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MEDIEN/115: Spielfilme zum Thema Sterbehilfe (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 06/2005

Ende von Würde und Sinn?
Neue Spielfilme zum Thema Sterbehilfe

Von Reinhold Zwick


In den vergangenen Wochen kamen zwei Oscar-prämierte Filme zum Thema aktive Sterbehilfe in die Kinos und sorgten für hitzige Diskussionen. Beide Filme lassen Priesterfiguren auftreten, die jeweils die Position der Kirche repräsentieren sollen, und fordern auf diese Weise eine Auseinandersetzung aus christlicher Perspektive heraus.

Während der Streit um die Wachkoma-Patientin Terry Schiavo in seine letzte Phase ging (vgl. HK, Mai 2005, 236 ff.), kamen kurz hintereinander gleich zwei Filme zum Thema "aktive Sterbehilfe" ins Kino: Alejandro Amenábars "Das Meer in mir" (span. Originaltitel: "Mar adentro"; Oscar für den besten ausländischen Film) und Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" - ausgezeichnet mit vier Oscars (bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin und bester Nebendarsteller).

Amenábar dramatisierte einen tatsächlichen Fall: den Kampf des querschnittsgelähmten galizischen Fischers Ramón Sampedro, der über lange Jahre hin vor die Gerichte zog, um für sich das Recht auf aktive Sterbehilfe zu erstreiten - vergeblich: Er nahm schließlich am 12. Januar 1998, fünfundzwanzig Jahre nach seiner Lähmung, mit Hilfe von Freunden Zyankali und ließ sein Sterben auf Video festhalten, um seinen Kampf über den Tod hinaus fortzusetzen. Eastwood und sein Drehbuchautor Paul Haggis hingegen adaptierten Motive aus dem Kurzgeschichten-Band "Rope Burns" von F. X. Toole. Beide Filme warten auf eine differenzierte Auseinandersetzung von christlicher Seite, ja fordern diese förmlich ein, indem sie beide Priesterfiguren auftreten lassen, die jeweils die Position der katholischen Kirche repräsentieren sollen.


Der Handschuh ist also in den Ring geworfen, entschlossen aufgenommen wurde er aber nur von evangelikalen Kreisen in den USA. Doch die wieder einmal sehr plakative Art und Weise, wie sie gegen Eastwood zu Felde zogen (vgl. Franz Everschor: Menschen im Zwiespalt. Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" als Objekt der Euthanasie-Debatte, in: film-dienst, Nr. 5, 2005, 48-49) und wohl demnächst auch Amenábar attackieren werden, machte es den Verteidigern dieser Filme leicht, die von dieser Seite vorgetragenen Einwände als "fundamentalistischen Eifer" abzuschmettern. Denn die Filme sind fraglos differenzierter, als dass holzschnittartige Vorwürfe greifen würden.

Auffällig bleibt aber, dass sie im europäischen Raum in den Kritiken der Tagespresse hinsichtlich ihrer ethischen Problematik derart lässig durchgewinkt wurden, während das Thema Sterbehilfe auf der politischen Ebene sehr kontrovers diskutiert wird (man erinnere sich nur an den unlängst im Europaparlament gescheiterten neuerlichen Vorstoß zu einer Liberalisierung).

Vergleicht man diese Stille mit der Aufregung um den Film "Die Sünderin" (Regie: Willi Forst, 1950), die sich ja nicht, wie oft kolportiert, an seinen Nacktszenen mit der jungen Hildegard Knef entzündet hatten, sondern vor allem - vor dem Hintergrund der Euthanasie-Politik der Nazizeit! - an seiner Sympathie für eine Tötung auf Verlangen, dann kann man ermessen, welche Umbrüche sich seither im öffentlich ausgetragenen Moral-Diskurs ereignet haben. So dankbar man sein darf, dass solche Zeiten einer überhitzten Stimmungsmache gegen Kunstwerke vorbei sind, so sehr verwundert doch jetzt die weithin herrschende Unsichtbarkeit einer kritischen Einrede. Zumal es sich bei der aktiven Sterbehilfe immer noch um ein heißes Eisen handelt, das kaum je ein Spielfilm anzupacken gewagt hat.


