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SF-JOURNAL/019: Autorinnen... Ursula K. Le Guin, akademische Lösungen (SB)


Ursula Kroeber Le Guin, (*1929)


Ursula K. Le Guin ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Science Fiction-Szene der Gegenwart.

Einer ihrer beliebtesten Schwerpunkte ist die detaillierte Darstellung einer anarchistischen Gesellschaftsform, was ihr schon den Vorwurf eingebracht hat, sie schreibe zu akademisch.


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Persönliche Daten

Ein Lebenslauf ohne besondere Exzentrik, sehr intellektuell: 1929 wurde Ursula K. Le Guin in Berkeley, Kalifornien, geboren. Sie ist die Tochter der Schrifstellerin Theodora K. Kroeber und des Ethnologen und berühmten Kulturanthropologen Alfred L. Kroeber.

Am Radcliffe College erhielt sie ihre Ausbildung, die sie 1951 mit dem Bachelor of Arts abschloß. Anschließend studierte sie an der Columbia University französische und italienische Geschichte der Renaissance (Master of Arts 1952).

Durch ein Stipendium für ein Aufbaustudium studierte sie in Frankreich, wo sie den Historiker Charles A. Le Guin kennenlernte, ihren späteren Ehemann. Sie heirateten 1953.

Dann begann Ursula K. Le Guin mit dem Unterrichten an amerikanischen Universitäten.

1966/67 erschienen ihre ersten Romane. Viele ihrer frühen Arbeiten sind der Fantasy zuzuordnen, darunter auch eine Reihe von Jugendbüchern, zu der die Erdsee-Trilogie zu rechnen ist (1968 erster Band).


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Werke

"Wie kommen Sie auf Ihre Ideen, Mrs. Le Guin?" "Indem ich Dostojewski vergesse und Straßenschilder rückwärts lese, natürlich. Wie denn sonst?" So der Kommentar der Autorin."
(aus dem Nachwort von Klaus Wiese, "Wahres Reisen ist stets Heimkehr", S. 382 in Ursula K. Le Guin: Planet der Habenichtse, 1974 by Ursula K. Le Guin, 1976 Heyne Verlag, München)

Nicht nur für ihre Science Fiction-Literatur erhielt Ursula K. Le Guin zahlreiche Auszeichnungen.

Ihren Romanen wird philosophischer Inhalt von hoher literarischer Qualität nachgesagt. Tatsache ist, daß sie nicht nur einen groß angelegten Spannungsbogen aufbaut und aktionsreich schreiben kann, sondern durchaus auch auf intellektuellem Weg gesellschaftliche Probleme durch Verfremdung verdeutlicht.

Hier ihre wichtigsten Science Fiction-Romane:

* "Winterplanet" (1969, "Left Hand of the Darkness"): Auf einem unwirtlichen, eisbedeckten Planeten, dessen Bewohner zweigeschlechtlich sind, lernt der Erdgesandte Genly Ai einen der Bewohner sehr intensiv kennen.

Sehr früh greift Ursula K. Le Guin hier eine Idee aus der kaum entstandenen Frauenbewegung auf, andere Formen der Sexualität und die Aufteilung in Geschlechterrollen samt ihren Folgen für Wirtschaft, Politik und Kunst zu überdenken. Die Sensibilität, mit der sie schreibt, ist ihr angesichts der später viel direkteren Formen zum Vorwurf gemacht worden.

* "Die Geißel des Himmels" (1971, "The Lathe of Heaven"): Die Hauptperson entdeckt, daß sie mit ihren Träumen die Realität verändern kann.

* "Das Wort für Welt ist Wald" (1972, "The Word for World is Forest"): Extraterrestrier werden zum Verteidigungskampf gegen Menschen gezwungen, die ihren Planeten ausplündern wollen.

Kritiker bezeichnen diesen Roman als Le Guins Antwort auf die Vernichtungskriege der Amerikaner gegen Indianer und Vietnamesen.

* "Planet der Habenichtse" (1974, "The Dispossessed"): Anhand des Gegensatzes zwischen dem reichen, kapitalistischen Planeten Urras und dem kargen, von Urras Rebellen besiedelten Planeten Anarres wird die Verwirklichung einer klassenlosen, anarchistischen Gesellschaft beschrieben. Auf Anarres wird Shevek geboren, ein genialer Physiker, dessen Erfindung die Raumfahrt revolutionieren könnte. Shevek folgt dem verführerischen Ruf nach Urras, auch wenn er fortan in seiner Heimat als Verräter gilt und kehrt schließlich ernüchtert zurück.

