Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → SPRACHEN

FRANZÖSISCH/154: Lehrmittel (5) - écoute - Französisch-Magazin (SB)


écoute - Das aktuelle Magazin in Französisch




Es ist schon geraume Zeit her, daß Goethe mit voller Berechtigung über das Französische bemerken konnte: "Sie ist die Sprache des Umgangs und ganz besonders auf Reisen unentbehrlich, weil sie jeder versteht und man sich in allen Ländern mit ihr statt eines guten Dolmetschers aushelfen kann." (Eckermanns Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 10.1.1825) Längst hat das Englische diese Funktion übernommen. Dem Französischen, zu jener Zeit von der herrschenden Klasse gesprochen, ist der Ruch des Elitären, des ein wenig Besseren geblieben. Nicht zuletzt befördert wurde dies durch die Bemühungen der Académie Française, die französische Sprache frei von fremden Einflüssen zu halten und auf sprachgeschichtlich gewachsene Regeln festzulegen, ein Zug der französischen Kulturgewaltigen, der nicht nur ein Nachteil sein muß. Zum anderen wird dieser Ruf hierzulande dadurch genährt, daß Französisch als Zweitsprache eher den weiterführenden Bildungswegen vorbehalten ist. Jeder sechste Schüler lernt Französisch: 43 Prozent an Gymnasien, 23 Prozent an Realschulen, 19,3 Prozent an Gesamtschulen, 0,3 Prozent an Haupt- und Sonderschulen. In der Grundschule lernen nahezu alle Kinder Englisch, 4,3 Prozent Französisch.

Das Interesse von Schülern an der französischen Sprache ist zwar in den vergangenen 20 Jahren nicht spürbar zurückgegangen, doch läßt sich die Hinwendung zum Englischen leicht am öffentlichen Sprachgebrauch ablesen. Französische Begriffe, die bis zum Zweiten Weltkrieg noch in großer Zahl unsere Sprache durchsetzten und auch von den Nazis nicht wirksam vertrieben werden konnten, werden hier zunehmend durch englische resp. amerikanische Wendungen ersetzt. Chiq klingt heutzutage in vieler Ohren affig, en vogue ist kaum noch bekannt; an ihrer Stelle stehen trendy oder cool. Pardon ist dem lockeren sorry gewichen, und wer versucht noch Contenance zu wahren, wo er sowieso schon cool drauf ist.

Die französische Sprache, die in Wirklichkeit gar nicht so verschlossen ist, bietet eine ungeheure Vielfalt. Es gab schon immer den starken Kontrast zwischen dem geschriebenen und gesprochenen Französisch, gepaart mit einem Facettenreichtum, der Ausdruck der gesellschaftlichen Widersprüche war und ist. Und gerade diese Spannbreite, die von der klassischen - in Phasen geradezu beamtisch festgelegten und verwalteten - Schriftsprache mit ihren zwingenden Gegenbewegungen und Auseinandersetzungen über das geschriebene Alltagsfranzösisch bis zur gehobeneren Alltags- und nicht zuletzt zur Umgangssprache in all ihren Ausprägungen reicht, bietet eine Fülle an Denk- und Ausdrucksmöglichkeiten sowie Ansätzen zu Lebensentwürfen, die das Englische zu verlieren droht. Darüber hinaus hat das Französische noch den Vorteil, daß es schwer zu lernen ist. Um es sich zu erschließen, muß man sich sehr eingehend mit der Sprache und ihren grammatischen Konstruktionen befassen. Dies eröffnet nebenbei ein weitreichenderes Verständnis und die Möglichkeit, nicht undurchdacht aufzunehmen und wiederzugeben. Das zunehmend gefragte, heruntergebrochene Umgangs- und Geschäftsenglisch bietet im Gegensatz dazu wenig Stoff für Auseinandersetzungen sprachlicher und inhaltlicher Art; man versteht sich einfach zu schnell.