Der 32-jährige Amenábar, der durch die subtilen Horror- und Psychothriller "Tesis" (1996) und "Virtual Nightmare - Open Your Eyes" (1997) bekannt geworden ist, erzählt in "Das Meer in mir" eine vom äußeren Ablauf her ebenso einfache wie ethisch komplexe Geschichte: Als wir Ramón Sampedro begegnen, liegt der verhängnisvolle Kopfsprung in seichtes Wasser, der eine Querschnittslähmung vom Hals abwärts zur Folge hatte, schon ein Vierteljahrhundert zurück. Ramón, der in seinem Elternhaus von seiner Schwägerin, einer einfachen, patenten Frau von großer Herzenswärme gepflegt wird, hat eine Reihe von einfachen Apparaturen ersonnen, die es ihm ermöglichen, Telefonate anzunehmen und mit dem Mund zu schreiben.

Das Schreiben ist die eine seiner beiden Passionen: Er verfasst Gedichte, die seine Entbehrungen und Sehnsüchte reflektieren und damit zugleich an seiner anderen "Passion" Anteil haben: seinem langjährigen Ringen um die staatliche Erlaubnis, sein Leben durch aktive Sterbehilfe zu beenden. Unterstützung für seinen öffentlichen juristischen Kampf findet Ramón im "Verein für humanes Sterben". Vor Gericht vertreten lassen will er sich aber lieber von jemandem, der sich aufgrund eigener Behinderung in seine Situation einfühlen kann. So vermittelt ihm der Verein die unheilbar kranke Anwältin Julia (Belén Rueda), die sich prompt in ihren charmanten und unbeschadet seiner Lähmung sehr gut aussehenden Mandanten verliebt. Zunächst plant sie, gemeinsam mit ihm in den Tod zu gehen, sobald erst das Buch mit Ramóns Gedichten, bei dessen Edition sie ihn unterstützt, erschienen ist.


Ins Groteske gesteigerte Begegnung mit einem Priester

Doch eine abermalige Verschlechterung ihres Zustands entfernt sie räumlich von Ramón, und über ihren Todeswunsch siegt schließlich der Pflegewille ihres Ehemanns. Nachdem Ramón auch bei der letztinstanzlichen Verhandlung gescheitert ist, lässt er sich in ein romantisch am Meer gelegenes Hotel bringen, wo er vor laufender Kamera Gift nimmt. Geholfen hat ihm dabei die Arbeiterin Rosa (Lola Dueñas), eine alleinerziehende Mutter, die über die Medien auf ihn aufmerksam geworden war. Wie die Anwältin verliebte auch sie sich in Ramón, nur wollte sie ihn anfangs gerade umgekehrt wie ihre Nebenbuhlerin aus Liebe von seinem Sterbewunsch abbringen. Schließlich aber kann Ramón auch Rosa davon überzeugen, dass sie ihre Liebe zu ihm am besten dadurch beweist, dass sie ihm zu sterben hilft.


Aus dem Bündel von Fragen, die der Film aufwirft, seien zwei herausgegriffen, die ins Zentrum der ethischen Problematik führen: Ist Ramóns Fall dezidiert als "Einzelfall" zu würdigen? Und: Ist sein Leben "würdelos", so wie er es selbst im Film wiederholt qualifiziert und wogegen er keinen Widerspruch duldet?


Dass es ihm um ein Einzelschicksal und nicht um eine generelle Apologie der aktiven Sterbehilfe gegangen sei, hat Amenábar wiederholt erklärt. Besonders sein Hinweis auf den angeblich singulären Charakter des gezeigten Wegs wurde dann in der Filmkritik gerne aufgegriffen, um die ethische Problematik zu entschärfen.

Zwar weist Ramón in den Filmdialogen wiederholt darauf hin, dass er seinen Sterbewunsch als ganz persönliche Antwort auf seine Behinderung begreife und kein allgemeingültiges Fanal für aktive Sterbehilfe setzen wolle. Und auch die Leiterin der Sterbehilfe-Organisation unterstreicht den Einzelfallcharakter seines Prozesses. Dennoch macht man es sich zu leicht, folgt man dieser Spur unkritisch. Denn im Einzelfall zielt Amenábar doch unübersehbar auf ein Allgemeines. Schon der authentische Ramón Sampedro wollte ja mit seinem juristischen Feldzug seinen Sterbewunsch auf eine exemplarische Ebene heben und sich eben nicht heimlich aus dem Leben stehlen. Und tatsächlich war ja sein Fall seinerzeit in Spanien Gegenstand einer großen öffentlichen Kontroverse, bei der es um grundsätzliche Fragen des Lebenswertes, der Lebenswürde und des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod ging.

