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BUCHTIP/1103: Neue Bücher aus der Wissenschaft (VolkswagenStiftung)


VolkswagenStiftung - 20.03.2008

Neue Bücher aus der Wissenschaft

VolkswagenStiftung informiert über Publikationen aus der Förderung


Die im Folgenden vorgestellten Publikationen sind im Zuge von Projekten entstanden, die von der VolkswagenStiftung gefördert wurden. Aus einer Vielzahl an Veröffentlichungen haben wir die folgenden sechs ausgewählt, die - so hoffen wir - für einen breiten Leserkreis von Interesse sind.

1. Zagolla, Robert: Im Namen der Wahrheit:
Folter in Deutschland vom Mittelalter bis heute.

Berlin: be.bra verlag, 2006, 239 S.
ISBN 978-3-89809-067-4

Der Fall des ehemaligen Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten Daschner, der einem Kindesentführer Folter androhte, um das Opfer zu retten, und die Bilder aus US-Militärgefängnissen im Irak haben die Diskussion über Folter neu entfacht. Ist die Anwendung staatlicher Gewalt beim Verhör ein nützliches, vielleicht sogar zu rechtfertigendes Mittel im Kampf gegen Terroristen und Entführer? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich nur finden, wenn man die Geschichte der Folter kennt, die in Europa seit mehr als zweitausend Jahren belegt ist: von der rechtlich teils penibel geregelten Befragungstechnik im ausgehenden Mittelalter bis zum Mittel staatlicher Willkür in deutschen Haftanstalten des 20. Jahrhunderts. Warum schaffte Friedrich der Große die Folter nur zur Hälfte ab? Wie beflügelte die "Eiserne Jungfrau" im 19. Jahrhundert die Phantasie? Gab es Folter in der DDR? Wurden die RAF-Häftlinge in der Bundesrepublik durch "Isolationsfolter" gefügig gemacht? Und: Welche Erfahrungen und Einsichten führten zur UN-Menschenrechtserklärung von 1948 und somit zur Ächtung der Folter? Mit dem Blick auf die einzelnen Epochen möchte der Autor zeigen, dass die Folter in Deutschland eine lange Geschichte hat, die zwar mit jener anderer europäischer Länder vergleichbar ist, in mancherlei Hinsicht aber auch eigenen Wegen folgte. Das Buch entstand im Zuge eines von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts in der Initiative "Recht und Verhalten".


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2. Zagolla, Robert: Folter und Hexenprozess:
Die strafrechtliche Spruchpraxis der Juristenfakultät Rostock im 17. Jahrhundert.

Gütersloh: Verlag für Regionalgeschichte, 2007, 527 S.
ISBN 978-3-89534-641-5

Die Folter war die "Seele" des Hexenprozesses: Diese im 19. Jahrhundert geprägte Annahme wurde in der Forschung bislang nur selten hinterfragt. Die Spruchakten der Rostocker Juristenfakultät des späten 16. und des 17. Jahrhunderts zeigen aber, dass die Folter auch in vielen anderen Strafprozessen eine zentrale Rolle spielte. Der Historiker Robert Zagolla vergleicht in seiner Dissertation die Verfahren in "Sachen Hexerei" erstmals systematisch mit jenen in Sachen Mord, Diebstahl, Kindsmord und bei weiteren Delikten. Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass sich die These vom hemmungslosen Gebrauch der Folter als Spezifikum der Hexenprozesse empirisch kaum belegen lässt. Die Anwendung der Folter erscheint demnach nicht als dunkler Fleck in der europäischen Rechtsgeschichte, sondern als Folge eines im frühneuzeitlichen Beweisrecht angelegten Problems. Denn: Die Beweisführung war nur über Tatzeugen oder das Geständnis des Täters möglich. Die Folter hat in vielen Fällen das Geständnis herbeigeführt. Das Vorhaben "Recht und Verhalten in der Hexenverfolgung: Hexengesetzgebung und Hexenprozess" wurde ebenfalls in der Initiative "Recht und Verhalten" gefördert.

