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MELDUNG/187: Kulturerbe erhalten - per Forschung und Hightech (idw)


Fraunhofer-Gesellschaft - 03.12.2018

Kulturerbe erhalten - per Forschung und Hightech


Wie lässt sich Kulturerbe schützen und bewahren? Im Vorstandsprojekt Kulturerbe entwickeln Forscherinnen und Forscher aus 16 Fraunhofer-Instituten die dazu nötigen Technologien.

Historische Tempel, antike Statuen, Gemälde großer Meister: Kulturerbe gilt es zu bewahren. Für den Erhalt historischer Kunstschätze sind jedoch nicht nur Restauratoren zuständig, auch Forschung und daraus resultierende Hightech-Lösungen sind vonnöten. Wirft man einen Blick in Fraunhofer-Labore, trifft man auf viele Forscherinnen und Forscher, die an entsprechenden Lösungen tüfteln. Am Forschungsprojekt Kulturerbe beteiligen sich insgesamt 16 Fraunhofer-Institute zusammen mit ihren Partnern, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Der Fraunhofer-Vorstand fördert das Projekt mit 1,5 Mio Euro. »Damit ist es eines der größten deutschen Forschungsprojekte auf dem Gebiet des Kulturerbes«, freut sich Dr. Johanna Leissner, Koordinatorin des Vorstandsprojekts und Sprecherin der Forschungsallianz Kulturerbe in Brüssel. Auf der Abschlussveranstaltung in Dresden im September dieses Jahres wurden die Projektergebnisse präsentiert - ein Beitrag der Fraunhofer-Gesellschaft zum Europäischen Jahr des Kulturerbes.

3D-Digitalisierung am Fließband

Einer der Wege, unser Kulturerbe für die Nachwelt zu retten, ist die Digitalisierung der Kunstobjekte in 3D. Auf diese Weise lassen sie sich jederzeit nutzen, und das parallel: Während Forschungsteams einen digitalisierten Tempel online untersuchen, können zur selben Zeit Museumsbesucher auf aller Welt virtuell durch das antike Bauwerk schlendern.


Foto: © Fraunhofer IGD

CultLab3D: Die mit dem Kulturerbe/Europa Nostra Award 2018 ausgezeichnete Scanstraße digitalisiert vollautomatisch Objekte.
Foto: © Fraunhofer IGD

Bisher war diese Digitalisierung in 3D zeitaufwändig. »Mit unserer automatisierten Scanstraße namens CultLab3D ist es nun erstmalig möglich, ganze Museumssammlungen in die digitale Welt zu übertragen«, erläutert Pedro Santos, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt. Einfach den QR-Code des Objekts einlesen, den Gegenstand auf ein Tablett legen - alles Weitere läuft von selbst. Heraus kommt eine dreidimensionale digitale Kopie. Und zwar mit einer hohen Geschwindigkeit: Alle fünf Minuten lässt sich ein neues Objekt digitalisieren. Neun Kameras nehmen den Gegenstand von mehreren Seiten auf. Eine Software erstellt aus diesen Aufnahmen die dreidimensionale digitale Rekonstruktion. Die Methode funktioniert auch mit großen Statuen, dann allerdings nicht automatisiert, sondern per Hand. So digitalisierten die Fraunhofer IGD-Forscher den Pergamonaltar - mit einem leichten Laserscanner. Nun gehen die Forscherteams noch einen Schritt weiter: »Wir stellen künftig nicht nur die Geometrie, Textur und optischen Materialeigenschaften, kurz das Äußere eines Objekts dar, sondern berücksichtigen auch das Innere«, sagt Constanze Fuhrmann, Wissenschaftlerin und Koordinatorin des Teilprojekts »Neuartige digitale 3D-Material- und Schadensanalyse« am Fraunhofer IGD. »Die von verschiedenen Technologien gewonnenen Daten zum Inneren und Äußeren des Objekts werden in einem 3D-Modell einheitlich zusammengeführt und dreidimensional vor dem Bildschirm im Raum visualisiert.« Die erstmalige Zusammenführung digitaler Fraunhofer-Verfahren ermöglicht völlig neue Schadens- und Materialanalysen in 3D, siehe Kasten »Digitale Material- und Schadensanalyse in 3D«.

