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BERICHT/053: Das Humboldt-Forum - Eine große Idee nimmt Gestalt an (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2012

Die Kulturen der Welt im Herzen Berlins
Das Humboldt-Forum - Eine große Idee nimmt Gestalt an

Von Wolfgang Thierse



Welch großartiges und anspruchsvolles Projekt: Berlin stellt seine historische Mitte den Kulturen der Welt zur Verfügung! Die Republik lädt die Welt ein, um an einem ihrer kostbarsten Plätze und anhand reicher Sammlungen über eigene und fremde Kulturen nachzudenken. In welcher Metropole wäre das sonst möglich?


Mit dem Humboldt-Forum entsteht auf dem Schlossplatz kein übliches Museum, sondern "ein urbaner Weltort für Kunst und Kultur", wie der frühere Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, formulierte. Die wunderbaren außereuropäischen und völkerkundlichen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sollen von ihrem jetzigen Standort in Dahlem nach Mitte verlagert, damit wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden und in einen Dialog mit den Sammlungen europäischer Kultur auf der Museumsinsel treten. Damit entsteht in der Mitte Berlins eine auf der Welt einmalige, dialogische Museumslandschaft! Hier und nirgendwo sonst ist die grandiose Idee der Gebrüder Humboldt einlösbar: Die Kulturen der Welt und die zeitgenössischen Künste der Welt zum Gegenstand lebendiger Kommunikation der Berliner und ihrer Gäste zu machen, darum geht es!

Die universalistische, im besten Sinne weltbürgerliche Idee des Humboldt-Forums bezieht die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und Teile der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ein. Erst der Dreiklang von Museum, Bibliothek und Universität vermag jene Offenheit forschender Neugierde zu erzeugen, die dem Haus als öffentlichem Ort kreativen, intellektuellen Austausches und leidenschaftlichen Dialoges besondere Anziehungskraft verleihen kann. Das Humboldt-Forum soll irritieren, experimentieren, kontrastieren und Besuchern aus aller Welt Gelegenheit geben, ästhetischen Kunstgenuss und Welterkenntnis miteinander zu verbinden.

Wie steht es um die Umsetzung dieser großen Idee? Bereits 2002 und 2003 hat der Deutsche Bundestag den Bau des Humboldt-Forums auf dem Schlossplatz beschlossen. 2007 beauftragte er die Bundesregierung mit dessen Realisierung. Den anschließenden Wettbewerb gewann der italienische Architekt Franco Stella. Nach seinen Plänen wird nun die bauliche Gestalt des Humboldt-Forums errichtet. Es wird ein Neubau in der Kubatur des ehemaligen Schlosses, mit drei Barockfassaden, dem wunderbaren Schlüterhof und der das Berliner Stadtbild mitprägenden Kuppel. Bundesregierung und Berliner Senat nutzen und finanzieren es gemeinsam. Die zusätzlichen Kosten der historischen Rekonstruktion in Höhe von 80 Millionen Euro bringt der Förderverein Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum auf. Das öffentliche Interesse ist groß. Dies zeigen die Besucherzahlen der Humboldt-Box. Allein im ersten halben Jahr seit der Eröffnung haben 200.000 Besucher diese Informationsplattform am Schlossplatz besucht. Dort lassen sich sowohl der Baufortschritt als auch die inhaltlichen Planungen verfolgen.

Gegenwärtig entsteht ein detailliertes Gesamtkonzept zur inhaltlichen Nutzung des Humboldt-Forums. Es wird mehr sein müssen, als die Summe seiner Teile: mehr als ein Museum, eine Bibliothek, eine Universitätseinrichtung oder ein Veranstaltungsort. Diesen hohen Anspruch umzusetzen, sind die zukünftigen drei Nutzer aufgefordert.

Was viele nicht wissen: Historische Anknüpfungspunkte sind reichlich vorhanden. Das Humboldt-Forum ist nicht nur ideell, metaphorisch, sondern ganz konkret historisch mit dem Schlossplatz und der ehemaligen Nutzung des Schlosses verbunden. Mit ihm werden die Sammlungen der Kunst- und Wunderkammer des Schlosses wieder an ihren Ursprungsort zurückkehren! Dies gilt für die ethnologischen und Sammlungen asiatischer Kunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Entstehung auf die Kunstkammer zurückgeht. Dies gilt ebenfalls für die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität. Bei der Gründung der Universität 1810 gingen wesentliche Teile der Kunstkammer zu Lehr-und Forschungszwecken in den Besitz der Hochschule über. Die Idee des Humboldt-Forums ist also eng mit der Geschichte des Ortes verbunden. Nicht zuletzt knüpft die geplante Nutzung an die republikanische Verwendung des Schlosses in den 1920er Jahren an. Der Bau hatte zu dieser Zeit seine preußisch-herrschaftliche Funktion hinter sich gelassen und diente als Ort für Ausstellungen, Theater und Museen.

In diesem Wissen, in engem Austausch und gemeinsam mit der koordinierenden Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum planen und erproben die drei zukünftigen Nutzer derzeit innovative und flexible Ansätze der Präsentation ihrer Schätze. Neue mediale Formen und Formate des Dialogs werden auf ihre Einsetzbarkeit geprüft. Eine besondere Herausforderung stellt die Konzeption der alles verknüpfenden Agora dar, die von Gesprächen über Performances und die Ausstellung von Kunstwerken bis hin zu Kino-, Theater- und Musikveranstaltungen eine möglichst vielfältige Nutzung erlauben soll. Agora beschreibt daher mehr als einen Ort. Sie wird auch im übertragenen Sinne zum "Marktplatz", auf dem die einladende Idee des Humboldt-Forums praktiziert und das Angebot zu aktiver Teilhabe am deutlichsten sichtbar wird. Die große Aufgabe, diese Idee zu konkretisieren, hat Ende 2010 der international erfahrene Kulturmanager Martin Heller übernommen. Renommierte Kuratoren und Veranstaltungsplaner aus allen Kontinenten stehen ihm zur Seite. Zur Grundsteinlegung für das Humboldt-Forum im kommenden Jahr soll das Konzept vorliegen. Dann bleibt bis zur voraussichtlichen Eröffnung 2019 ausreichend Zeit zur Realisierung.


