence Nightingale mit Ecken und Kanten präsentiert. Durch Zee bekommt Roth - und damit der Leser - die Hauptleidtragenden der modernen Kriegsführung, durch Bombensplitter und Kugelhagel schrecklich verstümmelte Kinder, die in einer Privatwohnung notdürftig behandelt werden, zu sehen. Wood und Burchielli muß man zugute halten, daß die Bilder dieser Szene, die an echte Nachrichtenfotos aus Afghanistan, dem Irak und dem Libanon erinnern, an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen. Doch weil so etwas dem Comic-Konsumenten leicht den Spaß verderben könnte, gibt es gleich danach auf der Feuertreppe Zees Hinterteil in der Nahaufnahme zu sehen und anschließend den Besuch bei einem sonderbaren, vom Aussehen her an Tom Waits und Charles Bukowski angelehnten Scharfschützen, der sich trotz der unüberbrückbaren Ferne in eine Kollegin auf der anderen Seite des Hudson bei den Streitkräften der "Freien Staaten" verliebt haben will. Auf diese Weise dient die Scharfschützenromantik als eine Art letzten Restes althergebrachter Ritterlichkeit dazu, vom wahren Wesen des Krieges, der reine Vernichtung ist, abzulenken.

Nichtsdestotrotz klingen in DMZ nicht wenige kritische Zwischentöne an. Die "Vereinigten Staaten von Amerika", deren Dauerkriege in Übersee laut Umschlagtext zur Erhebung der Milizen im eigenen Land geführt haben, sind zweifelsohne hier das Böse. Ihre Armee besteht aus hochtrainierten, professionellen Soldaten, die, auch wenn sich der eine oder andere menschlich zu benehmen versucht, in erster Linie als uniformierte Kampfmaschinen agieren. Die langhaarigen Möchtegern-Patrioten von den "Freien Staaten", die wie eine Mischung aus Hippie und Überlebensexperten daherkommen, wirken wesentlich sympathischer und verhalten sich auch eigenständiger.

An zahlreichen Stellen erlebt Roth am eigenen Leib, daß dem, was einem in der täglichen Berichterstattung zum Thema Krieg vorgelegt wird, mit höchster Vorsicht, wenn nicht sogar mit grundsätzlicher Skepsis zu begegnen ist. Es wird deutlich gemacht, wie wenig man bei einer militärischen Auseinandersetzung den Medien - von den Militärs ganz zu schweigen - trauen kann. Gleichzeitig folgen auf die quasi obligatorische, bereits erwähnte Begegnung mit den kindlichen Kriegsopfern zahlreiche Szenen, die suggerieren, daß man auch in einer belagerten Stadt nicht nur gut über die Runden kommen, sondern auch ein aufregendes, ja, erfülltes Leben führen kann. Hierzu gehören der Besuch Matt Roths und Zees in einen alternativen Dachrestaurant, wo sie Feinkost aus eigenem Anbau genießen, wie auch die Entscheidung des angehenden Fotoreporters, statt in das langweilige New-England-Städtchen Southampton zurückzukehren, in der Stadt, die niemals schläft, zu bleiben.

Die Geschichte von DMZ ist, hat man den größeren Zusammenhang einmal begriffen, nicht besonders spannend, dafür werden jedoch die Abenteuer des Matt Roth mit Witz und Ironie erzählt. Viele der Figuren sind ein bißchen überzeichnet, gar schrullig - doch womöglich ist das Absicht, um das schwere Thema Krieg dem Leser erträglich zu machen. Äußerst gelungen dagegen sind diejenigen Bilder Woods und Burchiellis, auf denen der Militärmoloch mit seinen namenlosen, menschlichen Handlangern auf die bekannte Städtelandschaft New Yorks trifft und die Farbgebung fast nur auf schwarz, rot und weiß reduziert ist. Da kommt allmählich echtes Grauen auf ...

5. Juli 2007


DMZ (1) "Abgestürzt"
Brian Wood (Autor), Brian Wood & Riccardo Burchielli (Zeichner)
Panini/Vertigo, Stuttgart, Juni 2007
128 Seiten, SC mit Faltcover, Kleinformat, farbig, 14,95 Euro
ISBN 978-3-86607-417-0