So lässt denn auch Amenábar den Anwalt des Sterbehilfe-Vereins vor Gericht Ramóns Schicksal zur Nagelprobe darauf erklären, ob Spanien nun tatsächlich der "laikale" Staat ist, der zu sein es heute beansprucht, oder ob unterschwellig weiterhin religiöse Moralvorstellungen tonangebend sind. Dabei unterstellt der Anwalt stillschweigend, dass ein laikaler Staat automatisch aktive Sterbehilfe erlauben würde, als stünden dem allein christlich motivierte Bedenken entgegen. Zugleich wird Ramóns Position auch filmdramaturgisch mit Nachdruck beworben: Neben Ramón als dem Sympathieträger schlechthin stehen von Anfang an alle Figuren, die seinen Todeswunsch bejahen, in einem günstigen Licht. Unter den Widerständigen finden nur diejenigen die Gnade der Regie, die schließlich vor seinen Argumenten (und seinem Charme) kapitulieren und offen (wie Rosa) oder eher stillschweigend (wie seine Schwägerin) auf seine Position umschwenken. Dafür werden sie schon im Vorgriff von der Inszenierung belohnt, indem sie selbst zu der Zeit, da sie noch gegen den Todeswunsch opponieren, als sympathische Figuren exponiert werden. Ramóns Bruder hingegen, der hartnäckig opponiert, wird als bornierter Bauer karikiert, von dessen schlichten Einlassungen zur Sache sich die Zuschauer offensichtlich durch Verlachen distanzieren sollen.


Strukturell nicht viel anders ist es mit der Figur eines (nicht gerade sympathisch besetzten) Priesters, der selbst querschnittsgelähmt ist und Ramón davon überzeugen will, dass in seinem Leiden Sinn liege. Allein die ins Groteske gesteigerten Umstände ihrer Begegnung zeigen deutlich, wo Amenábar steht und wo er seine Zuschauer stehen haben möchte: Der an den Rollstuhl gefesselte Priester will Ramón in seinem Krankenzimmer aufsuchen, doch trotz vereinter Kräfte schafft man es nicht, ihn das enge Treppenhaus hochzuwuchten.

Deshalb führt er einen Dialog über die Stiege hinweg, wobei einer seiner Gehilfen, wohl ein junger Priesteramtskandidat, als eine Art fliegender Bote zwischen Erd- und Obergeschoss die Worte übermittelt. Dem fürwahr Lachhaften dieses Arrangements korrespondiert das Lachhafte der Argumente des Priesters: Statt dass er, der selbst ein Leidender ist, aus eigener, existentieller Betroffenheit heraus spräche, läßt ihn Amenábar nur theologische Formeln, wie die vom "Geschenks des Lebens, das man nicht eigenmächtig zurückweisen" dürfe, vorbringen. So ist keinen Moment fraglich, dass der authentisch argumentierende Ramón den Sieg in diesem kurzen Disput davontragen wird.


Ein würdeloses Leben?

Ramóns wiederholt vorgebrachte Selbsteinschätzung, sein Leben sei "würdelos", emotional nachzuvollziehen, dürfte nicht wenigen Zuschauern schwer fallen. Ramón ist bestens versorgt, geistig völlig wach, schlagfertig, sprühend vor Witz und kreativ im Erfinden und Schreiben. Seine Agilität und sein Charme machen ihn für Frauen attraktiv, ja Rosa signalisiert ihm sogar, sie wäre bereit, mit ihm auf sexuelle Praktiken einzugehen, die ihm in seiner Behinderung möglich wären. Wie Ramón lebt, wie er kommuniziert und wie er eingebunden ist in einen Kreis ihn liebender Menschen, das alles macht seine Rede von der "Würdelosigkeit" seines Lebens mehr als obsolet. Gleichwohl unterstützt der Film diese Qualifikation, gewissermaßen gegen den Strich seiner eigenen Inszenierung, fast trotzig auf ihr insistierend.