Interkultureller Lernort zur weltoffenen Selbstverständigung

Die Verbindung von Museum, Bibliothek und Universität, von Anschauung und Reflexion ist ein wesentliches Merkmal des aufgeklärten Humboldt'schen Bildungsideals, für das Wilhelm von Humboldt eine "Freistätte für Kunst und Wissenschaft" einforderte. Er setzte auf Menschenbildung, den Erwerb kultureller Praktiken und der Fähigkeit, sich selbst zu bilden, um die eigenen Möglichkeiten zu verwirklichen.

Dieses Ideal ist heute alles andere als überholt. In einer Zeit zunehmend ökonomistischer Bewertungen beschränkt sich Bildung nur allzu oft auf funktional verstandene Ausbildung. Kunst und Kultur scheinen nur dann von Wert zu sein, wenn sie marktökonomischen Nutzen beweisen. Mehr denn je bedarf die Bildung jener Freiräume der Kunst und Kultur, die Wahrnehmungen und Verständigung jenseits von Verwertungsinteressen erlauben. Kulturelle, ganzheitliche Bildung ist wichtiger denn je. Erfahrungsräume des Emotionalen, des Sinnlichen, des Symbolischen, in denen in freier Weise das Eigene, die eigene Identität ausgebildet werden kann, sind dringend erforderlich. Daher ist es zu begrüßen, dass die Humboldt-Universität die Vorstellung der "Freistätte für Kunst und Wissenschaft" in ihr Konzept aufnimmt und zeitgemäß weiterentwickelt. Zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und gefördert von der Kulturstiftung des Bundes betreibt sie seit kurzem ein "Humboldt-Lab", das für das Humboldt-Forum neue, disziplinübergreifende Methoden und Zugänge zu Texten und Objekten erarbeitet.

Das Humboldt-Forum soll als interkultureller Lernort dienen, der von der Gleichberechtigung der Weltkulturen ausgeht und dazu beiträgt, eine Kultur der Anerkennung zu entwickeln. Entschieden ist der Vorstellung einer vorgegebenen "Leitkultur" zu widersprechen: Neugierde statt Ablehnung des Fremden ist das Prinzip, Freiheit statt Ausgrenzung und Abgrenzung muss das Ziel sein. Denn das Verständnis für das Fremde wächst nicht nur über die Auseinandersetzung mit den Kulturen Anderer, sondern setzt die Anerkennung von Wandelbarkeit und Vielfalt voraus. Angesichts der Herausforderungen der globalen Welt bedarf es eines Ortes, an dem das Verhältnis zwischen den Kulturen ausgelotet wird, von regionalen Bezügen zu weltumspannenden Netzwerken, von eigenen Sichtweisen zu fremden Urteilen. Das Humboldt-Forum soll jenen Raum für freie Kreativität, Reflexion und Dialog bieten, der für eine weltoffene, Mensch, Natur und Zukunft zugewandte Form der Selbstvergewisserung und Selbstverständigung in einer Kulturnation so notwendig ist.


Bürgerschaftliches Engagement

Dass die Idee des Humboldt-Forums überhaupt eine Chance hatte und nun auf einem guten Weg ist, verdanken wir großem bürgerschaftlichen Engagement. Im wiedervereinigten Deutschland waren und sind es Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Initiative den historischen Stadtraum Berlins für sich zurückgewinnen und als öffentlichen Ort des respektvollen und toleranten Umgangs mit Anderen gestalten wollen. Ohne bürgerschaftliche Initiative wäre ein Projekt wie das Humboldt-Forum nicht denkbar. Es lässt sich nicht "von oben" befehlen.

Zweifel an der Spendenbereitschaft für die Schlossfassaden sind deshalb unberechtigt. Erst wenn das faszinierende Projekt stärker sichtbar in Gang kommt, wird seine Faszination auch ansteckende Wirkung entfalten können! Dies hat sich in Dresden gezeigt. Beim Beginn des Wiederaufbaus der Frauenkirche waren längst nicht alle notwendigen Spendengelder gesammelt. Erst nach Baubeginn nahm die Spendenfreude zu. Warum sollte das in Berlin anders sein?

Darauf ist aufzubauen. Der Bund hat die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass das Humboldt-Forum auch dauerhaft finanziert bleibt. Dass es nicht aus Geldmangel zu einem eher toten Ort wird oder gerade noch so überlebt. Auch ist immer wieder neu dafür zu sorgen, dass tatsächlich Künstler und Intellektuelle aus aller Welt eingeladen werden, um miteinander über die Zukunft der Kontinente und der unterschiedlichen Kulturen in der Welt zu kommunizieren. Alles andere wäre fahrlässig. Denn das Humboldt-Forum ist das größte nationale Kulturprojekt der Gegenwart und eine Investition in die Zukunft!


Wolfgang Thierse (* 1943) war von 1998 bis 2005 Präsident des Deutschen Bundestages, seit 2005 ist er Vizepräsident. Er ist zudem Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie.
wolfgang.thierse@bundestag.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2012, S. 61-63
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2012