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KALTE PLATTE/0092: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen



Innovatives Doku-TV-Format

Trockene Fakten statt Toten und Nackten? Für viele spannungsverwöhnte TV-Konsumenten sind schlichte Tatsachenberichte einfach zu langweilig. Und weil für die werbewirtschaftsabhängigen Sender nur Einschaltquoten zählen, sterben die alten, verläßlich recherchierten Nachrichtenformate aus. Dagegen sind Dokusoap, Dokudrama & Co. unaufhaltsam auf dem Vormarsch.

Ganz in diesem Sinne wurde auch das Dokudrama "Der Rücktritt" gedreht, das vorgibt, das Leben von Christian Wulff in den brisanten Tagen vor dessen Rücktritt zu beschreiben. Dabei wurde das arrangierte Doku-Material mit Spielszenen angereichert, um der Unterhaltung Rechnung zu tragen. Dennoch wurde der Film ein Reinfall. Jedenfalls zuschauertechnisch. Schlappe 2,78 Millionen Bundesbürger sahen sich das Machwerk an. Das gab dem Sender zu denken.

Offenbar hätte "Der Rücktritt" einen gewissen Anteil an Gewalt- und am besten auch Sexszenen gebraucht, um mehr Zuschauer zu binden. Also rief der Sender die maßgeblichen Mitarbeiter zum Brainstorming zusammen, um derartige Fehlschläge in Zukunft zu verhindern. Heraus kam ein völlig neues Format, das als innovatives Medienprodukt die Einschaltquoten in die Höhe schnellen lassen soll: die Kettensägen-Doku.

Unter dem Titel "Dirty Minds" (Schmutzige Gemüter) befaßt sich der Prototyp des neuen Formats mit dem Rücktritt von Landwirtschaftsminister und Ex-Innenminister Friedrich im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre. Während dem Zuschauer genüßlich Unmengen vorgeblichen Beweismaterials gegen Edathy präsentiert werden, entwickelt der zum Rücktritt gedrängte TV-Friedrich einen tödlichen Haß auf den SPD-Mann. Friedrich gibt Edathy die alleinige Schuld am Verlust seines Ministerpostens und seines Ansehens in der Bevölkerung. Er ergeht sich in immer brutaleren Kettensägen-Mordfantasien, obgleich er sich äußerlich mit seiner Situation abgefunden hat. Friedrich traktiert Edathy schließlich real mit anonymen Morddrohungen, dann kommt es zum blutigen Finale. Für den Zuschauer bleibt jedoch offen, ob die herumliegenden Leichenteile nur in Friedrichs Gedanken existieren oder ob er real die Säge schwingt.

Zweifelsohne wird die Kettensägen-Doku ein TV-Format der Zukunft. Bleibt die düstere Frage: Was kommt danach?

6. März 2014