Angesichts der Lebensverhältnisse des Ramón im Film überrascht es freilich nicht, dass manche Menschen, die mit Schwerstbehinderten und -kranken zu tun haben, Zweifel beschleichen, ob in einem solchen Fall ein Sterbewunsch derart vehement durchgehalten würde. Dies bezweifelt beispielsweise Eugen Brysch von der "Deutschen Hospiz-Stiftung", den Wolfram Knorr, der Filmkritiker der Züricher "Weltwoche" (Nr. 10, 2003), in diesem Zusammenhang wie folgt zitiert: "Wer so gut versorgt wird wie der Seemann Ramón in dem Film, will nicht sterben. Euthanasie fordern Menschen ein, die keine professionelle umfassende Begleitung bekommen." Deshalb verbreite der Film, so Brysch weiter, eine "unrealistische Propaganda pro Euthanasie". Knorr kontert dieser Kritik mit dem Hinweis auf den angeblichen "Einzelfall Ramón und sein radikal subjektives Eingeschlossensein".

Doch hält "Das Meer in mir" tatsächlich die Balance zwischen verschiedenen Positionen zur aktiven Sterbehilfe, wie in etlichen Filmkritiken zu lesen war? Ist er schon deshalb "kein Manifest für Euthanasie", "sondern ein Versuch, sich auf differenzierte Weise dem Thema der aktiven Sterbehilfe zu stellen", weil er, wie der Kritiker des "film-dienst" (Nr. 5, 2005) meint, "auch Gegenpositionen" zeige? Hätte Amenábar solche Ausgewogenheit gewollt, dann hätte er die Figuren, die diese Gegenposition durchhalten, nicht denunzieren dürfen. Und er hätte auch den vorgeblichen "Einzelfall" Ramón nicht durch die Inszenierung derartig bewerben dürfen, dass eine Verallgemeinerung des individuellen Schicksals zum grundsätzlichen Plädoyer auf der Hand liegt. Amenábar argumentiert dabei nicht philosophisch, wie etwa Jean Améry in seinem Essay über das Recht des Menschen zum Freitod. Vielmehr argumentiert er letztlich aus eben jener laikalen Position, die er Ramóns Anwalt vor Gericht vertreten lässt.


Dass er ohne solche Pappkameraden auskommt, wie sie offensichtlich Amenábar braucht, dass er stattdessen die tiefen moralischen Konflikte ins Innere seiner positiven Hauptfiguren selbst hineinverlegt, das allein macht Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" überzeugender als den spanischen Beitrag. Eastwood erzählt seine Geschichte noch schnörkelloser als Amenábar, wodurch sich ihre Tragik noch heftiger mitteilt.

Mit seinen über siebzig Jahren leitet Frankie Dunn (gespielt von Eastwood selbst) noch immer ein Box-Studio in Los Angeles. Eines Tages erscheint dort Maggie Fitzgerald (Hilary Swank), um bei Frankie, der schon viele spätere Meister aufgebaut hat, Boxunterricht zu nehmen. Maggie kommt aus völlig desolaten Familienverhältnissen, hält sich mit einem Job als Bedienung über Wasser, widmet ansonsten aber jede freie Minute dem Training. Mit Anfang Dreißig ist sie eigentlich weit über das Alter hinaus, in dem man sie, bei vorhandenem Talent, im Profiboxen zum Erfolg führen könnte. Deshalb, aber auch weil er grundsätzlich keine Frauen trainiere, weigert sich Frankie anfangs, Maggie unter seine Fittiche zu nehmen. Doch sie glaubt fest an ihre Berufung zur Boxerin.

Mit ihrer Zähigkeit nimmt sie zunächst den alten Ex-Boxer Eddie "Scrap" Dupris (Morgan Freeman) für sich ein, der in Frankies Gym eine Art "Mädchen für alles" ist. Scrap gibt ihr heimlich erste Lektionen und allmählich öffnet sich auch Frankie für sie. Ohne dass er es sich eingesteht, rückt Maggie langsam ein in die Rolle einer Ersatztochter, denn seine leibliche Tochter hat schon vor Jahren mit ihm gebrochen. Er besitzt ganze Kartons mit seinen wöchentlichen Briefen an sie, die allesamt mit dem Vermerk "Annahme verweigert" zurückgekommen waren. Schließlich übernimmt er die Betreuung von Maggie, und sie ist bereit, alles zu tun, was ihr "Boss" - wie sie ihn beharrlich nennt, obwohl er auch ihr längst ein Vater-Ersatz geworden ist - von ihr erwartet.

