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FRANZÖSISCH/015: Leichtlesefassungen... nicht zwingend langweilig (SB)


Leichtlesefassung "Easy Readers - Facile à lire"


Grafisk Forlag, Kopenhagen



Leichtlesefassungen haben oft den nicht ganz aus der Luft gegriffenen Ruf, ein wenig langweilig und verflacht zu sein. Trotzdem möchte ich für eine möglichst umfassende Beschäftigung mit der Fremdsprache auch diese Werke empfehlen - zum Warmwerden. Ich bin allerdings nicht der Meinung, daß man sich dem eigenen Stand entsprechend einem bestimmten Schwierigkeitsgrad zuwenden muß. Ich bin auch nicht der Meinung, daß man es tun sollte. Es ist lediglich ratsam, alles Verfügbare zu nutzen und sich ein möglichst breites Spektrum zugänglich zu machen.

Ich lese oft Bücher, die von "Rechts wegen" zu schwer oder viel zu leicht für mich wären - und habe immer etwas von dieser Beschäftigung. Man muß sich weder über- noch unterfordert fühlen, denn es gibt immer etwas zu lernen und zu entdecken: sei es eine Wendung, eine Schreibweise, Zeichensetzung, Präposition oder eine schöne Beschreibung, etwas, das mich befremdet, etwas, über das ich mich aufrege - und es mir so merke - oder etwas, das mich freut.


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Werke der Weltliteratur in leicht lesbarer Form erscheinen in der Reihe "ER - Easy Readers - Facile à lire", herausgegeben von dem dänischen Verlag "Grafisk Forlag/Aschehoug Dansk Forlag A/S" in Zusammenarbeit mit zahlreichen ausländischen Verlagen, unter anderem dem Ernst Klett Verlag Stuttgart.

Es gibt sie in sechs Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch und in vier unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden: Schwierigkeitsgrad A basiert auf einem Vokabular von 500 Worten, Schwierigkeitsgrad B hat ein Vokabular von 1500 Worten, C eines von 2000 und D schließlich von 2500 Worten.

Die verwendeten Begriffe beziehen sich auf die jeweils geläufige Alltagssprache. Schwierige Worte werden entweder in der jeweiligen Sprache oder anhand von Zeichnungen erklärt - die, so muß ich sagen, nicht immer nachvollziehbar sind. Außerdem enthalten die Bücher zu Beginn einen kurzen biographischen Abriß über den jeweiligen Autoren oder die Autorin, sind mit Illustrationen versehen und enthalten Verständnisfragen zum Text am Ende eines jeweiligen Abschnitts. Trotz der knappen Fassung hat man hier nicht mit Mühe gespart.

Ich möchte mich hier auf jeweils eine Ausgabe der drei
Schwierigkeitsgrade A, B, C beziehen:

"Le livre de mon ami" von Anatole France, Schwierigkeitsgrad A "Quatre-vingt-treize" von Victor Hugo, Schwierigkeitsgrad B "De la terre à la lune" von Jules Verne, Schwierigkeitsgrad C


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LE LIVRE DE MON AMI

Anatole France - 1844 bis 1924

Anatole France zeichnet hier ein paar seiner Kindheitserinnerungen auf. Einleitend bemerkt er:

Les personnes qui m'ont dit ne se rien rappeler
des premières annèes de leur enfance m'ont beaucoup
surpris. Pour moi, j'ai gardé de vifs souvenirs du
temps où j'étais un très petit enfant. Voici
quelques-uns:

Nun, wie auch immer, die Schilderungen gehen selbst in der vereinfachten Fassung so ins Detail, daß man sich fragt, ob diese Erinnerungen nicht zumindest einen fiktiven Anteil haben. Plausibel scheint noch die Angst, die der kleine Junge hat, nachdem man ihm einen Haarschnitt à l' Édouard verpaßt und die Geschichte der beiden im finsteren Turm ermordeten kleinen Thronfolger erzählt. Das nächste Haus, das sie zu einem Besuch betreten, wird zu diesem Turm und Anatole sieht schon sein Ende. Auch seine Begegnung mit der toten Großmutter, die noch so lebendig scheint mit ihrem ironischen Zug um den Mund, oder die Eifersucht auf den Verehrer seiner Dame in Weiß, die er als Kind fast täglich besucht. Es ist durchaus so, daß man Lust bekommt, einmal die vollständige Fassung zu lesen - und das sollte, nach Lektüre dieser leichten, gar nicht mehr so unmöglich sein.

