Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BUCHTIP/1179: Dönekes aus dem Mittelalter (RUB)


RUB - Ruhr-Universität Bochum - 16. Oktober 2009

Dönekes aus dem Mittelalter
Was die Menschen bewegte, stand in Caesarius' "Dialog über die Wunder"

Zur Frankfurter Buchmesse: Bestseller des 13. Jahrhunderts in fünf Fontes-Bänden


Von der Flutkatastrophe in Friesland, über den deutschen Thronstreit zwischen Staufern und Welfen bis zum Alltagsleben der Mönche - in 750 Geschichten fängt Caesarius von Heisterbach die facettenreiche Welt des 13. Jahrhunderts ein. Sein "Dialog über die Wunder" wurde zum Bestseller im Mittelalter. Zur Frankfurter Buchmesse erscheinen die wertvollen Quellentexte nun erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung. Das Mammutprojekt von Übersetzung, wissenschaftlicher Bearbeitung, Kommentierung und Drucklegung (2500 Seiten) lag in den Händen von Nikolaus Nösges, Essen, sowie PD Dr. Hort Schneider und der Arbeitsstelle Fontes Christiani an der Ruhr-Universität.

Gesamtausgabe blieb lange Desiderat

Der Wunsch nach einer deutschen Gesamtausgabe des vielschichtigen Werkes blieb lange unerfüllt. Erfordert sie doch ein Spezialwissen, das ein einzelner Wissenschaftler kaum vereinen kann. Es sei denn, er wäre zugleich Zisterziensermönch, Liturgiewissenschaftler, Klassischer Philologe, Mittellateiner und Mediävist mit Kenntnissen der mittelalterlichen Erzähl- und Exempelforschung sowie der damaligen Lokalhistorie des Rheinlandes. Zudem müsste er noch das notwendige Verständnis der Natur- und Technikgeschichte vorweisen können. Für das Mammutprojekt fand sich schließlich doch die passende Konstellation: Zunächst legte Pastor Nikolaus Nösgen, Essen, in nur vier Jahren ein komplettes Übersetzungsmanuskript auf der Basis der lateinischen Ausgabe von Stange vor. Dessen wissenschaftliche Bearbeitung und Kommentierung übernahm 2007, unter Leitung des verstorbenen Prof. Dr. Wilhelm Geerlings, die Arbeitsstelle Fontes Christiani an der Ruhr-Universität.

Editionsprojekt in interdisziplinärer Kooperation

Die wissenschaftliche Bearbeitung erfolgte von Anfang an in enger Kooperation mit den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, etwa der Astronomie hinsichtlich der von Caesarius beschriebenen Himmelsphänomene, wäre aber auch ohne die Unterstützung von Zisterziensern - insbesondere von Pater Hermann aus Marienstadt - nicht möglich gewesen. Denn viele der Exempla des Caesarius sind eng mit dem Ordensleben verbunden und erst durch die dahinter stehenden Gebräuche zu verstehen. Schließlich hielt sich Dr. Schneider selbst vier Tage im Kloster Marienstadt, der Tochterabtei von Heisterbach, auf, wo er das heutige Leben der Zisterzienser unmittelbar erleben konnte. Das Predigtbuch des Caesarius in der dortigen Bibliothek gab zahlreiche weitere Aufschlüsse. Denn Caesarius' Predigten enthalten häufig Exempla, die auch im "Dialog über die Wunder" vorkommen.

Aus dem Inhalt: Historisches und Alltägliches

Caesarius erzählt wunderbare Begebenheiten bis hin zu "Dönekes" aus allen Bereichen des Lebens. Er berichtet aber auch über historische Geschehnisse. Indem er beides miteinander verbindet, macht er seine staunenswerten Geschichten glaubhaft. Zu den historischen Themen gehören unter anderem die Hungersnot des Jahres 1197, die Plünderung Konstantinopels 1204 oder die Kreuzzüge. Populäre sagenumwobene Personen wie der Zauberer Merlin oder König Artus fehlen ebenso wenig wie berühmte historische Persönlichkeiten wie Sultan Saladin, Richard Löwenherz, Friedrich I. Barbarossa, Kaiser Friedrich II. oder Thomas Becket. Hinzu kommen Legenden über die Tempelritter, Nachrichten von vagabundierenden Scholaren und Bettelpoeten, Berichte über die Verbrennung von Ketzern, über sexuelle Exzesse häretischer Sekten, Auswüchse des mittelalterlichen Reliquienkults, Teufels- und Dämonenbeschwörungen, Luftreisen von Heiligen oder Marienvisionen und die Beschreibung antijüdischer Tendenzen.

Caesarius von Heisterbach: Leben und Werk

Caesarius von Heisterbach, um 1180 in Köln oder der näheren Umgebung geboren und aufgewachsen, wurde 1199 Mönch im Zisterzienser-Kloster Heisterbach im Siebengebirge, um 1200 versiegen die Quellen. Sein Hauptwerk der "Dialogus miraculorum" enthält rund 750 nach zwölf Themenkreisen (Distinctiones) geordnete Kurzgeschichten (Exempla). Mehr als hundert mittelalterliche Handschriften davon sind bekannt, was für die Beliebtheit dieser Sammlung im Mittelalter spricht. Caesarius' Geschichten sind auf den Punkt gebracht, präzise und sehr lebendig geschrieben. Die Dialogform fördert die Verständlichkeit der einzelnen Exempla. Wenngleich Mönch (Novizenmeister) und Novize im Zwiegespräch anonym bleiben, tritt hinter dem Mönch deutlich die Gestalt des Caesarius hervor.

Leseprobe: Caesarius' verehrter Lehrer

In Distinctio 6 zeichnet Caesarius ein beeindruckendes Bild seines verehrten Lehrers Ensfried, Dekan an St. Andreas zu Köln: "Eines Tages kam ihm [Ensfried] die Abtissin vom Kloster der 11000 Jungfrauen entgegen. Vor ihr her gingen Kleriker, die Mäntelchen als Umhang trugen, die mit dem grauen Pelzwerk der Nonnen besetzt waren. Hinter ihr gingen Edelfräulein und Kammerfrauen, die mit ihrem eitlen Geschwätz die Luft erfüllten. Dem Dekan aber folgten Arme, die Almosen von ihm erbaten. Der gerechte Ensfried, vom Eifer für Zucht entflammt, rief so laut, dass es alle hörten: "Oh, Frau Abtissin es würde Eurem Beruf besser anstehen, es würden Euch - wie mir - die Armen folgen und nicht diese Schauspielertruppe da." Jene wurde puterrot und wagte es nicht, dem Manne zu widersprechen."

Titelaufnahme
Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum - Dialog über die Wunder, N. Nösges, H. Schneider (eds.), Fontes Christiani, 5 Bände (lateinisch/deutsch), Brepols, 2009

Redaktion: Dr. Barbara Kruse


*


Quelle:
Pressemitteilung Nr. 332 vom 16. Oktober 2009
RUB - Ruhr-Universität Bochum
Dr. Josef König - Pressestelle - 44780 Bochum
Telefon: 0234/32-22830, -23930; Fax: 0234/32-14136
E-Mail: josef.koenig@presse.ruhr-uni-bochum.de
Internet: ruhr-uni-bochum.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2009