Als die ersten Kämpfe kommen, boxt sich Maggie schnell nach oben. Vor ihrem ersten großen Kampf in Übersee, in London, schenkt ihr Frankie ihren ersten Kampfmantel für den Auftritt in der Arena. Auf den Rücken hatte er auf gälisch, in der alten Sprache seiner früheren Heimat, aufsticken lassen: "Mo chuisle". Bereits dieser Name weckt Begeisterung beim Publikum, und diese verstärkt sich noch nach Maggies bravourösen Sieg. Die gälische Wendung wird Maggies "Markenname", doch was sie bedeutet, wird ihr Frankie erst auf dem Sterbebett offenbaren: "Mein Schatz, mein Blut". Mit der Mantelübergabe hat Frankie Maggie zeichenhaft als Tochter im Geiste adoptiert.


Dann aber nimmt Maggies kometenhafter Aufstieg ein jähes Ende: Bei ihrem ersten, mit einer Millionen-Börse ausgestatteten Kampf (daher der Filmtitel) um die Weltmeisterschaft, wird sie von ihrer schmutzig kämpfenden Gegnerin hinterhältig niedergeschlagen und fällt so unglücklich auf den bereits von Frankie in die Ringecke eingestellten Hocker, dass sie sich den Hals bricht. Als sie im Krankenhaus wieder aufwacht, ist sie querschnittsgelähmt - ohne jede Hoffnung auf Heilung. Frankie und Scrap besuchen sie jeden Tag. Besonders Frankie, der um seine Mitschuld an ihrem Zustand weiß, sitzt viele Stunden an ihrem Bett und versucht, ihr Mut zu machen.


Die große Chance als Lebenssinn?

Doch Maggies Zustand verschlechtert sich zusehends. Sie liegt sich auf, und eines Tages muss ihr der linke Unterschenkel, der sich entzündet hatte, amputiert werden. Nach der Operation bittet sie Frankie, "um einen Gefallen". Er solle für sie das tun, was einst ihr Vater mit ihrem gelähmten Schäferhund getan hatte: sie von ihren Qualen erlösen. Frankie, der zwar mit seinem katholischen Glauben hadert, aber gleichwohl schon vor Maggies Unfall jeden Tag die heilige Messe besuchte, stürzt dieser Wunsch in ein schreckliches Dilemma. Zunächst verweigert er sich, und in dieser Haltung bestärkt ihn mit Nachdruck auch sein Pfarrer.

Doch als er sieht, wie Maggie verfällt und wie sehr sie zu sterben wünscht - sie hatte sich eines Nachts in ihrer Verzweiflung die Zunge abgebissen, weil sie verbluten wollte - da ringt er sich schließlich, nicht zuletzt von Scrap dazu ermuntert, durch, ihr aktiv Sterbehilfe zu leisten. Heimlich geht er nachts auf Maggies Station, stellt die Atemgeräte ab und gibt ihr eine schnell wirkende tödliche Spritze. Wie es Frankie nach seiner Tat ergeht, bleibt offen. In sein Box-Studio wird er jedenfalls nie zurückkehren. Wenn uns der Film am Ende zu dem Roadside-Diner zurückführt, in dem er einst mit Maggie eine glückliche Stunde verbracht hatte, so deutet sich darin nur an, dass er auf die Spur des Lebensabend-Projekts, das sie für ihn (wie für ihren Vater) bei dieser Gelegenheit entworfen hatte, eingeschwenkt ist, dass er ihr so symbolisch nahe bleibt und über ihren Tod hinaus sein Versprechen hält, sie nie zu verlassen.


Dass sich Maggie den Tod wünscht, erscheint viel plausibler als bei Ramón. Sie hat niemanden außer Frankie und Scrap. Und zugleich ist sie in ihren vitalen Möglichkeiten noch eingeschränkter als ihr spanischer Leidensgenosse: angewiesen auf künstliche Beatmung und künstliche Ernährung, bleiben ihr nur das Sprechen und das Sehen. Maggie wäre zweifelsohne ein Fall, in dem eine verantwortete Patientenverfügung über den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen greifen könnte. Aber eine solche Möglichkeit war für sie überhaupt nicht im Horizont.

