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KALTE PLATTE/0089: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen



Handelsobjekt Stille

Viele Pfarrer weiträumig gebauter Kirchen in Hamburg berichten, daß ihre Gotteshäuser zunehmend außerhalb der Messezeiten von Menschen besucht werden, die dort nicht Gott, sondern einfach nur Stille suchen. Um dem Geflecht aus Kommunikationstechnik, Nahverkehr, aggressiven Werbekampagnen, gestreßten Mitmenschen und dergleichen mehr kurzfristig zu entrinnen, scheinen die großen Kirchen in der Stadthektik letzte Zufluchtsorte zu sein. Daher wird auch die Christophoruskirche in Hamburg-Altona eigens zu einer "Kirche der Stille" umgebaut. Und im Hamburger Hauptbahnhof unterhält die Stadtmission einen "Raum der Stille", der allerdings aufgrund seiner geringen Größe (16 Quadratmeter, Höhe 2,30 Meter) das Raumgefühl in einer großen Kirche vermissen läßt.

Räume der Stille werden für Stadtbewohner immer wertvoller. Wohlgemerkt, es geht dabei nicht um die Art von Stille, die den Single nachts in seiner engen Mietwohnung umfängt oder die sich in einem Samadhi-Tank realisieren läßt. Es geht vielmehr neben akustischer Dämpfung zugleich um ein Raumempfinden der Höhe und Weite, um einen Hallraum, der der Stille diese besondere, beinah haptische Qualität verleiht.

Inzwischen hat der Bedarf an solcher "fühlbaren Stille" seinen Weg aus dem Umfeld der Kirchen in die Welt der Ökonomie gefunden. Der Bedarf macht die Stille für den Markt interessant. Findige Geschäftsleute sind dabei, sich spezielle "Stilleprodukte" - also mittels genau festgelegter Gebäudeabdämmungen bei gleichzeitiger Sicherstellung eines spezifischen Nachhalleffekts erzeugte Raumeigenenschaften - patentieren zu lassen. Um gleich ganz groß in das Stille-Geschäft einzusteigen, sind für alle deutschen Städte mit über 5 Millionen Einwohnern bereits sogenannte Silentarien geplant. Sofern sie offiziell als gesundheitsfördernd anerkannt werden, und das ist so gut wie sicher, können die Betreiber sogar mit staatlichen Zuschüssen rechnen.

Übrigens: Um den Marktwert der im Silentarium erhältlichen Stille (unverbindl. Preisempfehlung 4,50 Euro/20 Min.) weiter zu steigern, sind Maßnahmen wie etwa das Einrichten von Musikberieselungsanlagen in Parks und auf Friedhöfen angedacht. Wer also in seiner Stadt noch ein wenig kostenlose Stille genießen möchte, sollte sich beeilen!

30. Januar 2014