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BUCHTIP/1136: Sari Nusseibeh - "Es war einmal ein Land" (amnesty journal)


amnesty journal 06/07/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"ES WAR EINMAL EIN LAND"
Ein Licht in der Finsternis

In seiner außergewöhnlichen Biografie erzählt der
palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh die Geschichte
seiner Familie und des Nahost-Konflikts.

Von Ana König


Nur wenigen Menschen gelingt es, die eigene Biografie mit der Weltgeschichte zu verbinden. Das Buch "Es war einmal ein Land" ist eine solche Ausnahme. Der 1949 geborene Autor Sari Nusseibeh erzählt darin die Geschichte Palästinas, seiner Heimatstadt Jerusalem und seiner Familie. Inspiriert wurde er dabei von der Autobiografie "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" von Amos Oz, dem derzeit wohl bekanntesten israelischen Schriftsteller. "Dass die Araber in den Kindheitserfahrungen von Amos Oz praktisch nicht vorkamen, veranlasste mich, darüber nachzudenken, wie ich selbst groß geworden war", schreibt er zu Beginn des Buches. "Was hatten meine Eltern von seiner Welt gewusst? Hatten sie von den Vernichtungslagern gehört? (...) Ist diese Unfähigkeit, sich das Leben der 'anderen' vorzustellen, nicht der Kern des israelisch-palästinensischen Konflikts?"

Der promovierte Philosoph beschreibt den arabischen Aufstand von 1936, die israelische Staatsgründung von 1948 und die damit verbundene "Nakba", die Vertreibung der palästinensischen Einwohner. Seine Erzählung reicht bis in die Gegenwart und schließt dabei seine eigene Biografie mit ein.

Nusseibeh, der seit 1995 Präsident der Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem ist, führte als Kind einer renommierten palästinensischen Familie ein privilegiertes Leben, das durch den Sechs-Tage-Krieg 1967 abrupt unterbrochen wurde. Mit einem melancholischen Unterton, der nie von Selbstmitleid, aber oft von (Selbst-)Ironie gebrochen wird, schildert er seine politische Entwicklung: Als er in den achtziger Jahren eher zufällig zum Vorsitzenden einer Studentenvertretung gewählt wurde, entwickelte sich daraus rasch eine hochbrisante Karriere, die ihn 1988 in das geheime Leitungsgremium der ersten Intifada führte.

Für die israelischen Sicherheitsbehörden war Nusseibeh daher ein "Wolf im Schafspelz", der gerade wegen seines harmlosen, professoralen Äußeren verdächtig erschien. Wegen angeblicher Spionage wurde er 1991 inhaftiert und nach internationalen Protesten, unter anderem von Amnesty International, wieder freigelassen. Doch auch in seiner eigenen Umgebung war Nusseibeh oft unbequem, weil er seine Ansichten konsequent vertrat. So wurde er als junger Professor nach einer Rede über Toleranz von radikalen Studenten verprügelt. Während der zweiten Intifada verurteilte er Selbstmordattentate und Gewaltanwendung, weshalb ihn palästinensische wie arabische Medien boykottierten.

Trotz dieser Erfahrungen setzt Nusseibeh weiterhin auf seine Überzeugung: auf die Humanität und die Vernunft. Sein gewaltloser Kampf gegen die Besatzung und für einen eigenen palästinensischen Staat hielt ihn nicht davon ab, auch auf israelischer Seite nach Verbündeten zu suchen. Zusammen mit dem ehemaligen israelischen Admiral Ami Ayalon startete er 2003 eine Friedensinitiative, um einen Plan für eine Verhandlungslösung zu entwerfen.

Sein Buch erzählt nicht nur die Geschichte eines jahrzehntelangen Kampfes, die Tragödie seines Landes und der palästinensischen Bevölkerung. Es ist zugleich ein Fanal der Hoffnung in einem hoffnungslos erscheinenden Konflikt. "Palästinenser und Israelis sind müde und haben den Konflikt satt. (...) Tief im Inneren will die Mehrheit das Gleiche: Frieden und zwei Staaten", sagte er kürzlich in einem Interview.


Die Autorin ist Journalistin und lebt in Berlin.

SARI NUSSEIBEH
Es war einmal ein Land.
Verlag Antje Kunstmann, München 2008, 520 S., 24,90 Euro


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2008, S. 46
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2008