Dass sich Frankie nach seinen anfänglich starken, nicht zuletzt auch religiös motivierten Zweifeln dazu durchringt, Maggies Willen zu erfüllen, wäre emotional sehr gut nachvollziehbar. Fragwürdig wird sein Handeln aber dadurch, dass er sich zu dessen Rechtfertigung der Pro-Sterbehilfe-Argumentation von Scrap anschließt. Denn Scrap argumentiert mit einer verqueren "Maggie hatte ihre Chance"-Logik, die er durch seine eigene Biographie autorisiert sieht: Auch er hätte einst seine Chance gehabt; er habe zwar verloren, aber allein im Dass der Chance, wäre für ihn "alles, was (er) wollte, erreicht gewesen". Anders als er und Maggie hätten so viele Menschen, ja wohl die meisten, nie in ihrem Leben eine Chance, ganz nach oben zu kommen. Wer aber diese Chance hatte, der könne auch gelassen sterben. Scrap zufolge verdanke Maggie Frankie diese eine große Chance, und insofern habe er ohnehin schon das Beste für sie getan und deshalb könne er Maggie nun auch einen guten Tod sterben lassen.

Diese Gedankenfigur akzeptiert Frankie ohne wenn und aber. Da geht er jeden Tag in die Kirche, da räsoniert er über theologische Spitzenaussagen wie die Trinität oder die Jungfrauengeburt und nervt jeden Tag nach der Messe seinen Pfarrer mit entsprechend spekulativen Fragen, aber die elementarsten Lektionen des christlichen Menschenbildes scheint er all die Jahre versäumt zu haben. Vielleicht wollte er sie auch vergessen, weil ihm die von Scrap angebotenen Kategorien der amerikanischen Erfolgsethik, also die Idee der "one big chance" und eines "win all or lose all", einen Ausweg aus seinem tiefen moralischen Dilemma eröffneten.

Nicht anders wie Scrap, und ebenfalls ohne dabei durch die Inszenierung kritisch angefragt zu werden, argumentiert Maggie selbst. Auch sie ist fixiert auf den Ruhm, den sie auf dem Weg zu ihrer "großen Chance" genossen hatte. Jetzt aber, hilflos aufs Lager gefesselt, wolle sie nicht so lange leben, bis die Erinnerung an den Applaus der Menge verblasst ist. Beschwörend sagt sie Frankie: "Ich will hier nicht liegen, bis ich die Menschen nicht mehr jubeln höre." Und Scrap sekundiert: Maggie war eine "Kämpferin und will kämpfend gehen", das heißt aktiv in den Tod gehen und nicht vegetieren.

Freilich: Maggie hatte ihre ganze Existenz allein auf den sportlichen Erfolg ausgerichtet und nie gelernt, dass noch anderes im Leben zählt. Hier hat Frankie gegenüber seiner "Adoptivtochter" versagt und sich in gewisser Weise an ihr schuldig gemacht, wie wohl früher auch an seiner leiblichen Tochter. Der Priester deutet Frankie gegenüber die Möglichkeit einer tiefen Schuld in der Vergangenheit an, und Frankies Leben scheint auch den ganzen Film über von einer solchen Schuld grundiert zu sein, ohne dass wir jedoch erfahren, worin sie möglicherweise gründet.

Was die "one chance"-Argumentation von Scrap, der Frankie in fast mantra-artiger, selbstbeschwörender Weise zustimmt, zusätzlich belastet, ist der schlichte Umstand, dass es der Schauspieler Morgan Freeman ist, der sie vorbringt. Durch viele Vorgängerrollen ist Freeman förmlich abonniert auf den Typus der moralisch integren Figur. Das gipfelte in seiner Rolle als menschenfreundlicher Gott in der Filmkomödie "Bruce allmächtig" (USA 2003). Nun hören wir Freeman in "Million Dollar Baby" (und hören auch dieselbe sonore Synchronstimme wie in "Bruce allmächtig") die aktive Sterbehilfe legitimieren. Sollte dabei nicht das in früheren Rollen etablierte Image der Moralinstanz auf das Boxerdrama überspringen? Denn auch in "Million Dollar Baby" wird Scrap als absoluter Sympathieträger exponiert. Und obendrein ist es Scraps Erzählerstimme, die uns aus dem Off durch den Film führt, die das Geschehen von olympischer Warte überblicken und kommentierend erläutern darf.