Will man sich sicher, treffgenau und umfassend in der französischen Sprache bewegen, erfordert sie ein recht bewußtes, differenziertes Lernen. Das klassische Französisch erschließt sich über die Literatur (wobei sich nicht wenige Autoren heute auch der Umgangssprache bedienen), das populäre Französisch über das Gespräch und das Radio. Doch wie man sich umgangssprachlich und dennoch strukturiert zu Gehör bringen kann, ist eigentlich nach Beendigung der Schule - steht der entsprechende Gesprächspartner nicht zur Verfügung - nur durch den Umgang mit einem geschriebenen Medium zu entwickeln.

Das vorliegende Magazin écoute könnte diese Lücke füllen sowie einiges zur Materialvielfalt beisteuern. Auf den ersten Blick scheint es allerdings zu dem Überfluß der Journale zu gehören, die mit einer graphisch verwirrenden Vielfalt jene ansprechen, die sich auf schnelle Weise Informationen verfügbar machen, indem sie von hier ein Bröckchen Information, dort ein Bild und an weiterer Stelle noch einen kurzen Text und Unmengen versteckter bis offener Werbung aufnehmen und bei passender Gelegenheit wieder von sich geben. Hier lohnt es sich allerdings, von dem ersten Eindruck abzusehen und genau zu werden, also mit Geduld die einzelnen Rubriken und Bausteine anzusteuern und sich ihnen wirklich zu widmen. Dann wird man darauf stoßen, mit welcher Sorgfalt und fachlichen Zuwendung dieses Magazin gestaltet ist und wie die Redaktion in der Tat den eigentlich nicht zu bewältigenden Spreizschritt meistert, eine Vielzahl unterschiedlicher Leser- und Lerninteressen unter einen Hut zu bringen.

Das Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick mit Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad (leicht, mittel, schwer) der verschiedenen Texte, wobei mittel eindeutig überwiegt und schwer die seltenste Bewertung ist. Verschiedene, feststehende Rubriken lassen sich je nach Interesse auswählen, zu jedem der Texte gibt es (auf der gleichen Seite) einen Vokabelteil. Hinter "Les gens", "En bref", "Voyage", "Interview", "Débat", "Société", "Économie", "Portrait", "Reportage" verbergen sich entsprechende kurze oder längere Artikel. "Au plaisir de lire" und "Littérature" präsentieren Literatur. Die "Série langue" und "Cahier linguistique", "Approfondissements", "La France au quotidien", "Infos- langue", "Le français en BD" (bande dessinée) - der Sprachteil - befassen sich mit Grammatik, Wortschatz, Alltagssituationen, besprechen Lehrwerke, stellen Aufgaben, deren Lösung unten auf der Seite als Kleingedrucktes zu finden ist. "Lettre de Paris", "Série vivre en France" und "Génération 2006" stellen Menschen in Frankreich vor. Die mit einem kleinen Telephon gekennzeichneten Artikel kann man mit demselben ohne Zusatzkosten anhören.

Als Beispiel dafür, wie durchdacht und strukturiert dieses Magazin ist, sollen nur kurz die "LANGUE Aprofondissements" dienen, kleine Hintergrundtexte, die sich auf längere Artikel im Heft (mit entsprechender Kennzeichnung) beziehen - als Grundlage dient hier die Februarausgabe. So wird Rabelais in einem umfassenderen Reisebericht über die Stadt Tours erwähnt, und die "Approfondissements" liefern einen kurzen Abriß über sein Leben und Werk (hier nur ein Auszug):

... Ses romans, comme Pantagruels (1532) ou Gargantua (1535), mettent en scène des personnages truculents, aimant la bonne chère et la boisson. Mais sous leurs aspects triviaux, ces héros ont surtout faim et soif d'apprendre et vivent dans un monde idéal fait de méditation, de spiritualité et de travail. En son temps, Rabelais fut très critiqué et menacé par la clergé et la noblesse qui appréciaient peu ses idées humanistes. ...

