Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

AKZENTE/128: Drachen und Helden in der fantastischen Literatur (uni'leben - Uni Freiburg)


uni'leben - 01/2011
Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Monster auf Kuschelkurs
Regina Uhlen hat den Wandel im Verhältnis von Drachen und Helden in der fantastischen Literatur untersucht

Von Nicolas Scherger


Früher waren Drachen echte Ungeheuer. Feuer speiend, furchterregend und absolut böse. Heute gibt es Tabaluga, Puff the Magic Dragon und den kleinen Drachen Hab-mich-lieb. Herzensgute Wesen, halb Haustier, halb bester Freund. Wie grausam erschiene da ein Beowulf, Siegfried oder Sankt Michael, der diesen niedlichen Kreaturen mit Lanze und Schwert zu Leibe rücken wollte.

Was ist bloß aus den Drachen geworden? Regina Uhlen wollte es genau wissen. Sie studiert an der Universität Freiburg Englisch, Geschichte und Deutsch auf Lehramt und hat kürzlich ihre Abschlussarbeit mit dem Titel "Hero and Dragon in Modern Fantastic Literature" geschrieben. Darin untersucht sie, wie sich die Drachen in der fantastischen Literatur seit dem Mittelalter verändert haben. Eine ihrer Thesen: Am Verhältnis von Held und Drachen lassen sich wesentliche Elemente des neuzeitlichen Mentalitätswandels in europäischen Kulturen nachvollziehen.

Bis ins 19. Jahrhundert waren die Fronten klar. "Der europäische Drache ist eine Kombination aus der Gestalt des biblischen Teufels und dem Wurm, einem Monster aus der germanischen Mythologie", erklärt Uhlen. Ein christliches Symbol für das Böse, der Gegenspieler des idealisierten Herrschers. Doch um 1900 erscheinen in Großbritannien ironische Geschichten, die alles auf den Kopf stellen. "Plötzlich ist der Drache harmlos und gut. Die Prinzessin muss ihn vor dem Ritter schützen." Das religiöse Symbol wird umgedeutet, was Uhlen als Kritik an der Kirche interpretiert: "Der Drache steht jetzt für die unrechtmäßige christliche Verfolgung einer Spezies, die nichts dafür kann."


Das reine Böse ist verschwunden

Dieses Motiv macht Schule - erst recht, weil es auch als Absage an rassistische Ideologien dient. Dadurch wird das gesamte Genre umgekrempelt. Zwar sind nicht alle Drachen zu den Guten übergetreten. "Ich persönlich bin ja dafür, dass ein Drache auch mal böse sein darf", sagt Regina Uhlen und lacht. "Aber ein Wesen, das per se als böse abgestempelt wird, gibt es nicht mehr. Das wäre politisch unkorrekt." Daher finden sich in der modernen fantastischen Literatur nicht nur nette Drachen, sondern auch liebenswerte Monster, freundliche Orks oder harmlose Zombies. Und oft sind es Menschen, die in die Rolle der Bösewichte schlüpfen und zu einer Gefahr für Fabelwesen werden.

Die Vielfalt der Möglichkeiten, Gut und Böse zu sortieren und Drachen zu charakterisieren, beflügelt offenbar die Fantasie der Autoren. "Wir haben einen richtigen Drachenboom", sagt Uhlen. Die Beispiele reichen von einem weiblichen Drachen, der den Helden als Freundin und Helferin begleitet, über ein Drachenheer als Luftwaffe in den Napoleonischen Kriegen bis hin zu einem chinesischen Drachen, der in Europa seine kulturelle Identität sucht. Einen Lieblingsdrachen hat die 25-jährige Studentin nicht. "Ich mag sie alle."

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten wurde die Fantasy belächelt: als Schwarz-Weiß-Malerei, als Flucht aus der Realität. Dabei galten mittelalterliche Heldenepen samt ihren fantastischen Elementen schon damals als Hochliteratur. Regina Uhlens Arbeit zeigt, dass sich die Wissenschaft jetzt auch modernen Formen des Genres öffnet. Im vergangenen Herbst hat die Studentin ihre Thesen bei der Gründungskonferenz der Gesellschaft für Fantastikforschung vorgestellt - der ersten wissenschaftlichen Gesellschaft in Deutschland, die sich mit fantastischer Literatur beschäftigt. Dort werden Drachen weiterhin ein Thema sein, zumal ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist: "Ich warte auf einen Drachen, der die Hauptperson einer Heldengeschichte ist. Das haben wir bisher noch nicht."


Verband der Freunde

Regina Uhlen ist bei ihrer Teilnahme an der Gründungskonferenz der Gesellschaft für Fantastikforschung (GFF) vom Verband der Freunde der Universität Freiburg gefördert worden. Der gemeinnützige Verein wurde 1925 gegründet, um bedürftigen Studierenden zu helfen. Mit seinen etwa 800 Mitgliedern und den von ihm verwalteten Stiftungen unterstützt er auch heute noch vor allem Studierende, zum Beispiel durch finanzielle Hilfen bei Exkursionen und Forschungsvorhaben oder durch Examensstipendien und Preise für hervorragende Leistungen.
www.freunde.uni-freiburg.de


*


Quelle:
uni'leben - 01/2011, Seite 8
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (Redaktionsleitung),
Rimma Gerenstein, Nicolas Scherger
Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Fahnenbergplatz, 79098 Freiburg
Telefon: 0761/203-4301, Fax: 0761/203-4278
E-Mail: unileben@pr.uni-freiburg.de
Internet: www.leben.uni-freiburg.de

uni'leben erscheint sechsmal jährlich.
Jahresabonnement 9,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2011