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BERICHT/039: Indologie an der Uni Mainz - Das moderne Indien entdecken (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 207, Januar 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das moderne Indien entdecken
Von alten Schriften hin zu aktuellen Wirtschaftsthemen

Von Frank Erdnüss


Ähnlich wie die USA in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg birgt nun Indien, ebenso wie China natürlich, große Zukunftshoffnungen, vor allem was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Entsprechend formiert sich auch die Mainzer Indologie neu, mit jetzt stärkerem Fokus auf das moderne Indien.


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"Vor kurzem haben wir eine neue Disziplin innerhalb unseres Instituts gegründet", sagt Dr. Ajit-Singh Sikand, einer der Dozenten in Mainz. "Wir nennen sie 'Indian Area Studies' und meinen damit vor allem das neue Indien, das nun verstärkt bearbeitet werden soll. Dazu gehören zum Beispiel die boomende Filmindustrie und die IT-Branche." Bollywood macht mittlerweile mehr Umsatz als ihr US-amerikanisches Pendant und von den hochqualifizierten Computer-Spezialisten des indischen Subkontinents haben wir alle schon gehört. Natürlich bleiben auch die verschiedenen indischen Religionen und Sprachen ein Schwerpunkt der studentischen Ausbildung. Aber es sind eben nicht mehr nur religiöse Schriften, zum Beispiel in Sanskrit, sondern auch Filmvorführungen, mit denen Lehrinhalte vermittelt werden; so sehen die Studierenden Bollywood-Filme im Original ohne Untertitel und lernen dadurch Hindi. Institutsleiter Prof. Dr. Konrad Meisig pflichtet seinem Kollegen bei. Er möchte die Indologie ebenfalls modernisieren und den Bogen schlagen von den alten Schriften hin zu aktuellen Wirtschaftsthemen. "Wir müssen mit unserem Lehrangebot der Stellung und Wichtigkeit Indiens in der Weltgemeinschaft Rechnung tragen", sagt er und ergänzt: "Die Anfragen aus der Industrie nehmen zu und wir versuchen, verstärkt mit Unternehmen zu kooperieren. Darüber hinaus setzen wir auf eine stärkere Zusammenarbeit mit indischen Universitäten."

Bislang bestehen vier Kooperationen, und zwar mit den Universitäten in Amritsar, Haridwar, Patiala und Madurai. Letztere ist auch einer der Orte, an denen kürzlich ein Indisch-Deutsches Symposium stattfand. Anlass war der 300. Geburtstag des Sri Guru Granth Sahib, des heiligen Buches der Sikhs. Der Sikhismus ist eine monotheistische Hochreligion, die im 15. Jahrhundert im indischen Bundesstaat Punjab entstanden ist. Heute zählt sie rund 18 Millionen Gläubige, die zum größten Teil noch im Punjab leben. Das Symposium begann am 12. November im Institut für Wissenschaftliche Irenik der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dieses von Prof. Dr. Edmund Weber geleitete Institut ist dem Theologischen Fachbereich der Goethe-Universität angeschlossen und widmet sich unter anderem den Beziehungen der Weltreligionen zueinander sowie ihren Möglichkeiten, den Frieden in der Welt zu sichern. An den beiden Folgetagen trafen sich die Experten dann in Mainz und vom 17. bis 19. Dezember 2008 fand der dritte Teil an der Kamraj University im südindischen Madurai statt. Neben zahlreichen Fachvorträgen zur Sikhismus-Forschung gab es bei dem Treffen in Mainz einen weiteren Höhepunkt: Die Zusammenarbeit zwischen der Johannes Gutenberg-Universität und der Gurukul Kangri University im indischen Haridwar wurde schriftlich fixiert. Dazu unterzeichnete der Vice-Chancellor der Universität Haridwar, Prof. Swatanter Kumar, mit Prof. Dr. Georg Krausch, Präsident der Johannes Gutenberg-Universität, ein 'Memorandum of Understanding'. "Wir wollen damit unter anderem den Austausch von Studierenden fördern, die an der jeweiligen Partner-Uni zum Beispiel ihre Doktorarbeit machen", erklärt Sikand. Derzeit bestehen hier noch gravierende logistische Probleme, was etwa die Einreiseformalitäten in Deutschland betrifft. So lief die Erteilung von Visa für die indischen Konferenzteilnehmer keineswegs reibungslos, obwohl Meisig eigens mit dem deutschen Botschafter in Neu Dehli telefoniert hatte. "Da erhoffen wir uns eine deutliche Verbesserung in der Zukunft", sagt der Indologe. Von politischer Seite ist ebenfalls Unterstützung zugesichert worden. Im März 2009 wird Ministerpräsident Kurt Beck nach Indien reisen, sicher mit zahlreichen Kooperationsangeboten im Gepäck.