Und dazu noch die Anmerkung, er sei darüber hinaus als Pionier des Schüttelreims (la contrepèterie) in die Annalen der Literatur eingegangen, Beispiel:

"une femme folle à la messe" -> "une femme molle à la fesse".


Zu dem Portrait über Ingrid Betancourt, die sich seit vier Jahren als Geisel in den Händen der kolumbianischen FARC befindet, erscheint an dieser Stelle ein kurzer erklärender Text über den französischen Sänger Renaud, der sich mit einer Reihe weiterer Künstler für ihre Freilassung einsetzt.

Zusammengefaßt entspricht écoute in ihrer Aufmachung den gewohnten Zeitschriften, mit dem Vorteil, daß der Werbeanteil vergleichsweise gering und eigentlich noch gut zu erkennen ist. Zudem paßt diese zum Thema: Buch, Film, Musik zum weiteren Sprachenlernen, Sprachkurse etc. Über Unterhaltung und Kultur hinaus bringt sie auch aktuelle gesellschaftspolitische Themen, so zum Beispiel die Frage nach der französischen Verwaltungs- und Elitehochschule ENA, die nicht als Kaderschmiede an sich infrage gestellt, sondern auf ihre Brauchbarkeit für die gegenwärtige Gesellschaft hin betrachtet wird.


écoute Audio
Das kleine Hörprogramm auf MC und CD

Parallel zur Zeitschrift erscheint jeden Monat eine Audioversion auf MC und CD. Diese ist wie ein eigenes Radioprogramm gestaltet, mit persönlicher Ansprache bzw. Moderation und Anleitung. Wer sich aufgrund der Fülle, die das Heft präsentiert, ein wenig hilflos fühlt, erhält hier eine Führung, die zum einen den Zugang zur gedruckten Version erleichtert, zum anderen Texte, Reportage, Grammatik und Dialog verständlich und deutlich prononciert (langsam genug, aber nicht langweilig) präsentiert. Zum Großteil handelt es sich um Auszüge aus dem Magazin, auf die entsprechenden Seiten wird hingewiesen. Ein in die Kassette bzw. CD eingelegtes "Booklet" führt die zusätzlichen Texte (auch als E-Mail-Ausgabe erhältlich) auf, bietet eine Inhaltsübersicht und Vokabelhilfen. Es handelt sich durchgängig um Französisch, bis auf die eine oder andere knappe Inhaltsangabe, wie sie sich im Magazin auch schon findet, auf deutsch. Besonders, wenn man ungeübt im Hören französischer Texte ist, lohnt es sich, sich dieses Programm mehrfach anzuhören. Der Empfehlung, dies nebenbei in Bus, Bahn oder bei der Hausarbeit zu tun, kann ich nur bedingt folgen, da dort häufig die nötige Aufmerksamkeit fehlt.

écoute Audio (MagAudio) befaßt sich mit Themen und Texten des Heftes, aber auch eigenen, die Februarausgabe unter anderem mit der gerade im Januar akuten Diskussion eines, ungeachtet des Protestes besonders aus ehemaligen Kolonien, bereits im November 2005 verabschiedeten Gesetzes über den Umgang mit der französischen Kolonialzeit. Speziell ging es um den Artikel 4, der von Lehrern und Hochschullehrern forderte, in ihrem Unterricht mehr Gewicht auf die "positive Rolle" zu legen, die das Land in Übersee und vor allem in Nordafrika gespielt habe. Nach einer kurzen Einführung durch die Moderatorin und der Frage:

La colonisation française, a-t'elle oui ou non aussi des aspects positifs pour les pays colonisés?
Muß man die Geschichte heute umschreiben und sie auf den Boden einer neuen Moral stellen?

