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AKZENTE/142: Zakes Mda und Nakhane Touré - Literarische Begegnungen im Goethe-Institut in Johannesburg (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2016

Zakes Mda und Nakhane Touré
Literarische Begegnungen im Goethe-Institut in Johannesburg

von Beate Steinblum


Zakes Mda, der große alte Mann der südafrikanischen Literatur, kam eigens aus den USA nach Johannesburg, um sein neues Buch "Little Suns" vorzustellen. Im Rahmen der Reihe "Literary Crossroads" traf der Autor und Literaturprofessor an der Universität Ohio im Februar auf Nakhane Touré. Der 28-jährige Musiker und Schriftsteller ist mit seinem beachtlichen Debütroman "Piggy Boy's Blues" gerade beim jungen südafrikanischen Publikum sehr bekannt.


In diesem Jahr fördern die "Literary Crossroads" junge Autoren und stellen ihnen ihre Vorbilder zur Seite. So gab es gleich zu Beginn des Treffens einen bemerkenswerten Schlagabtausch, als der sichtlich nervöse Nakhane Touré erklärte, was es für ihn bedeutete, mit "dem großen Zakes Mda auf einem Podium zu sitzen", dem Mann, der ihn überhaupt erst zum Schriftsteller werden ließ. Daraufhin antwortete Zakes Mda mit der wunderbaren Anekdote, seine Kinder hätten ihn gefragt, ob er überhaupt wüsste, dass er mit einem ganz berühmten Musiker auftrete, der viel berühmter sei als er.

Damit war der Grundstein für einen unterhaltsamen und gleichwohl gehaltvollen Abend gelegt, in dem die beiden Protagonisten mit Witz, Humor und sehr kenntnisreich über ihre Bücher und ihr Schreiben berichteten. Zakes Mda, der Apartheid und Marginalisierung erlebt hat, und Nakhane Touré, ein "born free" und dennoch gefangen in der tragischen Geschichte seines Landes. Was verbindet zwei Autoren aus unterschiedlichen Generationen, wie unterschiedlich sind ihre Perspektiven? Kongenial moderierte der südafrikanische Journalist und Schriftstellerkollege Fred Khumalo deren wichtigen Dialog über die historische Rolle der Landschaft des Ostkaps für ihre Geschichten.


Little Suns

Zakes Mda ist ein Chronist, dem es in seinen Romanen meisterhaft gelingt, über Ereignisse und Umbrüche aus der bewegten südafrikanischen Geschichte zu erzählen und so einen Bogen zu spannen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Sein neuer Roman "Little Suns" beruht auf einer wahren Begebenheit aus der Zeit der Grenzkriege. Es ist die Geschichte von Mhlontho, dem letzten König der Mponodomise, der von 1882 bis 1903 in Lesotho im Exil lebte, weil er den Friedensrichter Hamilton Hope getötet hatte. Sein Widerstand gegen die britischen Streitkräfte und ihre Verbündeten, die amaMfengu und amaMpondo, 188 war zugleich der letzte Krieg während des hundertjährigen Widerstandes, den die südafrikanische Geschichtsschreibung als "Grenzkriege" bezeichnet.

"Little Suns" beginnt 1903. Der alte und gebrechliche Malangana - sein Name bedeutet "kleine Sonnen" - sucht seine geliebte Mthowakazi, die junge Frau, die er vor zwanzig Jahren geliebt hatte, bevor der Mord am Friedensrichter Hamilton Hope sie auseinander riss. Malanganas Geschichte wird mit der von Hamilton Hope verflochten, der im späten 19. Jahrhunderts als Angestellter der britischen Krone alles unternahm, um die alteingesessenen Könige im Ostkap zu schwächen und sie unter die Kontrolle der Briten zu bringen. Es war der Friedensrichter, der die AmaMpondomise auf das Schlachtfeld führen wollte, aber Malanganas Gewissen lies das nicht zu.

Rund um die wahren Begebenheiten um den Tod des Friedensrichters Hamilton Hope webt Zakes Mda eine Geschichte, die zugleich auch endlich den Stimmen derer Gehör verschafft, die durch die Kolonialisierung zum Schweigen gebracht wurden. Es ist Zakes Mdas eigene Familie, Mhlontho war sein Ahne, dessen Exil in Lesotho wiederholte sich in Zakes Mdas Leben, der als Kind während der 1960er Jahre mit seinen Eltern nach Lesotho floh.

Zakes Mdas spricht in seinem neuen Roman über Identität und Kampfgeist, über Niederlagen und Verlust; zeigt uns, dass Geschichte kein abstraktes Gebilde ist, sondern ihre Spuren jeden von uns prägen. Geschichten, die sich in die Landschaften des Ostkaps eingeschrieben haben, die für viele das erste Mal die Geschichte der Verlierer erzählen, deren ihr Land und Stolz genommen wurde.