Die Attraktion des Rahmenprogramms war dann das Konzert "Long Night of Indian Classical Music" am 13. November 2008. Zu ihrem ersten Deutschland-Besuch waren sieben Musiker aus dem Punjab angereist, allen voran der in Indien hoch verehrte Dhrupad-Sänger Surinder Pal Singh Der Mittsiebziger gestaltete mit seiner Gruppe einen musikalischen Abend an der Uni Mainz, bei dem er den mehr als 60 begeisterten Zuhörern eine Mischung aus meditativen und spirituellen Liedern in Dhrupad-Tradition bot. Dhrupad ist die Älteste Form klassischer Musik in Indien, die heute noch existiert. Sie ging aus dem Singen gebetsähnlicher Hymnen und Mantras hervor und stellt heute sowohl eine bestimmte Form von Poesie als auch einen Musikstil dar, in dem die Verse melodisch vertont werden. Dhrupad gilt als hochentwickelte, klassische Kunst mit komplexer Grammatik und Ästhetik, die Surinder Pal Singh meisterhaft beherrscht. Normalerweise musizieren er und seine Freunde vor einem wesentlich größeren Publikum in den Tempeln ihrer Heimat, doch auch in der so andersartigen Atmosphäre in Mainz fühlten sich die Musiker sichtlich wohl. Anschließend reisten sie dann noch zu weiteren Konzerten nach Hamburg, Berlin und Frankfurt.

Das Institut für Indologie in Mainz besteht seit 1958 und gehört dem Fachbereich 5, "Philosophie und Philologie" an. Es bietet eine der wenigen Möglichkeiten in Deutschland Indologie zu studieren, denn in den letzten fünf Jahren schrumpfte die Zahl der Indologie-Institute von 18 auf acht; Mainz ist dabei der einzige Vertreter unseres Bundeslandes, genau wie Marburg in Hessen, dessen Fachgebiet Indologie gerade so an der Schließung vorbei schrammte. In Mainz nehmen zurzeit 123 Studierende am Lehrangebot teil, das mit einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunkt 'Buddhistisches Chinesisch' auf sich aufmerksam macht. "Hier werden ursprünglich auf indisch verfasste Texte aus dem Chinesischen rückübersetzt (ins Deutsche und ins Englische), da die indischen Originale aus dem 3. und 4. Jahrhundert nach Christus verschollen sind", erklärt Meisig. Ein spannendes Studienfach also, dessen Veranstaltungen teilweise in Englisch gehalten werden; denn indische Gastdozenten sind eine feste Größe im Dozentenpool des Instituts. So unterrichtet im Wintersemester 2008/09 Prof. Sukhwant S. Bindra von der Guru Nanak Dev University in Amritsar im Rahmen des von der indischen Regierung finanzierten "Chair of India Studies" hier in Mainz indische Politik. Amritsar liegt im Punjab, der Kornkammer Indiens, und bildet auch die Hochburg der Sikhs. Im Goldenen Tempel von Amritsar wird das heilige Buch aufbewahrt, dessen 300. Geburtstag jetzt gefeiert wurde.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 207, Januar 2009, Seite 24-25
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009