Dieser Roman ist eine positive Utopie. Er gilt als einer der Höhepunkte der Science Fiction-Literatur.


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Leseprobe

Man lernt Ursula K. Le Guins Meinung am besten über ihre Romane kennen. Der gewählte Textauszug aus "Planet der Habenichtse" ist exemplarisch für das stilistische Mittel, gesellschaftliche Mißstände auf der Erde mit einem verfremdeten Blick zu betrachten. Bekanntes erscheint durch die Augen des Anarchisten Shevek neu.

Anarchie zu verwirklichen ist für Ursula K. Le Guin mit Menschen, die von Eigentum "besessen" sind, nicht möglich.

Kurz vor der Landung auf Urras sitzt Shevek in der Offiziersmesse des Raumschiffes und verabschiedet sich in einem längeren Gespräch von seinem bisherigen Betreuer und Berater, dem Arzt Kimoe. Höflich und etwas umständlich, weil peinlich berührt, fragt Kimoe:

"Trifft es zu, Dr. Shevek, daß die Frauen in Ihrer Gesellschaft genauso behandelt werden wie die Männer? [...] Gibt es wirklich keinen Unterschied zwischen Männerarbeit und Frauenarbeit?"

"Nun ja - nein. Das wäre doch eine sehr mechanische Grundlage für die Arbeitsteilung, nicht wahr? Jeder wählt seine Arbeit nach seinen Interessen, seiner Begabung und seiner Körperkraft. Was hat das Geschlecht damit zu tun?" "Männer sind körperlich stärker", verkündete der Arzt mit professioneller Bestimmtheit.

"Das stimmt - häufig. Und auch größer. Aber was spielt das für eine Rolle, da wir ja doch Maschinen haben? Und selbst wenn wir keine Maschinen haben, wenn wir mit dem Spaten graben oder Lasten auf unserem Rücken tragen müssen, arbeiten die Männer zwar möglicherweise schneller - die großen -, die Frauen aber arbeiten länger ... Ich habe mir oft genug gewünscht, so zäh und belastbar zu sein wie eine Frau."

Kimoe starrte ihn fassungslos an; sein Schock war so groß, daß er die Höflichkeit vergaß. "Aber dann geht doch alles verloren ... alles Weibliche, alles Zarte ... und die männliche Selbstachtung ... Sie können mir doch nicht weismachen, daß die Frauen Ihnen auf Ihrem Fachgebiet gleichrangig sind? In der Physik, in der Mathematik, hinsichtlich des Intellekts? Sie können mir doch nicht weismachen, daß sie sich ständig auf deren Niveau hinabbegeben?" [...]

"Ich glaube kaum, daß ich irgend jemandem jemals etwas weiszumachen versuche, Kimoe", sagte er.

"Gewiß, ich habe auch hochintelligente Frauen kennengelernt, Frauen, die logisch denken konnten wie ein Mann", räumte der Arzt hastig ein. Er merkte, daß er beinahe geschrien hätte, daß er, wie Shevek fand, mit beiden Händen an die verschlossene Tür gehämmert und geschrien hätte [...]

Die Frage der Überlegenheit und Minderwertigkeit mußte im Gesellschaftsleben der Urrasti eine wichtige Rolle spielen. Wenn Kimoe, um seine Selbstachtung zu erhalten, die Hälfte der menschlichen Rasse als minderwertig betrachten mußte, wie erhielten sich dann die Frauen ihre Selbstachtung - betrachteten sie die Männer als minderwertig?"
(aus Ursula K. Le Guin: Planet der Habenichtse, 1974 by Ursula K. Le Guin, 1976 Heyne Verlag, München, S. 24f)


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Autoren
- Persönliche Daten
- neue Akzente für die Science Fiction-Literatur
- Zur Schreibtechnik
- Stellungnahmen zur Science Fiction
in Interviews und Romanen
- Werke mit Auszeichnungen und Verfilmungen
- Leseproben

Erstveröffentlichung 1998

6. Januar 2007