Der Autor Dr. Robert Zagolla hat am Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen promoviert und ist heute als Referent für Pressearbeit und Veranstaltungen beim be.bra verlag in Berlin tätig.


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3. Entorf, Horst; Meyer, Susanne; Möbert, Jochen:
Evaluation des Justizvollzugs. Ergebnisse einer bundesweiten Feldstudie.

Heidelberg: Physica-Verlag, 2008, 249 S.
ISBN 978-3-7908-1996-0

Rechnet sich Freiheitsstrafe überhaupt für die Gesellschaft? Die Antwort auf diese Frage ist schwierig: Kosten und Nutzen sind komplex und beinhalten vielschichtige Dimensionen wie zum Beispiel finanzielle und gesellschaftliche Kosten für Bau und Unterhaltung von Gefängnissen auf der einen Seite sowie Sühne, Ausschaltung, Abschreckung und Rehabilitation auf der anderen. Erst ein möglichst umfassendes Abbild der Kosten- und Nutzenkomponenten lässt Rückschlüsse auf den "Erfolg" des Justizvollzugs zu: Schützt er wirklich vor Kriminalität? Hilft er, kriminelles Verhalten zu bewältigen? Das vorliegende Buch dokumentiert den Versuch, den Antworten mittels einer bundesweiten Feldstudie näher zu kommen. Die Auswertung der Fragebogen von rund 1800 Inhaftierten in etwa 30 Haftanstalten, von Gesprächen mit den zugehörigen Anstaltsleitungen sowie der Antworten von etwa 1200 Personen aus einer ergänzenden Bevölkerungsbefragung stellen - zusammen mit einer umfangreichen Analyse von anstalts- und länderspezifischem Datenmaterial - eine in diesem Umfang bisher noch nicht vorgelegte Evaluation des deutschen Strafvollzugs dar. Die VolkswagenStiftung hat das dem Buch zugrunde liegende Forschungsprojekt "Kosten und Nutzen von Haft und Haftvermeidung" ebenfalls in der Initiative "Recht und Verhalten" gefördert.

Zu den Autoren: Professor Dr. Horst Entorf lehrt Ökonometrie am Fachbereich für Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main. Susanne Meyer ist ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin von Professor Entorf und heute am Statistischen Bundesamt in Wiesbaden beschäftigt. Jochen Möbert ist ebenfalls ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Entorf und heute in einem Unternehmen tätig.


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4. Mentges, Gabriele; Neuland-Kitzerow, Dagmar; Richard, Birgit (Hrsg.):
Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade.

Münster: Waxmann Verlag, 2007, 384 S.
ISBN 978-3-8309-1760-1

Uniformierung und Kostümierung sowie Maskerade gewinnen als Kleidungspraktiken und Inszenierungsformen in der Gegenwart zunehmend an Bedeutung. In ihnen materialisiert sich die wachsende Unsicherheit im Umgang mit Identität, Selbstbild und Selbstwahrnehmung. Wie, warum und in welchen Kontexten solche "vestimentären Praktiken" in diese Auseinandersetzung eingebunden werden, beleuchten die hier versammelten Aufsätze unter den verschiedenen disziplinären Blickwinkeln von Geschichte, Kulturanthropologie, Ethnologie, Soziologie, Film- und Medienwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Design und Fotografie. Die Beiträge gehen der Frage nach, wie Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskierung - ob privat, im Verein, in der Wirtschaft, in Jugendszenen, in der Kunst, in der Politik oder im Film, ob verordnet oder freiwillig, als Integration, Abgrenzung oder Vergemeinschaftung - erprobt und erfahren werden. Die Autorinnen und Autoren diskutieren, ob die traditionellen Formen der Identitätskonstruktionen durch neue Vorstellungen und Praktiken abgelöst werden oder in neue - reflexive - Praxisformen münden. Die dem Buch zugrunde liegende Studie "Uniform in Bewegung. Zum Prozess der Uniformität von Körper und Kleidung" hat die VolkswagenStiftung in ihrer Initiative "Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften" gefördert.

