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LATEIN/003: Kurs für Neueinsteiger (2), Trockenfutter (SB)


Latein ist tot - es lebe Latein!
Lustvolle Lektionen für Neueinsteiger


Teil 2: Trockenfutter



Wie ein Hobby-Aquarianer nicht nur Mückenlarven an seine Fische verfüttern kann, sondern immer wieder zum Trockenfutter greifen wird, kommen wir auch beim Lateinlernen nicht ohne lagerfähige Geistesnahrung aus. In unserem Fall sind dies u.a. Fachbegriffe, die zur klaren Verständigung notwendig sind. Alle fett gedruckten Wörter sind unten erläutert und sollten in einer Schublade für einen schnellen Zugriff aufbewahrt werden. Zu diesen Fachbegriffen gehören auch Formen und Vokabeln.

Wir beginnen mit Gaius Iulius Caesar. Geboren am 13. Juli 100 v. Chr. ist er noch heute in aller Munde. Und das nicht allein durch diverse Filme, Literatur oder Unterrichtslatein, sondern im ganz wörtlichen Sinne: Der schöne Name "Julia" geht auf das Geschlecht der Julier zurück, dem Caesar angehörte, und auch unser Monat "Juli" verdankt ihm seinen Namen. Früher hieß dieser Monat "Quintilis", "der fünfte Monat" des alten, im März beginnenden Kalenders. "Juli" klingt nicht nur hübscher als "Quintilis, es zeugt auch von der Hochachtung, die dem berühmten Feldherrn entgegengebracht wurde. Apropos Kalender: Caesar war nicht nur Gallieneroberer, Redner, Sprachtheoretiker, Schriftsteller, Politiker und Diktator. Er hat im Zuge seiner Neuordnung des Staates auch eine Kalenderreform veranlasst. Das Resultat war - wie könnte er anders heißen - der "Julianische Kalender", der bis heute nur geringfügig korrigiert wurde.

Jetzt aber geht es um Grammatik, die im Lateinischen bekanntlich groß geschrieben wird. Aufgrund des damit verbundenen Lernaufwandes gilt Latein als schwer, langweilig und vor allem: als mühsam. Erstaunlicherweise stammt dieses Urteil jedoch nicht zwingend von den Lateinschülern selbst, sondern von den anderen, die offenbar immer gerade dann besonders gut zuhören, wenn ein Lateiner seinem selbstverständlich zuweilen in Erscheinung tretenden Lernfrust durch Klagen Ausdruck verleiht. Da ist man dann ganz erleichtert, im eigenen, modernen Unterricht zu sitzen, der im Vergleich plötzlich nicht mehr ganz so verflixt erscheint.

Damit sind wir bei der schlechten Nachricht dieses Kurses angelangt: Wer Latein lernen möchte, muss die Grammatik begreifen. Dazu gehört auch Auswendiglernen, Büffeln, Pauken - oder wie man die trockenen Dinge sonst nennt, zu denen man normalerweise keine Lust hat und um die alle anderen Sprachlehrer ihre Lateinkollegen beneiden. Im modernen Sprachunterricht ist trockenes Lernen ebenso out wie Pizza beim Nobel-Italiener. Und Pizza verdient es nun wirklich nicht, als unzeitgemäßes Trockenfutter vom Speiseplan gestrichen zu werden.

Wie gern würde so mancher Spanisch- oder Französischlehrer - den kommunikationsorientierten Aus- und Fortbildungen zum Trotz - seinen Schülern einmal von Herzen deutlich sagen: "Lernt diese Tabelle auswendig!", - um am Ende ein ganz unpädagogisches "aber fix!" zu ergänzen.

Wie viele praktisch-schlichte Tabellen es in den bunten, bilderorientierten Lehrbüchern der modernen Fremdsprachen noch gibt, bleibt dabei die Frage. Zugegeben: Auch in Lateinlehrwerken macht sich der Trend zu bunten Bildchen immer breiter. Wer erträgt es schon, stets als unmodern - oder noch schlimmer: als didaktisch veraltet - vermaledeit zu werden. Aber, Gott sei Dank, die Tabellen bleiben uns erhalten. Sie sind jetzt nur orange, grün, blau oder gelb unterlegt. Mitunter auch alles gleichzeitig. Das ist zwar alles andere als wichtig, aber nett anzuschauen und zuweilen recht angenehm, da auf diese Weise einzelne Wortteile wie etwa Verbstamm, Bindevokal und Personalendung bunt voneinander abgehoben werden können. Zu diesen Begriffen später mehr.

Betrachten wir Caesars bekanntes "veni, vidi, vici", dann sind wir schon mitten in der Grammatik.

