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BERICHT/054: Die neue prekäre Stellung des Künstlers (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2012

Kunst als öffentliches Gut?
Die neue prekäre Stellung des Künstlers

Von Tanja Dückers



Wurden die Begriffe "Bürger" und "Künstler" bis in Thomas Manns Zeit meist als Gegensatzpaar gedacht - noch in den 60er Jahren verstanden sich Letztere vornehmlich als Rebellen - so werden Künstler heute von der Deutschen Bank und vom Bundestag hofiert, ihre Werke finden sich in den Keimzellen der Macht wieder. Auf der anderen Seite wird künstlerische Autorenschaft in Zeiten digitaler Vernetzung in Frage gestellt. In der Kreativwirtschaft ist einiges in Bewegung geraten.


Wenn man das Verhältnis von Kreativen und Politik in Deutschland betrachten möchte und dabei die Frage stellt, was Kreative heute von der Politik einfordern sollten, muss zunächst festgestellt werden, dass der Künstler in den letzten Dekaden von einer gesellschaftlichen Randexistenz geradezu in die Mitte der Gesellschaft katapultiert wurde. In einer postindustriellen Gesellschaft, in der ständig "weiche Werte" betont werden, hat die Politik die Künstler und die Kreativwirtschaft längst für sich entdeckt. Die Bundesregierung deklariert die "Kultur- und Kreativwirtschaft" zur Wachstumsbranche schlechthin, mit einer Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden Euro und einer Million Beschäftigten im Jahr 2008. "Ihr Bruttoinlandsprodukt von 2,6% ist höher als das der chemischen Industrie", rechnete Kulturstaatsminister Bernd Neumann vor.

Der Staat hat die Kreativwirtschaft längst für die Eigenwerbung entdeckt. In den letzten Jahren gab es viele Beispiele für die hohen Risiken und zu großen Hoffnungen, die Stadtverwaltungen in Kultur-Prestigeobjekte setzen - das Desaster der Love Parade in Duisburg war nur das am meisten Groteske. Die Hamburger Elbphilharmonie ist auch so ein ehrgeiziges Projekt, an dem sich die Stadt überhoben hat - die Kosten sind dreimal so hoch wie anfänglich projektiert. Die Endlosdebatte um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ein anderes. Zu Recht haben Künstler und Kreative in Hamburg gegen die Instrumentalisierung ihrer selbst durch die Stadt demonstriert. Zumal neben der medial zur Schau gestellten staatlichen Investition in einige wenige Prestigeobjekte unter der Hand Kürzungen in allen möglichen weniger nach Spektakel riechenden Kulturbereichen stattfinden. Während Hamburg sich "neu erfand" und sich ein Image als frische, junge, moderne Kulturstadt (und nicht mehr als traditionsverbundene, pragmatisch-hanseatische Handelsstadt) zuzulegen bemühte, ist der Kulturetat zeitgleich sogar gesunken. Während der weiche Wert Kultur propagiert wird, haben Bibliotheken, Museen, Kultureinrichtungen und Literaturhäuser weniger Geld zur Verfügung. Ein konkretes Beispiel: Die Zahl der Lesungen ist in Deutschland innerhalb von zehn Jahren um zwei Drittel zurückgefahren worden. Wenn sich ganze Bundesländer derzeit mit dem Bild der gütigen Kulturförderer schmücken, muss ein Blick auf aktuelle Zahlen geworfen werden: Für Kultur gibt Deutschland 0,34% des BIP aus, Tendenz sinkend, für militärische Zwecke 1,4%. Rein numerisch nach seinen Staatsausgaben betrachtet ist Deutschland immer noch eher eine Nation der Richter und Henker als eine der Dichter und Denker. Die Politik muss das Verhältnis von lautstarker Eigenbewerbung mittels der Kultur bei gleichzeitiger Abwertung derselben unbedingt korrigieren.


Freiheit, nicht Freibier

Ein weiterer brenzliger Punkt zwischen Kunst und Politik ist die seit Monaten heiß diskutierte Frage nach dem Urheberrecht, nach dem Schutz des geistigen Eigentums, der Produktion und Distribution von künstlerischen Werken im digitalen Zeitalter. Die Vorstellungen, die die Piratenpartei derzeit hierzu äußert, sind für Künstler und Kulturschaffende grotesk - Künstler und andere Kreative können nur hoffen, dass diese Partei nach einem kurzfristigen Höhenflug bald wieder zum Sinkflug antreten wird. Die Piratenpartei fordert bekanntlich die Aufhebung des Copyright-Schutzes.

Kein Zahnarzt würde umsonst bohren, kein Bäcker unentgeltlich backen, doch die fehlende haptische Qualität lässt geistiges Eigentum wertfrei erscheinen. Der Regisseur und Schauspieler Simon Verhoeven (Das Wunder von Bern, Vernunft und Gefühl, Mogadischu) brachte dies in einer Podiumsdiskussion auf den Punkt: "Ein Auto fährt man, ein Steak isst man, ein Lied hört man, einen Film sieht man - die Nutzung ist unterschiedlich, aber einen Wert, der honoriert werden muss, haben alle diese Dinge." Den Begriff der Freiheit verwenden die Piraten und ihre Anhänger auch gern inflationär und ungenau. "Freiheit" bedeutet nämlich nicht "Freibier", Verhoeven hat das ungute Gefühl, die Piraten hätten "eine Philosophie, die aus einer technologischen, kalten Diebstahlmentalität entstanden ist". Übertüncht wird sie mit romantisierenden Netz-Ausdrücken wie "Tauschbörse" oder "mit Freunden teilen": Doch wer seine Daten mit 200.000 Leuten teilt, kann bei diesen nicht mehr von seinen "Freunden" sprechen.