Zu den Herausgeberinnen: Dr. Gabriele Mentges ist Professorin für Kulturgeschichte der Bekleidung an der Universität Dortmund. Dr. Dagmar Neuland-Kitzerow ist Kuratorin im Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dr. Birgit Richard ist Professorin für Neue Medien in Theorie und Praxis an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main.


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5. Jenß, Heike: Sixties Dress Only.
Mode und Konsum in der Retro-Szene der Mods.

Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2007, 367 S.
ISBN 978-3-593-3852-1

Sie kleiden sich im Sechziger-Jahre-Stil, feiern Sixties-Parties, bei denen selbst die Rezepte der Drinks aus der Originalzeit stammen, und sie richten auch ihre Wohnung im Retro-Look ein. Was bewegt junge Leute dazu, sich in eine Zeit zurückzuversetzen, in der sie noch gar nicht geboren waren? Heike Jenß ist in ihrer Untersuchung in diese Szene eingetaucht, hat mit den Mods von heute viele Gespräche geführt und ist dabei dem engen Zusammenhang von Mode, Konsum und Identität nachgegangen. Der spezielle Stil, die alten Kleider, Möbelstücke und das Zelebrieren von Sixties-Events stiften zugleich Individualität und Gemeinschaft. Die Kleider ermöglichen eine ganz persönliche Aneignung von Mode und Modegeschichte - mit Haut und Haar - und damit eine besondere Form der Selbstpositionierung und Selbstinszenierung, die sie von anderen unterscheidet. Die VolkswagenStiftung hat diese Forschungsarbeit ebenfalls im Rahmen des Vorhabens "Uniform in Bewegung. Zum Prozess der Uniformität von Körper und Kleidung" in ihrer Initiative "Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften" gefördert.

Die Autorin Dr. Heike Jenß ist Kulturanthropologin; sie promovierte an der Universität Dortmund und ist zurzeit Assistant Professor of Fashion Studies an der Parsons School of Design in New York.


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6. Didi-Huberman, Georges; Ebeling, Knut: Das Archiv brennt.

Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2007, 222 S.
ISBN 978-3-931659-95-0

In diesem Band nähern sich die Autoren in zwei philosophischen Essays dem Thema "Archiv" von unterschiedlichen Seiten, um letztlich an einem Punkt zusammenzutreffen - dem "Unglück", das Archiven wiederholt widerfahren ist. Didi-Huberman beschäftigt sich mit dem Thema Archive und Konzentrationslager. Was wurde von den sogenannten "Auschwitzrollen" dokumentiert, in denen die Lagerinsassen ihren Vernichtungsprozess dokumentierten und die sie am Ort ihrer Hinrichtung in der Erde vergraben hatten? Erfahrungen oder Unerfahrbarkeiten, Zeugenschaften oder Unbezeugbares? Sichtbares oder nie Gesehenes? Während Georges Didi-Huberman die Archive des Desasters "Holocaust" decodiert, entschlüsselt Knut Ebeling das Desaster des Archivs im antiken Athen. Das Archiv der Stadt Athen brannte zum ersten Mal 480/79 v. Chr., als es von den Persern zerstört wurde. Das "Desaster des Archivs", so die von den Autoren immer wiederholte Formel, zieht sich folglich durch die Zeiten. Was sagt dies über jene Kultur, die ihre Archive am Ende in verbrannter Erde vergraben musste? Auch dieser Essayband entstand im Zuge eines von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts in ihrer Initiative "Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften".

Zu den Autoren: Dr. Georges Didi-Huberman ist Professor für Kunstgeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHSS) in Paris. Dr. Knut Ebeling ist Lehrbeauftragter am Seminar für Ästhetik der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Stanford University Berlin.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 20.03.2008
VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 - 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2008