Veni, vidi, vici sind Verben (zu Grundschulzeiten sagte man statt Verb "Tu-Wort") im Perfekt. Perfekt ist eine Zeitstufe der Vergangenheit, ein Vergangenheitstempus. Die Verben stehen jeweils in der ersten Person: Ich bin gekommen, ich habe gesehen, ich habe gesiegt. Die Übersetzung wird normalerweise mit "Ich kam, sah, siegte", also ohne die ganzen Ichs in unserer Erzählsprache wiedergegeben, um den sprachlichen Stil von "veni, vidi, vici" nachzuahmen. Die Wörter sich durch kein "und" verbunden. Solcherart sprachliche Stilmittel (hier Alliteration und Asyndeton) sind ein Kapitel für sich und sollen uns zu Beginn des Kurses nicht interessieren. Nur so viel: Mit ihnen wird, genau wie im Deutschen, eine bestimmte Wirkung beabsichtigt. Ein anderes Beispiel wäre: "Menschen, Monster, Mutationen". Das wirkt anders als zu sagen: Es waren einmal Menschen, die sind Monstern begegnet, bei denen es sich um Mutationen handelte. Wie bei "veni, vidi, vici" haben wir keine Schnörkel, sondern nur drei Wörter mit gleichen Lauten hintereinander - kurz, knapp, knallig.

Bei der Übersetzung von "veni - ich bin gekommen" fällt auf, dass im Lateinischen das Personalpronomen "ich" nicht als einzelnes Wort wiedergegeben wird. Zwar gibt es im Lateinischen auch Personalpronomina, auf ihre Verwendung wird jedoch in der Regel verzichtet, da - anders als im Deutschen - die Person aus der Endung (Personalendung) hervorgeht. In unserem Beispiel ist dies jeweils das "i" von ven-i, vid-i, vic-i.

Veni: Ich bin gekommen. Vidi: Ich habe gesehen. Vici: Ich habe gesiegt.

Mit einem einzelnen lateinischen Verb, einer sogenannten finiten Verbform (wie "vici"), kann ein vollständiger Satz zum Ausdruck gebracht werden. Das ist im Deutschen nicht möglich. Ein vollständiger Satz besteht aus Subjekt und Prädikat. Das "Ich" ist Subjekt, d.h. der Hauptgegenstand des Satzes. Wer hat gesiegt? Antwort: Ich! - "Ich" ist Subjekt. Was das Subjekt getan hat, gerade tut oder tun wird, ist die dazugehörige Aussage des Satzes. Jemand will wissen, was ich gemacht habe. Die Antwort lautet: Ich habe gesiegt. Oder: Ich siegte. (Über diesen Unterschied der Deutschen Vergangenheit sprechen wir ein andermal noch ausführlicher.) Mehr benötigen wir nicht, um einen vollständigen Satz zu bilden.

Da man normalerweise mit dem Präsens, der Zeit der Gegenwart, einen Kurs beginnt, werden auch wir uns jetzt diese Zeit unter die Lupe nehmen und dabei etwas über die Bildung lateinischer Verben lernen. Unser "veni, vidi, vici" lautet im Präsens: venio, video, vinco.

Veni-o: ich komme. Vide-o: ich sehe (was sollte Video sonst heißen?). Vinc-o: ich siege. Richtig erkannt: Die Personenendung, die hier statt "i" für "ich" steht, ist im Präsens ein "o".

Diese Unterscheidung ist wunderbar; denn mit minimalem Lernaufwand lassen sich die Verben in den verschiedenen Zeiten oft schon an ihren Endungen erkennen und unterscheiden. Und "minimal" ist hier ohne jeden Hauch von Ironie gemeint - oder wie lange dauert es, sich die folgenden Endungen für die einzelnen Personen einzuprägen?

-o, -s, -t, -mus, -tis, -nt

Das "vide-" von "video" bleibt immer gleich. Es ist die Basis bzw. der Wortstamm. Die Endungen für "ich, du, er/sie/es, wir, ihr, sie" werden angehängt. Das sieht dann so aus:

vide-o - ich sehe
vide-s - du siehst
vide-t - er/sie/es sieht
vide-mus - wir sehen
vide-tis - ihr seht
vide-nt - sie sehen

Einfach, oder?
Kennt man also die erste Person und die Personenendungen, kann man (von einer Kleinigkeit namens Bindevokal abgesehen) jede Person fast aller Verben im Präsens selbst bilden. Die gute Nachricht ist, dass wir das gar nicht können müssen. Zu Übungszwecken kann es zwar äußerst nützlich sein, hier und da selbst Wörter in den unterschiedlichen Personen und Zeiten zu bilden. Im Grunde reicht es aber, die richtige Person zu erkennen - schließlich wollen wir Latein nicht sprechen, sondern lesen.

Bevor wir weitergehen, sind zwei weitere Begriffe zu klären: Infinitiv und Konjugation. Die Grundform eines Verbs heißt Infinitiv. Kommen, sehen, siegen usw. Nichts Kompliziertes also. Sobald zu einem Verb eine Personenendung tritt, ist sie kein Infinitiv mehr, also nicht mehr in-finit, sondern eine sogenannte "finite" Verbform. Ich liebe, du siehst, er/sie/es kommt, wir siegen, ihr seht, sie wollen. Den Vorgang, Verben mit einer Person zu versehen, nennt man konjugieren, das Hauptwort dazu ist Konjugation.

