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SPRACHE/914: Avatare im Einsatz für die Sprachforschung (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 27. Januar 2016

Avatare im Einsatz für die Sprachforschung

Virtuelle Realität ermöglicht detaillierte Experimente


Im Internet vertreten Avatare reale Menschen, im Comic retten sie die Welt. In der Wissenschaft ist die Verantwortung nicht ganz so groß. Trotzdem können Avatare in der Sprachforschung eine echte Hilfe sein, wie Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik herausfanden. Die Forscher haben erstmals künstliche Charaktere genutzt, um gesprochene Dialoge zu untersuchen - mit Erfolg. So werden künftig präzise Beobachtungen möglich, wie sich Menschen im Gespräch einander anpassen.

Eine spannende Forschungsfrage in der Psycholinguistik ist, wie sich Menschen in einer normalen Unterhaltung einander angleichen. Lange Zeit war die beste Untersuchungsmethode "Verbündete" einzusetzen: Gesprächspartner, die - ohne das Wissen der Testperson - den Auftrag hatten, auf bestimmte Art und Weise zu sprechen. Allerdings lassen sich manche Aspekte des Sprechverhaltens mit dieser Methode nicht untersuchen, beispielsweise kleinste Veränderungen in der Sprechgeschwindigkeit oder im Tonfall. Evelien Heyselaar, Peter Hagoort und Katrien Segaert vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen haben daher den menschlichen Verbündeten gegen einen Avatar ausgetauscht. Damit haben sie eine spannende neue Möglichkeit gefunden, um die Dynamik von Gesprächen zu beobachten.

Das Beste aus beiden Welten

Um die Schwächen menschlicher Verbündeter zu umgehen, hatten schon zuvor manche Forscher anstelle der menschlichen Gesprächspartner Tonaufnahmen eingesetzt. Allerdings ist es für Versuchspersonen ein deutlicher Unterschied, Gespräche mit einem Tonband zu führen statt mit einer Person, die gegenüber sitzt. Tatsächlich haben auch Studien gezeigt, dass die Testpersonen anders sprechen, wenn sie mit einer Tonaufnahme interagieren als wenn sie etwa ein Video vor Augen haben. Heyselaar und ihre Kollegen wollten herausfinden, ob virtuelle Realität eine Möglichkeit sein könnte, um das Beste beider Vorgehensweisen - den verbündeten Gesprächspartner und die reine Audio-Methode - zu kombinieren.

Tatsächlich vermittelt die virtuelle Realität mit einem Avatar regelrecht die physische Präsenz eines Gesprächspartners: Er überzeugt die Testpersonen, und zugleich können die Forscher dessen Sprechmuster bis in kleinste Detail steuern. Die Wissenschaftler überprüften die Wirksamkeit des Avatars an einem bekannten Phänomen, dem "syntactic priming". Das bedeutet, dass Sprecher dazu tendieren, eine gerade gehörte Satzkonstruktion selbst wieder zu verwenden. In dem Versuch ließen sie Testpersonen im Wechsel mit ihrem Gegenüber Bildkarten beschreiben, die der jeweils andere nicht vor Augen hatte.

Avatare funktionieren wie ein echtes Gegenüber

Da neuere Arbeiten gezeigt haben, dass sich Menschen umso stärker an ein Gegenüber anpassen, je mehr sie die Person schätzen, verglichen Heyselaar und ihre Kollegen das Verhalten von Testpersonen gegenüber einem menschlichen Partner, mit dem gegenüber einem menschenähnlichen Avatar oder einem Computer-Avatar. Die Avatare sahen gleich aus, unterschieden sich jedoch in ihrem Verhalten: Der menschliche Avatar zeigte realistische Gesichtsausdrücke wie Lächeln, erhobene Augenbrauen und Augenkontakt, während der Computer-Avatar starr blieb.

Wie vermutet, funktionierte der menschliche Avatar genauso gut wie der menschliche Partner. An beide passten die Versuchspersonen ihre Grammatik in ähnlichem Maße an, während das beim Computer-Avatar nicht der Fall war. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Avatare künftig völlig neue, detaillierte Studien zum Gesprächsverhalten von Menschen ermöglichen werden.   MD/ME


Originalpublikation
Heyselaar, E., Hagoort, P., Segaert, K.
In dialogue with an avatar, language behavior is identical to dialogue with a human partner.
Behavior research methods, 1-15
https://dx.doi.org/10.3758/s13428-015-0688-7

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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 27. Januar 2016
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2016

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