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PORTRAIT/009: Clarence "Ducky" Nash - die Stimme von Donald Duck (SB)


Clarence Nash


Am 2. Dezember 1933 unterschrieb der 125. Angestellte des aufstrebenden Disney-Konzerns seinen Vertrag. Es handelte sich um 29jährigen Tierstimmenimitator Clarence Nash, der fortan Donald Duck seine Stimme leihen sollte. Mit einer in quäkender Ziegenstimme vorgetragenen Rezitation des Gedichts "Mary Had a Little Lamb" hatte er Walt Disney während eines Vorstellungsgesprächs von seinen Fähigkeiten überzeugt. Mehr als vierzig Jahre lang war Nash die einzige Stimme Donald Ducks. Außerdem sprach er zahlreiche weitere Figuren, wie Tick, Trick und Track, Daisy (eine Oktave höher), Micky, aber auch Hunde (in 101 Dalmatiner) und Vögel.

Von der Ziege zur Ente ...

Wie erlernte Clarence Nash seine geniale Enten-Quäke und auf welchen Wegen landete er bei Disney? Da einem der ziemlich ausgefallene Beruf eines Enten-Imitators nicht unbedingt in die Wiege gelegt wird und man ihn auch nicht als Ausbildungsberuf erlernt, nimmt es wohl nicht Wunder, daß der Lebensweg dieses von allen, die ihn kannten, als ausgesprochen liebenswürdig beschriebenen Stimm-Genies sehr abwechslungsreich verlief.

Clarence Nash wurde am 7. Dezember 1904 in Watonga im heutigen Oklahoma geboren und lebte bis zum Alter von neun Jahren auf einer Farm. Danach zog seine Familie nach Glasgow in Missouri und ein Jahr später in eine Kleinstadt, die heute ein Teil von Independence ist. Seine dortigen Schulkameraden pflegten einen Zeitvertreib, der für den Neuankömmling wie gerufen kam: Sie versuchten sich gegenseitig im Imitieren von Tierstimmen zu übertrumpfen. Da Clarence auf der elterlichen Farm in Ermangelung anderer Spielkameraden seine meiste Zeit mit Tieren verbracht und sich mit ihnen "unterhalten" hatte, konnte er auf Anhieb ein beachtliches Repertoire an Tierstimmen vorweisen und so vor seinen neuen Kameraden glänzen. Beharrlich übte er immer weiter und konnte als Zwölfjähriger von Hund, Katze, Pferd, Ziege oder Vögeln bis hin zu ausgefalleneren Tieren wie Waschbär und Kojote alles imitieren.

Mit der Ziegenstimme hatte es bei ihm eine besondere Bewandtnis. Er hatte einmal ein kleines Zicklein namens Mary mit der Flasche aufgezogen und ein inniges Verhältnis zu dem Tier entwickelt. Von daher konnte er auch die "Ziegensprache" besonders gut. Als man nun in der Schule einen Wettbewerb für den besten Tierstimmenimitator veranstaltete, nutzte Nash die Gelegenheit, um in der Stimmlage seines Zickleins das bekannte Gedicht "Mary Had a Little Lamb" aufzusagen - wofür er mit stürmischem Beifall belohnt wurde.

In seiner High-School-Zeit in Kansas entdeckte Clarence Nash seine Begeisterung für das Theater; er spielte in einer Theatergruppe mit und tingelte anschließend als Mandolinenspieler und Tierstimmenimitator durch die Varietés und Kleinbühnen des Mittelwestens. 1930 heiratete er und bemühte sich, den Wunsch seiner Frau nach einem festen Wohnsitz und einem seriösen Job zu erfüllen. Die Suche nach Arbeit brachte ihn nach San Francisco und Los Angeles, wo er schließlich als Tierstimmenimitator bei der Rundfunksendung "Merry Makers" landete.

1933 wechselte Clarence Nash, mittlerweile 29 Jahre alt, zur Adohr Milk Company. Seine Tätigkeit bestand darin, daß er mit einem kleinen Milchwagen, der von zwei Ponys gezogen wurde, durch die Stadt kutschierte und Werbung für die Firma machte, hauptsächlich, indem er Kinder unterhielt.

Eines Tages kam Nash an den Disney-Studios vorbei und da Freunde ihm dazu geraten hatten, entschied er sich, es mit einer Bewerbung zu versuchen. Noch in seiner Arbeitskleidung als Milchmann fragte er kurzerhand dort an und es gelang ihm, einen Termin bei Regisseur Wilfred Jackson zu bekommen. Diesem trug er sein gesamtes Repertoire an Tierstimmen vor, was Jackson jedoch nicht übermäßig zu begeistern schien, bis, ja, bis "Mary Had a Little Lamb" an die Reihe kam. "Als ich dies zu rezitieren begann, schaltete Jackson die Sprechanlage zu Disneys Büro ein. Disney kam hereingerannt, hörte mir noch eine Zeitlang zu und rief aufgeregt: 'Stop, stop: Das ist unsere sprechende Ente!'", berichtete Nash später von ihrem ersten Zusammentreffen. (Zitat aus: Donald Duck: Fünfzig Jahre und kein bißchen leise, Unipart Verlag, Stuttgart)

Dies war Donalds eigentliche Geburt, denn vorher hatte er nur als Idee existiert. Mit "Ducky" Nashs Stimme erst wurde die rauhbeinige Ente Realität, die Disney als Kontrast zu seinem mittlerweile in Anständigkeit verkümmernden Micky zu erschaffen suchte. In seinem ersten Film, "The Wise little Hen" von 1934, spielte Donald zwar noch eine Nebenrolle und hatte nur einen einzigen Satz zu sprechen - "Who? Me? Oh, no, I've got a belly-ache" ("Wer? Ich? O nein, ich hab' Bauchweh!") -, doch schon in seinem zweiten Film "Orphans Benefit", in dem Micky eine Theatervorstellung für Mäusewaisenkinder organisiert, absolviert er seinen großen Auftritt als Gedichtrezitator mit "Mary Had a Little Lamb".

Clarence Nash scheint mit seiner neuen "Identität" als Donalds Stimme keine Probleme gehabt zu haben. Er soll einmal scherzhaft gesagt haben: "Ich wollte eigentlich Arzt werden, aber nun wurde der größte Quacksalber des Landes aus mir gemacht." Nash sprach den Donald nicht nur in amerikanischen Filmen, sondern auch in deutschen, französischen, spanischen, ja sogar japanischen und chinesischen Fassungen und ging mit einem Kunststoff-Donald auf Tournee durch Schulen, Kaufhäuser, Krankenhäuser und Waisenheime; er war sich nie zu schade dazu, mit seinen Auftritten für Unterhaltung und Kurzweil zu sorgen.

Literatur:
Donald Duck - Ein Leben in Entenhausen, Tilsner Verlag, München 1994

11. Januar 2007