folgen eine Kurzreportage über Proteste auf den Antillen, die Stellungnahmen (im O-Ton) eines französischen Abgeordneten, eines Journalisten, eines ehemaligen Bildungsministers und des Staatspräsidenten Jacques Chirac sowie das Chanson "Histoire" von Henri Tachan. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf den vorgebrachten Ausflüchten und allgemeinen Reflexionen über die Rolle der Geschichte und Geschichtsschreibung, die genau vom eigentlichen Thema, nämlich dem des mörderischen Übergriffs auf ein anderes Land, ablenken. Dennoch ermöglicht das Material dem Leser, sich eine eigene Meinung zu bilden. Aufgrund der Proteste, besonders aus dem Ausland, ließ Jacques Chirac übrigens Ende Januar den umstrittenen Artikel per Dekret streichen.

Daß sich auch Themen mit reichlich Zündstoff wie Migration und Kolonisation in ihrer Darstellung erschöpfen, sollte nicht verwundern, da sich das vorliegende Produkt an einen möglichst breiten Leserkreis richtet. Anderes ist an dieser Stelle nicht zu erwarten. Darüber hinaus dürfte das, neben dem nicht genug zu schätzenden kulturellen und Bildungsengagement, eher der Haltung von Redaktion und Herausgeber entsprechen. Wenn es das Ziel von écoute ist, der französischen Sprache den Freundeskreis zu erhalten und diesen, wenn möglich, noch zu erweitern, hat das Projekt (die Zeitschrift besteht seit 1984 und verzeichnet zur Zeit eine verkaufte Auflage von 55.903 Exemplaren) weiterhin Aussicht auf Erfolg. Magazin wie Audioversion bieten für jeden etwas und genug Stoff für einen Monat mit vielen Anregungen für die weitere Auseinandersetzung mit Frankreich, der Frankophonie und dem Französischen. Denkbar wäre sogar, die eine oder andere Serie noch einmal in Buchform zu veröffentlichen.

Neben dem Magazin und der Hörfassung erscheint alle zwei Monate ein Sprachtrainer ("écouteplus") mit Übungen und Tests zu Grammatik und Wortschatz. Für Lehrer stehen mit "écoute en classe" monatlich drei Seiten mit Übungen zu Beiträgen des Magazins zur Verfügung. Bliebe noch darauf hinzuweisen, daß die écoute-Internetseite gleichen Namens (Accent weglassen) weitere Übungen, Adressen von Websites zum Weiterlesen und Erkunden der französischsprachigen Welt, eine Sparte "Le français au travail" mit Artikeln und Hinweisen zur Arbeitswelt bietet.

écoute erscheint monatlich, am letzten Mittwoch des Vormonats und ist im Zeitschriftenhandel sowie beim Verlag direkt erhältlich.

Neben dem französchen Magazin erscheinen noch ECOS (Spanisch), ADESSO (Italienisch), DEUTSCH perfekt**, Spotlight und Business Spotlight (alle zwei Monate)*** sowie Spot on*

Dr. Wolfgang Stock (Herausgeber und Verlagsleiter)
écoute - Das aktuelle Magazin in Französisch
Karl Jetter (Chefredakteur)
écouteAudio - Hörmagazin auf MC oder CD
France Arnaud-Brifaut (Buch und Regie)
Spotlight Verlag, München

** Rezension im Schattenblick siehe unter DIE BRILLE\REDAKTION\ LITERATURBETRIEB/048: Zeitschriften und Verlage 7
* Rezension im Schattenblick siehe unter BILDUNG UND KULTUR\SPRACHEN\ ENGLISH/636: Lehrmittel (13) Spotlight - Spot on, das Junior- Magazin
*** Rezension im Schattenblick s. unter BILDUNG UND KULTUR\SPRACHEN\ ENGLISH/650: Lehrmittel (15) Spotlight & Business Spotlight


Erstveröffentlichung am 31. März 2006


23. November 2007