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PORTRAIT/006: Riccardo Rinaldi - ein persönlicher Nachruf (SWH)


Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für triviales Entertainment seit 1995
No. 240 vom 9. April 2006

Riccardo Rinaldi - ein persönlicher Nachruf

von Carsten Laqua
(mit Dank an Sascha Rinaldi für dessen Mithilfe)


Am 11. März dieses Jahres starb mit Riccardo Rinaldi einer der Kreativen, denen der Kauka Verlag seine Erfolge zu verdanken hat.

Dem nur 61 Jahre alt gewordenen Rinaldi (geb. am 24.2.1945) war es letztlich nicht vergönnt, seinen Lebensabend zu geniessen. Noch am 25. Januar hatte er mir geschrieben, dass sein Bruder, an dem er sehr hing, vor einer Woche gestorben sei. Rinaldi: "Ich komme gerade zurück aus Italien. Moralisch, gesundheitlich, und - wenn ich nicht irgendwie wieder auf die Matte komme - auch finanziell, geht es mir miserabel. Ich kann einfach nicht an der Petra-Illu weiterarbeiten." Rinaldi zeichnete das Cover für den 65sten Galerie Laqua-Katalog dennoch zu Ende. Diese letzte Pichelsteiner-Petra ist wohl seine schönste geworden. Ein kurzes, mutiges Aufbäumen, dann ereilte ihn der Tod per Herzstillstand im Schlaf.

Kennen gelernt habe ich Riccardo Mitte der 80er Jahre auf dem Comic-Salon Erlangen, dessen Mitbegründer er war. Damals noch lebenslustig und voller Energie, war es ihm immer ein Anliegen, zu vermitteln, welche Möglichkeiten in der Ausdrucksform Comic stecken. Rinaldi schuf das Design für die noch heute in Erlangen vergebene Max & Moritz-Medaille. Zusammen mit Achim Schnurrer gab er u. a. die Bücher Kunst der Comics (1984) und Die Welt der Bilderfrauen (1986) heraus.

Angefangen hatte in Italien alles mit einer Fernsehsendung für Kinder namens Lo zecchino d'oro, in der Riccardo bereits als 10- Jähriger quasi als "Schnellzeichner " auftrat. Aufgrund seines Engagements beim Kauka Verlag zog er im Alter von 19 Jahren nach München. Riccardo arbeitete ca. von 1963 bis 1972 beim "deutschen Disney". Neben Fix und Foxi zeichnete Riccardo dort an Tom und Biberherz, Siggi und Babarras und natürlich an den Pichelsteinern. Wie ich mittlerweile weiss, bin ich nicht der einzige, bei dem seine langbeinige und langhaarige Petra in vor- pubertärem Alter einen bleibenden Eindruck hinterliess.

Bei Kauka lernte Riccardo seine spätere Frau Christine, die dort als Grafikerin arbeitete, kennen. Mit ihr war er von 1970 bis 1980 verheiratet. Aus dieser Ehe ging sein einziger Sohn, Sascha Rinaldi, hervor.

Neben Comics für das erotische Comicmagazin Pip International (1971 - 1973) arbeitete Rinaldi in der Zeit "nach Kauka" vor allem für die Werbebranche. So entstanden u. a. die Storckies für den Süsswaren-Hersteller Storck (70er Jahre), der Heido-Comic für den Heidepark Soltau (1982 - 1988) und für das auflagenstärkste Jugendmagazin im deutschsprachigen Raum, Junior, die Serie Das Streichquartett.

Wirklich Kreatives im Bereich der Erwachsenencomics schuf er in den späten 80er und in den 90er Jahren vornehmlich in Form von Titelbildern für das Magazin U-Comix. Solche Arbeiten waren es, die ihn wirklich reizten. In einem unserer letzten Telefonate bezüglich des Katalog-Covers klagte er, dass "die Werbung" immer nur Stromlinienförmiges, von jeder Persönlichkeit Freies verlangte. Dabei sei es doch gerade das Unverwechselbare, das erst nachhaltige Eindrücke ermögliche. Wer weiss, was Riccardo Rinaldi alles zustande gebracht hätte, hätte es hierzulande auch nur zu irgendeiner Zeit einen ernstzunehmenden Markt für Eigenproduktionen anspruchsvoller Comics gegeben.

Menschlich hat mich Riccardo mit seinem Humor, vor allem aber mit seiner feinen Ironie beeindruckt. Sohn Sascha schildert seinen Vater als vielseitig interessiert. Neben eigenen Studien zur Grundlagenphysik sei er auch "ein wandelndes Geschichtslexikon" gewesen. Sascha Rinaldi weiter: "Er war sehr vergeistigt und erschien deshalb manchmal etwas seltsam und kompliziert. Allerdings hatte er auch eine sehr gesellige Seite. In den 70er und 80er Jahren war er Teil der Schwabinger Boheme und konnte mit einer Kombination aus Wortwitz, Gestik und 'Serviettenzeichnungen' grosse Tischrunden unterhalten. Seit den 90er Jahren lebte er dann eher zurückgezogen und fokussierte sehr stark auf die Entwicklung von Konzepten. Leider hat er nur wenige davon verwirklichen können, da es eben nicht seine Sache war, sich 'zu verkaufen'".

Mit dem Autodidakten Rinaldi verliert die Comic-Szene einen der sehr wenigen, die Theorie und Praxis zusammenbringen konnten. So hoffe ich, dass er durch seine Comics noch in mindestens ein, zwei Comic-Generation weiterlebt. Das wäre doch gelacht, Riccardo. Oder!?


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Quelle:
Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für
triviales Entertainment seit 1995, No. 240 vom 9. April 2006
Herausgeberin: Gaby Heinkow
Luisenstrasse 32, 12209 Berlin-Lichterfelde
Telefon: 030-768 051 22
E-Mail: heinkow@gmx.de
Internet: http://www.szene-wHatcher.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2006