Der katholische Priester hatte von der großen Sünde und vom radikalen Verbot der aktiven Sterbehilfe gesprochen. "Sie halten sich da heraus", forderte er Frankie auf, "und überlassen die Sache Gott!" Doch seine Logik überzeugt wohl die Kinozuschauer ebenso wenig wie Frankie. Denn im Krankenhaus ist "die Sache" sichtlich nicht Gott, sondern den Ärzten und Apparaten überlassen, die gottgleich über die Dauer des Lebens verfügen. Gegenüber den Lehrbuchsätzen des Priesters erscheinen die Einstellungen von Frankie und Scrap gedeckt von einer langen, in tragischen Ereignissen geläuterten Lebenserfahrung.


Das Recht auf einen Tod in Würde wird verschattet

Ebenso erhält die Todesbitte von Maggie aus ihrer Leidenserfahrung eine unabweisbare Dignität. Gerade weil man Maggies Wunsch, sterben zu dürfen, angesichts ihrer fatalen Situation so gut nachempfinden kann, werden die zur Legitimation der Sterbehilfe bemühte "One Chance"-Argumentation und das Menschenbild, auf dem diese aufruht, noch fragwürdiger, als sie es ohnehin sind. Diese Kritik zielt aber natürlich nur auf die "Story" und ihren impliziten Autor, nicht auf Eastwood selbst. Denn vielleicht wolle er uns ja gerade auf diese Weise die Fragwürdigkeit einer solchen leistungsethischen Wertoption sinnfällig machen. Dazu müssen wir sie aber auch in ihrer Fragwürdigkeit wahrnehmen und ihr die Zustimmung verweigern.


Die filmkünstlerisch zweifelsohne bemerkenswerten Filme "Das Meer in mir" und "Million Dollar Baby" in ethischer Hinsicht zu hinterfragen, hat nichts zu tun mit einer "alten Angst vor der Verführbarkeit durch Bilder", wie Wolfram Knorr, der Kritiker der "Weltwoche", argwöhnt. Befürworter der aktiven Sterbehilfe brauchen keine Filme, um sich mit Argumenten zu munitionieren. Und für Menschen, die selbst in derart tiefen Krisenlagen gefangen sind, dass sie sich womöglich Hilfe zum Sterben wünschen, werden diese Krisen sicher auch nicht im Kino entschieden.

Dennoch: Die beiden Filme sind Voten in einer derzeit öffentlich und auf politischer Ebene (vgl. die Diskussionen im Bundestag um die Regelung der "Patientenverfügung") geführten Debatte und sollten auch als solche Stellungnahmen, und zwar als besonders breitenwirksame und eindrucksstarke, und nicht nur als bloße Kinostücke diskutiert werden. Zudem rufen sie mit ihren Priesterfiguren dezidiert die christliche Ethik auf und provozieren, indem sie ihre Positionen plakativ vergröbern, eine kritische Einrede. Auch wenn eine solche Einrede wieder für das Marketing funktionalisiert werden könnte, sollte man sich von ihr nicht einfach deshalb dispensieren, weil man den Produzenten diesen Gefallen nicht tun wolle.

So unterschiedlich beide Filme argumentieren, so ist doch in beiden das eingeforderte Recht auf ein Sterben-Lassen und einen Tod in Würde verschattet, und zwar weniger durch das Moment des Aktiven der geleisteten Sterbehilfe als durch ihre ideologische Verbrämung: bei Amenábar durch einen plakativen Antiklerikalismus und das Pathos einer "laikalen" Autonomie, bei Eastwood, indem über den Wert des (Weiter-)Lebens am Ende nach den dubiosen Maximen einer uramerikanischen Erfolgs- und Leistungsethik entschieden wird.

So wird das emotional und rational sehr wohl nachvollziehbare Sterben-Wollen der Boxerin Maggie am Ende überwölbt von einer ebenso fatalen Sicht vom Sinn des Lebens wie umgekehrt das Sterben Ramóns von einer verzerrten Wahrnehmung von der Würde des Lebens. Bleibt nur zu hoffen, dass die Preise, die die Filme "abgeräumt" haben, nicht auch ein Ausdruck der unbedingten Zustimmung zu dieser Ideologie sind. Reinhold Zwick


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Reinhold Zwick (geb. 1954) ist Professor für Biblische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Mitglied der Katholischen Filmkommission für Deutschland. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Verhältnis von Film und Theologie.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
59. Jahrgang, Heft 6, Juni 2005 , S. 304-310
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