3D-Digitalisierung trifft Ultraschall

So haben die Experten den Ansatz von CultLab3D um eine Ultraschall-Untersuchung erweitert. »Die Restauratoren können also in der digitalen Darstellung in das Innere des Objekts hineinzoomen und erkennen somit sofort, ob sich dort Instabilitäten, Korrosion und Löcher verbergen«, sagt Peter-Karl Weber, Gruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT. Das Besondere: Solche Untersuchungen sind nun innerhalb weniger Sekunden abgeschlossen.

Möglich macht es ein elastischer Gurt, der an dem Objekt befestigt wird. »An ihm ist jeweils ein Ultraschallwandler angebracht. Über eine spezielle Elektronik können die Wandler zwischen Sender und Empfänger umschalten. Statt die Ultraschallwandler ständig neu positionieren zu müssen, reicht es nun, dem Kunstobjekt den Gurt umzulegen. Eine Kamera erkennt über QR-Codes auf den Wandlern, an welcher Stelle das Ultraschall-Tomogramm aufgenommen wurde, eine Software fügt die Ultraschallbilder in den digitalen Scan ein.

Bei Ultraschalluntersuchungen tragen Mediziner ein Gel auf die Haut der Patienten auf, um den Ultraschall in den Körper zu leiten. Bei Kunstgegenständen würde das Gel die Objekte beschädigen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP entwickeln daher ein Material, mit dem sich der Ultraschall trocken einkoppeln lässt. Dieses Material hat die gleichen Eigenschaften wie das Gel und lässt sich rückstandsfrei entfernen.

Goldemail im Grünen Gewölbe

Eines der berühmtesten Museen Sachsens ist das Grüne Gewölbe im Dresdner Schloss. Darin befinden sich auch die filigranen Goldemail-Preziosen vom Hofjuwelier Dinglinger, die den Hofstaat des indischen Großmoguls darstellen. Diese waren mehrere Jahrzehnte in Vitrinen ausgestellt, die unbekannterweise viele Schadstoffe ausgasten. Die Folge: Die kunstvolle Emaillierung platzte Stück für Stück ab. Zwar wurden die Splitter akribisch gesammelt. Doch wie lassen sie sich wieder fixieren? Die Anforderungen an ein geeignetes Konservierungsmaterial sind extrem hoch: Es muss transparent sein, eine sehr lange Haltbarkeit besitzen, ähnliche Eigenschaften aufweisen wie Glas und darüber hinaus Email und Metall fest miteinander verbinden.

»Das passende Material - das Email-ORMOCER® - haben wir am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg bereits vor zwanzig Jahren entwickelt«, erklärt Dr. Gerhard Schottner, der dortige Abteilungsleiter. Dieser Werkstoff eignet sich nicht nur zur nachhaltigen Konservierung von Email-Preziosen, sondern, wie sich in der Restaurierungswerkstatt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden herausgestellt hat, zum dauerhaften Kleben von Elfenbein und Bergkristall. Leider waren im Laufe der Jahre die von der Industrie gelieferten Ausgangsstoffe nicht mehr in der benötigten Qualität erhältlich. Denn kleinste Unreinheiten können bei der Synthese dieser Silizium-organischen Verbindungen bereits große Unterschiede bewirken. Was also tun? »Wir brauchen für den Erhalt von Kulturerbe das beste Material. Die benötigten Mengen sind aber extrem klein«, erklärt Schottner. Daher sind Materialentwicklung und Vertrieb unrentabel für ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen. Das Vorstandsprojekt und eine Finanzierung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt boten einen Ausweg. Das ISC-Team analysierte die Ausgangstoffe sowie Einzelschritte der Herstellung bis ins kleinste Detail, wie Feuchtigkeit und Temperatur, und untersuchte den Einfluss der verschiedenen Lösungsmittel auf das Endprodukt. Nun ist fast geschafft: Das Material ist in der Endphase des Testens, der verantwortliche Restaurator Rainer Richter von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist höchst zufrieden.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution96

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Fraunhofer-Gesellschaft, 03.12.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2018

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