Schattenblick →INFOPOOL →BOULEVARD → PLAUDERSTÜNDCHEN

KALTE PLATTE/0051: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


Dead and deleted - Digitale Sterbekultur

Daß im Zuge der Gesundheitsreform 2004 auch das Sterbegeld ersatzlos gestrichen wurde, hat von den Politikern zunächst kein Aas interessiert. Doch allmählich treten denen immer mehr genervte Bürger auf die Füße. Denn wenn irgendein mittelloser, naher Anverwandter abzuleben beliebt, ist man dran. Finanziell, meine ich. Und Beerdigungen sind sowas von schweineteuer. Meist kommt auch noch ein Grabpflegevertrag über mindestens zehn Jahre dazu, damit im Bekanntenkreis kein blödes Gerede wegen Verunkrautung und Vermoosung der ehrwürdigen Stätte entsteht. Pleite kann man daran gehen, richtiggehend Pleite.

Da lob ich mir die Internet-Friedhöfe. Jeder kann so viele Blumen reinstellen wie er will. Zu gießen braucht sie keiner. Und an Allerseelen einfach - klick, klick - ist zwischen zwei Schlucken Kaffee der Friedhofsbesuch absolviert. Das ist doch eh nicht mehr zeitgemäß, dieses Brimbamborium um die Verstorbenen. Wenn Steinzeitkulturen in Borneo sowas veranstalten, okay, zugestanden. Aber bei uns im Hightech-Zeitalter wirken Reality-Begräbnisse doch reichlich antiquiert. Irgendwie absurd und lächerlich. Wo es digital doch soviel schneller und komfortabler geht. Außerdem gibt es am Monitor viel mehr Freiraum für individuelle Grabgestaltung. Auf welchem christlichen Friedhof darf man schon die Lieblingscomic-Helden aufstellen oder Elton John zum "Candle-in-the-wind"-Dauersingen verpflichten?

Was das mit dem gestrichenen Sterbegeld zu tun hat? In absehbarer Zeit eine ganze Menge. Denn die Diskussion darum hat die Politiker endlich dazu angeregt, eine grundsätzliche Reform der überkommenen Sterbekultur in die Wege zu leiten. Bald zahlen die Kassen wieder, aber nur für eine schlicht fachgerechte Entsorgung des Leichnams und eine automatisch im Internet erscheinende, frei ausgestaltbare Grabstätte, die nur den Namen des Verblichenen und den Todeszeitpunkt enthält. Wer aus irgendwelchen Gründen nicht auf Krankenkassenkosten entsorgt werden kann, hat die Möglichkeit, die bei seinem Tode anfallenden Kosten über vorherige Organspenden zu decken. Darüber hinaus können Unversicherte über 60 auch die staatlichen Leistungseinsparungen wegen ihres per Sozialindikation fachkundig durchgeführten frühzeitigen Einschläferns als Guthaben auf ihr Todesabwicklungskonto buchen lassen. So nähern wir uns doch endlich einer Sterbekultur, die zu uns paßt! Totengräber ade!

23. November 2011