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KALTE PLATTE/0042: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


KALTE PLATTE UNTERWEGS
Eine Reportage von Hartmut Häme

Nachts sind alle Götter blau

Der "Olymp" wackelt. Die so benannte Taverne im Haus gegenüber wird von heftigen Heiterkeits-Eruptionen erschüttert. Unaufhaltsam quellen Licht, Gesang und lebhaftes Stimmengewirr auf den regennassen Bürgersteig. Was geht da vor? In meiner Eigenschaft als KALTE PLATTE-Reporter beschließe ich, die Angelegenheit zu recherchieren und begebe mich unverzüglich vor Ort.

"Komm rein, komm rein", werde ich auf meine vorsichtige Frage nach einer privaten Feier überschwenglich an die Bar gewinkt. "Abschied von Dr. Igitt", weist Stammatis, der Wirt, mit breitem Grinsen in die Runde. "Abschied aus Politik." Mein Unverständnis routiniert überspielend, lasse ich mich wie selbstverständlich am überfüllten Tresen nieder.

"Kali niechta, Dr. Igitt", bekräftigt mein Barhockernachbar zur Linken mit erhobenem Ouzo-Glas das Motto der Zusammenkunft.

Da die häufige Erwähnung dieses "Dr. Igitt" bei mir keine "Ach-so-DER"-Reaktion provoziert, frage ich bei meinem Nebenmann diskret nach dessen bürgerlichem Namen.

"Chatzimarkakis", entgegnet der und wiehert laut los, als hätte er mir eben seinen Lieblingswitz erzählt. "FDP-Chatzimarkakis, Pusti Chatzimarkakis", müht er sich dann um größere Präzision.

Und tatsächlich, jetzt blinkt in meinem Hirn endlich "Suche erfolgreich" auf. Dr. Jorgos Chatzimarkakis, der griechisch-stämmige FDP-Abgeordnete, der seinen Fraktionschef Guido Westerwelle kürzlich als Igitt-Faktor bezeichnet hatte. Klar, Dr. Igitt. Hat sich trotz der weit verbreiteten Ressentiments gegen Guido Westerwelle mit seinem Ausspruch eher unbeliebt gemacht. Grottenschlechter Stil. Sowas kommt in Deutschland nicht gut an. Bei mir sowieso nicht.

"Großer Idiot, Chatzimarkakis", hebe ich zustimmend das eiskalt beschlagene Glas, das Stammatis mir soeben augenzwinkernd zugeschoben hat. Ich leere es in einem Zug. Dann schicke ich noch ein körpersprachlich doppelt unterstrichenes "Dr. Igitt" nach. Die Belohnung ist ein Schulterklopfen von einem unbekannten Hintermann und ein weiteres Glas Ouzo, diesmal von meinem Sitznachbarn.

"Malacker, Chatzimarkakis", nimmt der den Gesprächsfaden auf. "Sagt, Brüssel soll Griechen kein Geld geben. Soll Beamte schicken, die Geld verteilen. Aufpasser, katalaves, verstehst du?" Seine Stirn beginnt sich bei dem Gedanken sicherlich nicht zum ersten Mal bedenklich zu röten. "Vielleicht sogar deutsche Aufpasser?"

Beschwichtigend mischt der Wirt sich ein: "Nimm das nicht persönlich. Ist wegen früher. Als die Nazis in Griechenland waren. Nicht du. Aber unsere Alten, die erinnern sich noch. Waren im Widerstand. Haben Angehörige verloren. Sie trauen den Deutschen nicht."

"Versteh' ich doch, versteh' ich doch", winke ich nonchalant ab, bin aber eigentlich erschrocken. Sofort sehe ich einen alten, sonnenzerfurchten Freiheitskämpfer vor mir, mit Narben aus dem Krieg. Der begleitet seinen Sohn zu dem genervt blickenden deutschen EU-Beamten, bei dem er Subventionen für seinen Olivenhain beantragen muß. Ziemlich scheußliche Vorstellung. "Ignoranter ging's wohl nicht", murmele ich betreten. Um dann energisch nachzusetzen: "Eine totale Dumpfbacke, dieser Chatzimarkakis!"

"Sag ich auch, sag ich auch, Dummkacke!" Stammatis ist sichtlich erleichtert, seinen Gast nicht beleidigt zu haben. "Chatzimarkakis beschmutzt sein eigenes Land. In aller Öffentlichkeit. Dieser, dieser Malacker, dieser -"

"Stammati, wir feiern. Wir wollen freuen!" Eine rundliche Frau mit energischem Blick nimmt dem Wirt die Ouzoflasche aus der Hand und schenkt uns allen nach. "Gerade eben wieder in Fernsehen. Nachrichten. Dr. Igitt Betrüger, wegen Doktortitel. Wir so lustig. Alle Leute wissen, er Aufpasser brauchen! Er! Nicht wir. Ezi ine. So ist das."

Stunden später, nach gewissenhafter Beendigung meiner Vor-Ort-Recherche, mache ich mich auf den Heimweg über die menschenleere Straße. "Schatzimakakiss", wortspiele ich, "Katzimukapiss." Und, ungelogen, ertönt hoch über mir, wo die nassen Dächer sich im Dunkel der Nacht verlieren, ein homerisches Gelächter.

18. Mai 2011