Unsere lateinischen Verben lauten im Infinitiv: venire, videre, vincere.

Damit haben wir drei der fünf verschiedenen Konjugationen des Lateinischen bereits erfaßt. Wie die im einzelnen aussehen, und wie wir einen Satz erweitern können, betrachten wir im nächsten Teil.

Da in diesem Kurs das Rad nicht neu erfunden werden soll und unmöglich alle Formen vollständig und systematisch erfaßt werden können, empfehle ich für den Start zum Nachschlagen der Formen: Langenscheid Kurzgrammatik Latein. München, Berlin 2008. ISBN 978-3-468-35203-4. Diese Grammatik bietet einen knappen, systematischen Überblick.

Salve, amici et amicae Linguae Latinae,

Tschüss, Freunde und Freundinnen der lateinischen Sprache.
(Der bis in die Knochen patriarchale Römer würde niemals mit Nennung der Frau beginnen.)


Verwendete Begriffe
Die Begriffe der lateinischen Grammatik werden auch zur Beschreibung anderer Sprachen verwendet - nicht zuletzt unserer eigenen. Wie das im Chinesischen gehandhabt wird, ist eine andere Frage. Für den europäischen sowie anglo- und hispanoamerikanischen Sprachraum ist die lateinische Ausdrucksweise jedoch maßgeblich.

Aktiv - bezeichnet die Tätigkeitsform des Verbs. "Ich sehe" ist Aktiv. Der Gegensatz dazu ist das Passiv: "Ich werde gesehen."

Alliteration - Eine Alliteration ist eine rhetorische Figur, bei der Wörter mit gleichem Anfangsbuchstaben wiederholt werden.

Asyndeton - bezeichnet die "unverbundene" Nebeneinanderstellung gleicher Satzglieder.

Finite Form - (von finire - begrenzen, beenden); Verbform mit einer Personalendung. Die grammatikalisch vollständige Umschreibung der finiten Verbform "video - ich sehe" lautet: Erste Person Singular Indikativ Präsens Aktiv (abgekürzt: 1. Pers. Sg. Ind. Präs. Akt.).

Genus - Geschlecht. Das Lateinische unterscheidet Hauptwörter wie das Deutsche in maskulinum (m. - männliches Geschlecht), femininum (f. - weibliches Geschlecht) und neutrum (n. - sächliches Geschlecht).

Indikativ - der Indikativ (indicare: anzeigen) bezeichnet die sogenannte Wirklichkeitsform des Verbs, Beispiel: ich kam. Wenn man stattdessen sagt: Ich käme, wenn ich Zeit hätte, bezeichnet "käme" nicht mehr die Wirklichkeit, sondern eine Bedingung bzw. Option. Bei dieser Art der Aussage verwendet man nicht den Indikativ, sondern den Konjunktiv "käme".

Infinitiv - Er bezeichnet die Grundform des Verbs: kommen, sehen, siegen. Der Infinitiv hat keine Personalendung.

Konjugieren - Die Endungen für die Person im Singular (Einzahl) oder im Plural (Mehrzahl) an den Verbstamm anfügen. Das Substantiv heißt "Konjugation".

Personalendung - die Verbendung zur Bezeichnung der Person

Person - ich (1. Person Singular, abgekürzt: 1. Pers. Sg.), du (2. Pers. Sg.), er/sie/es (3. Pers. Sg.), wir (1. Pers. Plural, abgekürzt: Pl.), ihr (2. Pers. Pl.), sie (3. Pers. Pl.)

Prädikat - Satzaussage; Verb mit einer Personalendung. (Es gibt noch eine andere Version von Prädikat, doch die kommt erst später.)

Präsens - Tempus (Zeit) der Gegenwart

Perfekt - Tempus (Zeit) der Vergangenheit

Pronomen - Fürwort; Plural: Pronomina - Stellvertreter für ein Nomen (pro-nomen) bzw. Substantiv.

Personalpronomen - ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie; die Person wird im Lateinischen normalerweise in der Endung des Verbs ersichtlich. Nur wenn eine Person ganz besonders betont werden soll, steht das lateinische Personalpronomen.

Plural - Mehrzahl

Singular - Einzahl

Stamm - Einen Stamm gibt es bei Verben wie auch bei Substantiven. Er bezeichnet den Teil des Wortes, der im Wesentlichen unverändert bleibt und an den die Endung angefügt wird.

Subjekt - Satzgegenstand; das Subjekt eines Satzes wird durch die Frage "Wer oder was?" ermittelt.

Substantiv - Hauptwort

Tempus - grammatische Zeit

Verb - Tätigkeitswort


1. Juli 2011