Dabei geht es im so komplizierten Beziehungsgeflecht Südafrikas immer auch um die Frage, wer die Geschichte erzählt und wer die Deutungshoheit über die Erinnerung hat. Eine Erinnerung, die nicht nur in den Menschen, sondern auch in den Landschaften Spuren und Narben hinterlassen hat. Neben allen politischen und sozialen Umwälzungen, mit denen die Xhosa durch die finale Niederlage kämpfen mussten, mit dem Verlust ihrer Kultur und ihres Selbstbewusstseins mussten sie sich auch der Deutungshoheit der Sieger über die Geschichte beugen. Denn die britischen Sieger kamen nicht nur mit Waffen und Kanonen, sondern sie brachten auch die Literalität mit und bestimmten damit über lange Zeit die Deutung dieser Grenzkriege, weil die Historiker eher geneigt waren, den schriftlichen Quellen zu folgen.


Zakes Mda

So öffnete Zakes Mda das Tor zur eigenen Geschichte und wurde sehr unwirsch, als er aus dem Publikum danach gefragt wurde, warum man denn so alte Geschichten erzähle. "Wie kannst Du Dir über die Gegenwart klar werden, wenn Du Deine Vergangenheit nicht kennst", betonte Mda immer wieder. Einen großen Teil seines umfangreichen Werkes, das aus Romanen wie der Walrufer oder Madonna von Excelsior, Theaterstücken, Essays und Memoiren besteht, widmet Mda den Spuren der Vergangenheit. Hierdurch hat er schon viele andere Künstler inspiriert, die vergessene oder unter den Tisch gekehrte eigene Geschichte zu thematisieren. Wie etwa den Tänzer Gregory Vuyani in seinem Stück Exit/Exist (siehe afrika süd 3/2014). Der Tänzer begab sich auf Spurensuche zu den Erinnerungen seiner Vorfahren, erzählte, wie der Krieger und Häuptling Maqoma gegen koloniale Enteignung kämpfte, sein Vieh verlor und nach Robben Island verbannt wurde, wo er 1873 im Alter von 75 Jahren verstarb. Der Tänzer verkörperte diese Geschichte in einer innovativen und ergreifenden Performance, die Erzähltradition mit mutigen Performanceelementen verband. Hier wurde Geschichte neu geschrieben und die historischen Landschaften ihren rechtmäßigen Besitzern symbolisch zurückgegeben.


Nakhane Touré

Nakhane Tourés Debüt "Piggy Boy's Blues" sorgt für frischen Wind im südafrikanischen Literaturbetrieb, strotzt vor Experimentierfreude und kontrastiert die echten und imaginierten Landschaften des Eastern Capes mit der gebrochenen Psyche seiner Figuren. Figuren zwischen heute und morgen, die auch jetzt nicht ihrer Geschichte entkommen können, die sich an den Fallstricken von Tradition, tradierten Werten und einem vermeintlichen Neuanfang abarbeiten.

Wie Zakes Mda in seinen historischen Romanen, so erzählt auch Nakhane Touré von der Unvermeidlichkeit der Geschichte, die jede Biographie und jedes Zusammenleben definiert. Aber Touré geht weiter und seziert das Innenleben seiner Protagonisten auf der Suche nach einer neuen Welt, die sich von Vorurteilen löst und Vernunft walten lässt. Es ist diese Frage, die beide Autoren umtreibt: Wie entsteht eine Welt, die nicht trennt, sondern vereint und in der sich Menschen einander zuwenden?


Lebendige Geschichte

Mda und Touré schöpfen aus ihren eigenen Biographien, beide sind Teil dieser südafrikanischen Wirklichkeit und der Landschaft des Ostkaps. Und doch greift es zu kurz, wenn man ihre Texte für autobiographisch hält. Beide Bücher verweben Persönliches mit dem Makrokosmos Südafrikas und sind für den südafrikanischen literarischen Kanon von großer Wichtigkeit, wie Fred Khumalo so treffend feststellte: "In unseren Geschichtsbüchern war das Kapitel über die Grenzkriege nur einen Absatz lang. Bra (Bruder; d.R.) Zakes hat die Geschichte wieder mit Leben erfüllt, sie in den richtigen Kontext gesetzt und den Menschen, die diese Geschichte erlebt haben, endlich eine Stimme gegeben. (...) Und ich möchte mich bei Nakhane bedanken, der diesen Staffelstab aufgenommen hat und die Geschichte als Ausgangspunkt nimmt, um unseren Umgang mit den aktuellen Herausforderungen und Problemen Südafrikas zu erkunden."

Hier wurde die wichtige Rolle der Literatur für einen historischen Paradigmenwechsel im heutigen Südafrika deutlich, ein Dialog, den das Goethe-Institut ermöglichte. Seit mehreren Jahren veranstaltet es eine Reihe literarischer Begegnungen, die in einzigartiger Weise südafrikanische Autoren mit Kollegen aus dem afrikanischen Ausland oder manchmal auch aus Deutschland verbinden. "Literary Crossroads" wird von Indra Wussow, der in Johannesburg lebenden Herausgeberin der Reihe AfrikAWunderhorn, kuratiert. So sprachen schon Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe und Südafrikas nächster Nobelpreisanwärter Ivan Vladislavic über Fiktion und die Rolle von Fantasie und Traum im biographischen Schreiben. Und nun Mda und Touré. Zu hoffen ist, dass ihre Bücher bald in deutscher Übersetzung erscheinen.


Die Autorin lebt in Johannesburg, sie arbeitet zu (süd-)afrikanischer Literatur.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2016, S. 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2016

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