Anatole France: Le livre de mon ami
Grafisk Forlag, Kopenhagen
Ernst Klett Verlag, Stuttgart
u.a. Verlage
Schwierigkeitsgrad A


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QUATRE-VINGT-TREIZE

Victor Hugo - 1802 bis 1885

Die Originalfassung dieses Buchs von Victor Hugo handelt von den Kämpfen zwischen den "Blauen" Republikanern und den "Weißen" Royalisten im Bezirk Vendée während der französischen Revolution 1793. Beide Parteien machen sich daran, die jeweils andere gnadenlos zu vernichten. Der kümmerliche Rest eines Bataillons von ehemals 1200 Mann, 300 sind geblieben, durchquert den Wald de la Saudraie und stößt auf eine Frau mit drei Kindern. Sie versuchen, herauszufinden, auf welcher Seite sie steht, doch sie ist so einfach, daß nur ihre Kinder wichtig sind. Ihren Mann hat man getötet, das Haus verbrannt. Ihre Familie bestand von jeher aus Landarbeitern. Die Frage der Parteinahme läßt sich also nicht klären, doch lächelt das jüngste der Kinder den Anführer so freundlich an, daß er sein Herz entdeckt und weint. Frau und Kinder werden vom Regiment adoptiert, die Marketenderin nimmt sie unter ihre Fittiche.

Parallel erfährt man vom Marquis de Lantenac, der als Prinz der Bretagne heimlich in die Vendée zurückkehrt und die Kämpfe gegen die Blauen schürt.

Das Buch ist so geschrieben, daß man es schwer hat, Partei für eine Seite zu nehmen, obwohl die Royalisten doch ein wenig schlechter abschneiden. Schließlich entdeckt auch Lantenac sein Herz und rettet die Kinder aus dem Feuer, die er zuvor als Geiseln festgehalten hat.

Victor Hugo: Quatre-vingt-treize
Grafisk Forlag, Kopenhagen
Ernst Klett Verlag, Stuttgart
u.a. Verlage
Schwierigkeitsgrad B


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DE LA TERRE A LA LUNE

Jules Verne - 1828 bis 1905

"De la terre à la lune" spielt im englischen Sprachraum, in den Vereinigten Staaten, und das ergibt eine - mit Sicherheit gewollte - etwas seltsame Mischung. Die Gesellschaft, die sich dort zusammenfindet, mutet wie der Pickwick Club von Charles Dickens an, liebenswert und spleenig:

Nach dem Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten sieht sich der "Gun-Club", der sich mit der Verbesserung von Kanonen befaßt hat, seines Tätigkeitsfeldes beraubt. Angesichts der drohenden Auflösung des Klubs kommt man auf die glorreiche Idee, die bisherigen Erfahrungen mit Projektilen darauf zu verwenden, eine "Kanone" mit einem Geschoß zu entwickeln, das bis zum Mond fliegt.

Das Buch karikiert, und natürlich hat in diesem Fall ein Franzose die noch "verrücktere", verwegenere Idee, in der Rakete mitzufliegen und empfiehlt eine entsprechende Konstruktionsänderung. Statt einer Kugelform soll das Projektil eine langgestreckte Form erhalten. Der Präsident des "Gun-Club" kann sich der Herausforderung des Franzosen einfach nicht entziehen, und schließlich startet man zu dritt.

Jules Verne: De la terre à la lune
Grafisk Forlag, Kopenhagen
Ernst Klett Verlag, Stuttgart
u.a. Verlage
Schwierigkeitsgrad C

Viel Spaß beim Lesen!



Erstveröffentlichung am 22. Juni 1995


21. Februar 2007