Nach Ansicht der Piratenpartei reiche es, wenn Künstler und Kreative ihr Kunstwerk im Netz "bewerben" könnten (so reden sie das kostenfreie Downloaden schön). Reine Promotion soll den Honorar-Totalausfall kompensieren. Die rapide sinkenden Einnahmen in der Film- und Musikindustrie sprechen eine andere Sprache. Auch das Argument der Piratenpartei, dass die Kreativen bei der Erschaffung ihrer Werke von allen möglichen Einflüssen und Quellen profitiert hätten und nun ihr Werk der Öffentlichkeit ohne Vergütung "zurückgeben" würden, ist absurd. Dann müssten alle Wissenschaftler, Lehrer, Anwälte und Politiker, natürlich auch Ärzte und alle anderen, ebenfalls auf honorarfreier Basis arbeiten, denn auch ihr Wissen entsteht zu einem Großteil aus schon vorhandenem Wissen und ist nicht nur als isolierbare Einzelleistung zu bewerten.


Urheberrecht reformieren

Die Möglichkeiten, die das Netz zur Vervielfältigung gibt, können nicht das Menschenrecht auf Urheberrecht, welches im Grundgesetz verankert ist, ersetzen. Technologische Machbarkeit kann nicht gegen Menschenrechte ausgespielt werden. Doch Christopher Lauer, für die Piratenpartei Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, argumentiert: "Wir leiten viele unserer Forderungen aus den technischen Gegebenheiten des Netzes ab. Die stehen für uns wie Naturgesetze". Aber das Internet ist menschengemacht, seine Gegebenheiten sind keine Naturgesetze. Nach dieser Logik hätte man nach der Einführung der Guillotine die Gefängnisse abschaffen und alle Gefangenen umbringen lassen können, weil dies ja nun so schnell und einfach vonstatten gehe.

Allerdings muss das Menschenrecht auf Urheberrecht immer wieder gegen ein anderes Menschenrecht, nämlich das auf kulturelle Teilhabe, austariert werden. Und: drakonische Strafen für das Herunterladen eines Songs oder eines Films sind vollkommen unangemessen, zumal sie meist sehr junge Menschen treffen. Es ist im Übrigen nicht so, als ob technische Neuerungen nicht durchaus elastisch auf die Gesetzeslage rückgewirkt hätten - beim Aufkommen der ersten Kopierer, Xerox-Maschinen und Videorekorder wurden die Speichermediengesetze etabliert. Technische Errungenschaften dürfen unsere Rechtsprechung nicht dominieren, bedürfen aber einer gewissen Reziprozität in der Legislative.

Das derzeitige Urheberrecht ist unbedingt reformbedürftig, weil sich, wie der Harvard-Kulturwissenschaftler und Netzaktivist Lawrence Lessig sagt, dass sich in einem digitalen Medium das Urheberrecht nicht mehr über die Beschränkung der Anzahl von Kopien durchsetzen lasse. Original und Kopie sind zudem identisch geworden, die Zeiten rauschender Mixkassetten sind vorbei. Von Seiten der Politik sind auch hier klare Maßnahmen gefragt. Die Politik muss eine vernünftige Novellierung des Urheberrechts vornehmen, muss ein Pauschalmodell ersinnen, das einigermaßen verlässlich und fair für Urheber, Verwertende und Nutzer funktioniert.

Die bislang sinnvollste Idee kam von den Grünen: das Modell der Kulturflatrate. Doch man muss sich fragen: Wer profitiert von den Ausschüttungen? Jeder Hobbyfilmer kann hochladen, was ihm beliebt. Wird der Rentner, der auf Youtube einen Hamsterfilm zeigt, auch von der Kulturflatrate profitieren? Die Piraten, in Gestalt ihres Mitglieds Bruno Kramm, haben eine klare Antwort darauf gegeben: Ja.

Auch wenn man nicht der Elitisierung das Wort reden möchte: Die vollkommene Auflösung des Berufs "Künstler" (alle sind Künstler, niemand ist Künstler) ist sehr problematisch und vernichtet langfristig die Lebensgrundlage derer, die nicht nur Hobbies nachgehen, wenn sie dichten, filmen, Regie führen, komponieren, choreografieren.

Wenn sich Deutschland immer noch als Land der Dichter und Denker feiern und zur Zeit gern mit seiner tollen Kreativwirtschaft und seinem crazy Berlin, der Welthauptstadt der Bohemiens und Kreativen, inszenieren will, sollte es die Lebensbedingungen der Künstler auch angemessen verteidigen und verbessern.


Tanja Dückers (*1968) Studium der Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik 2011 erschien ihr letzter Roman "Hausers Zimmer", 2012 der Lyrikband "Fundbüros und Verstecke", beide bei Schöffling. (post@tanjadueckers.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2012, S. 10-14
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
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Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2012