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MELDUNG/035: Erste spanische Übersetzung von Erasmus' «Lob der Torheit» entdeckt (idw)


Universität Basel - 15.02.2012

Erste spanische Übersetzung von Erasmus' «Lob der Torheit» entdeckt


Forscher der Universität Basel haben eine bisher unbekannte spanische Übersetzung des Werks «Lob der Torheit» von Erasmus von Rotterdam entdeckt. Die beiden Literaturwissenschaftler Harm den Boer und Jorge Ledo fanden die aus dem 17. Jahrhundert stammende Handschrift in der Bibliothek der portugiesischen Synagoge von Amsterdam. Das Manuskript kann wesentlich zum Verständnis der Erasmus-Rezeption in Spanien beitragen.

Prof. Harm den Boer und Dr. Jorge Ledo vom Institut für Iberoromanistik der Universität Basel entdeckten das aus über 200 Seiten bestehende Dokument in der Bibliothek «Ets Haim - Livraria Montezinos» in Amsterdam. Die beiden Hispanisten konnten das Manuskript als erste, bisher unbekannte spanische Übersetzung der in lateinischer Sprache verfassten Satire «Lob der Torheit» von Erasmus von Rotterdam (1465-1536) identifizieren und auf das 17. Jahrhundert datieren.

Der Text ist in einer deutlich erkennbaren iberischen Handschrift des 17. Jahrhunderts auf Papiere im Quarto-Format geschrieben, die in einen einfachen Umschlag aus Kalbspergament eingebunden sind. Sprachliche Eigenschaften lassen die Forscher vermuten, dass das Manuskript auf einen älteren Text aus dem 16. Jahrhunderts zurückgeht, der als verloren gilt. Das Manuskript war in einem gedruckten Katalog der Bibliothek verzeichnet, bisher jedoch nicht als erste spanische Übersetzung des «Lobs der Torheit» erkannt worden. Noch ist unklar, wann die Handschrift in die Bibliothek gelangt ist.


Ein lange Zeit verbotenes Werk

Der Fund ist von grosser Bedeutung, weil das um 1509 entstandene «Lob der Torheit» (Moriae encomium) und andere Werke des niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam durch die spanische Inquisition 1559 auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt worden war. Erst acht Jahre nach der definitiven Auflösung der Inquisition konnte 1842 eine gedruckte spanische Übersetzung erscheinen.

Erasmus' Ideen stiessen im Spanien des 16. Jahrhunderts auf grosse Resonanz, gerieten aber nach dem endgültigen Bruch Luthers mit der katholischen Kirche in ein schlechtes Licht. Über frühe spanischen Übersetzungen von Erasmus' bekanntestem Werk war viel spekuliert worden; seine Spuren finden sich im Schelmenroman «Lazarillo de Tormes» (um 1522) und in Cervantes' «Don Quichotte» (1605/1615). Allerdings liess sich die Existenz einer zeitgenössischen Übersetzung bis zur Entdeckung der Handschrift durch Dr. Jorge Ledo und Prof. Harm den Boer nicht nachweisen. Zurzeit bereiten die beiden Hispanisten eine kritische Edition des Textes vor, die noch im Laufe dieses Jahres im Wissenschaftsverlag Brill veröffentlicht werden soll.


Älteste jüdische Bibliothek der Welt

Die nun entdeckte Handschrift wird in der 1616 gegründeten Bibliothek «Ets Haim - Livraria Montezinos» aufbewahrt, die sich in Gebäuden der portugiesischen Synagoge in Amsterdam befindet und als weltweit älteste jüdische Bibliothek gilt. Die portugiesisch-israelitische Gemeinde in Amsterdam wurde im 17. Jahrhundert von Juden gegründet, die zur verfolgten Minderheit der iberischen Conversos, bekehrter Juden und ihre Nachkommen, gehörten. Dieser historische Hintergrund verleiht der Präsenz der Handschrift in der Bibliothek der Synagoge eine besondere Dimension. Obwohl Erasmus wenig Sympathie für die Juden äusserte, waren seine Ideen von Einfachheit und innerer Frommheit unter den Conversos, von denen in Amsterdam viele zu ihrem ursprünglichen Glauben zurückkehrten, sehr beliebt.

Weitere Informationen unter
http://ibero.unibas.ch/
- Institut für Iberoromanistik der Universität Basel

http://www.etshaim.nl/engl
- Ets Haim - Livraria Montezinos

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution74


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Basel, MA Reto Caluori, 15.02.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012