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ENGLISCH/752: Britain today (44) Die Sache mit den "Billions" (SB)


Rechenfehler, Monstrositäten und Englischer Humor




Über Umweltverschmutzung und Müllberge sollte es eigentlich keine zwei Meinungen geben. Man kann es allerdings auch übertreiben, wie unlängst in Großbritannien geschehen und auf der letzten Seite des "New Scientist" vom 27. Oktober 2007 gnadenlos aufgeklärt. Daß das Ganze dann auch noch unter dem Untertitel "Fun with figures" - "Spaß mit Zahlen" lief, beweist wieder einmal den angelsächsischen Sinn für Humor, mit dem man sich und seine Landsleute geflissentlich selbst durch den Kakao zieht. Ob allerdings die ursprünglichen Autoren der folgenden Anekdote, in der Zahlen ein recht seltsames Eigenleben entwickeln, den komischen Aspekt daran ebenfalls genießen können, bleibt dahingestellt. Immerhin lag es in ihrer Absicht, damit auf ein durchaus relevantes Problem hinzuweisen, das durch amüsierte, besserwissende Redakteure, die sich aus der Position eigener Unbeteiligtheit meinen, einen Spaß daraus machen können, schließlich an Glaubwürdigkeit verliert.

We start with the environment section of the website of the UK supermarket Somerfield, which tells us: "Shoppers in Britain are estimated to use up to 20 billion plastic bags a year, an average of 323 bags a year to each household, or enough to carpet the entire planet every six months.
(NSci 27. Oktober 2007)

Kaufhausbesucher in Großbritannien würden schätzungsweise "20 billion plastic bags" im Jahr nach Hause mitnehmen, woraus sich nach Meinung von Somerfield einen Durchschnitt von 323 Plastiktüten pro Haushalt ergibt. Außerdem sollen Somerfields Meinung nach allein die in der UK verteilten Einkaufstüten schon nach einem halben Jahr ausreichen, um den Planeten zu bedecken.

Da sind die schätzungsweise 900 Millionen biologisch zersetzbaren Einkaufstüten, die Somerfield selbst an seine Kunden verteilt, schon ein bemerkenswerter Beitrag zum Umweltschutz, meinen die Pressevertreter der Kette und werben mit diesen imposanten Zahlen. Eine kritische New Scientist und Humorseiten-(Feedback)-Leserin, Hillary Shaw, konnte das nicht glauben und hat noch einmal nachgerechnet, wobei sich Erstaunliches offenbarte:

Feedback reader Hillary Shaw notes: "If the above figures were true, Britain would have a total of just under 61,200,000 households, remarkable for an island with a population of less than 60 million. If six months' worth of bags (10 billion) would 'carpet the planet' (surface area 510,000,000 square kilometres) each bag would have to cover 51,000 square metres. Even if we allow for cutting the bag down the side to spread it out fully, each bag must measure almost 160 x 160 metres."

We are pleased Somerfield recognises these monster plastic bags could cause problems in landfill sites.
(NSci 27. Oktober 2007)

Bei 365 Tagen im Jahr, in denen heutzutage (dank verkaufsoffener Wochenenden) eingekauft werden kann, scheinen uns 323 Tüten als jährlicher Durchschnitt doch eher ein recht bescheidener Schnitt zu sein. Man bedenke nur, wie bepackt so manch einer mit dem Familieneinkauf das Kaufhaus verläßt.

Legt man die reale Einwohnerzahl von Großbritannien und Nordirland mit den offiziellen Zahlen von 2004 (59.867.000 Einw.) zugrunde, kommt man durchaus schon auf rund 22 Milliarden Tüten, selbst wenn pro Kopf jeweils nur eine Tüte pro Tag berechnet wird.

Anders gesagt, wurde bei der Aufstellung der Somerfield-Berechnung zwar ein Fehler gemacht, er ändert aber nichts an den Fakten.

Anders sieht es allerdings bei dem auf der Erde zu erwartenden Plastiktütenmüllberg aus: Der Nachrechnung von Shaw zufolge nimmt die Erdoberfläche 510.000.000 Quadratkilometer ein (das sind umgerechnet 510.000.000.000.000 Quadratmeter). Jede der 10 Milliarden Plastiktüten die hiernach zusammen die Erdoberfläche bedecken könnten, müßte also 51.000 Quadratmeter groß sein. Das kommt natürlich auch dann nicht hin, wenn man die Seiten aufschneidet, wie die Leserin richtig bemerkt.

Selbst wenn die britische Supermarktkette bei der Berechnung der Umweltgefahr, die von britischen Kaufhaustüten ausgeht, an den berüchtigten englischen "billions" hängen geblieben ist, ist das Ergebnis äußerst unwahrscheinlich. Ursprünglich galt in England nämlich der gleiche Zahlenwert für Billionen wie hierzulande, d.h. tausend Milliarden oder 1000.000.000.000. Seit man die englische "Billion" an die amerikanische angeglichen hat, kommt es ständig zu Verwechslungen. In diesem Fall käme man dann nicht auf 10 Milliarden sondern auf 10.000 Milliarden Tüten, die die Erde bedecken, im Normalformat allerdings immer noch nicht ausreichen würden. Dazu müßte man sie auf eine Mindestkantenlänge von rund 7,15 Metern ausdehnen.

Wie man es auch dreht und wendet, scheint der Rechenfehler also tatsächlich allein bei Somerfield zu liegen, ganz gleich, wie brisant das Thema ist. Dabei wird jedoch vergessen, daß die wenigsten Tüten, die in die Umwelt entsorgt werden, nach einem Jahr schon zerfallen sind. Im Gegenteil wächst sich der Plastikmüll mit den Jahren ins Gigantische aus.

Schätzungen des amerikanischen Forschers Charles Moore zufolge, wiegt der Plastikteppich, der jetzt schon die Weltmeere belastet, über drei Millionen Tonnen. Bei einem Durchschnittsgewicht von 10 Gramm pro Plastiktüte haben sich somit im Laufe der Jahre der Gegenwert von schätzungsweise 300 Milliarden Plastiktüten allein im Meer eingefunden. Da man davon ausgehen kann, daß im Meer nur ein Bruchteil des Mülls landet, den der Mensch produziert und schon der Plastiktütenkonsum Großbritanniens und Nordirlands in 15 Jahren ausreichen würde, um auf diese Menge zu kommen, gibt es keinen Grund, die Rechnung von Somerfield nicht so ins Lächerliche ziehen. 20 Milliarden Plastiktüten sind schlimm genug, selbst wenn sie nicht ausreichen, um die Erde damit abzudecken. Schließlich sind die englischen Bürger nicht die einzigen Plastiktütenkonsumenten und die Plastikhaufen, die das Festland belasten, sind in diese Rechnung noch gar nicht eingegangen.

Bei wem auch immer der Rechenfehler liegen mag, die aufgeführten Monstrositäten haben durchaus Entsprechungen in der Realität und das ist nicht einmal für Engländer komisch.


16. November 2007