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REZENSION/032: David Talbot - Das Schachbrett des Teufels - Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung (SB)


David Talbot


Das Schachbrett des Teufels

Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung



Amerika ist in die falsche Richtung unterwegs. So empfinden es laut Umfragen die meisten US-Bürger. Im November stehen ihnen mit Hillary Clinton und Donald Trump die beiden unpopulärsten Präsidentschaftskandidaten in der Geschichte der US-amerikanischen Demoskopie zur Wahl. Der republikanische Baumagnat, der mit Machogehabe und populistischen Attacken gegen Schwarze, Muslime und Mexikaner das weiße Prekariat begeistert, will Amerika "wieder groß machen" - unter anderem durch eine drastische Aufstockung des Wehretats. Die demokratische Ex-Außenministerin verkauft sich als Stabilitätsfaktor mit Herz für die sozial Schwachen, was durch ihre Nähe zu den Wall-Street-Banken und der neokonservativen Imperialistenriege unglaubwürdig erscheint. Spricht man dieser Tage mit Amerikanern, so sehen sie sich mit der unappetitlichen Wahl zwischen Pest und Cholera konfrontiert.

Statt Pessimismus, wie im heutigen US-Präsidentschaftswahlkampf, herrschte vor acht Jahren Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel, auf eine Abkehr von Kriegswirtschaft, sozialer Ungleichheit und Vernichtung der natürlichen Lebensressourcen auf unserem Planeten. Doch der große Hoffnungsträger Barack Obama hat sich mit seinem "Change You Can Believe In" nicht durchsetzen können. Das umstrittene US-Internierungslager Guantánamo Bay auf Kuba ist immer noch in Betrieb. In Afghanistan und im Irak kämpfen und sterben weiterhin US-Soldaten. Syrien und Libyen sind dank der aktiven Destabilisierung Washingtons im Chaos versunken. In Jemen, Pakistan und Somalia verbreiten CIA-Drohnenangriffe Angst und Schrecken. Währenddessen ist die NATO bis vor die Tore Sankt Petersburgs gerückt; die Gefahr eines Atomkrieges mit Rußland ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu guter Letzt hat Obama, der wegen seiner ursprünglichen Vision einer kernwaffenfreien Welt 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, kurz vor seinem Abzug aus dem Weißen Haus eine Modernisierung des US-Atombombenarsenals auf den Weg gebracht, die eine Billion Dollar kosten und dreißig Jahre dauern soll.

Obamas optimistisches "Yes, we can" ist an den Interessen jenes "militärisch-industriellen Komplex[es]" gescheitert, vor denen schon sein Amtsvorgänger General a. D. Dwight D. Eisenhower bei seiner Abschiedsrede als Präsident im Januar 1961 gewarnt hatte. Der frühere Oberkommandierende der Alliierten Streitkräfte in Europa im Zweiten Weltkrieg wußte, wovon er sprach, hatte er doch zwei der wichtigsten Vertreter des MIK - die Brüder John Foster Dulles und Allen Dulles - in seiner Regierung gehabt, ersteren als Außenminister, letzteren als CIA-Chef. Am Ende seiner acht Jahre im Weißen Haus glaubte Eisenhower, Allen Dulles hatte mit der U2-Affäre, dem Abschuß eines amerikanischen Spionageflugzeugs über sowjetischem Territorium, die Bemühungen Washingtons und Moskaus um eine Entspannung im Kalten Krieg absichtlich torpediert.

David Talbot, Gründer der Onlinezeitung Salon und derzeit prominentester Vertreter der kritischen Presse in den USA, hat sich akribisch mit dem Leben und Wirken von Allen Dulles auseinandergesetzt. Das Ergebnis seiner Recherche liegt nun vor in Form der ungemein spannenden, 603 Seiten umfassenden Biographie "Das Schachbrett des Teufels - Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung". Auf dem Klappentext der deutschen Ausgabe vom Westend-Verlag wird die liberale Zeitung Boston Globe mit der treffsicheren Aussage zitiert: "Alle, die sich bisher über Verschwörungstheorien lustig gemacht haben, dürften ihre Meinung nach der Lektüre dieses Buchs ändern."

Anhand des Lebens von Allen Dulles beleuchtet Talbot grundlegende, jedoch verdrängte Aspekte der Geschichte der USA im 20. Jahrhundert. Die Gebrüder Dulles waren zuerst und vor allem Anwälte der gut vernetzten Wall-Street-Kanzlei Sullivan & Cromwell. Es waren die Interessen ihrer Kunden sowie der anderen amerikanischen Großkonzerne, die Allen Dulles stets am Herzen lagen, sei es als Vertreter des Office of Strategic Services (OSS) in Bern während des Zweiten Weltkrieges, bei der Gründung der CIA und später als Director of Central Intelligence (DCI). Talbot lastet Dulles an, im Frühjahr 1945 durch kriminelle Geheimverhandlungen mit den verfeindeten Nazis zum Nachteil der verbündeten Sowjetunion - "Operation Sunrise" - den Kalten Krieg mit ausgelöst zu haben. Später sorgten Dulles und James Jesus Angleton, Chef der Spionageabwehr bei der CIA, dafür, daß bekennende Nazis wie Klaus Barbie nach Südamerika fliehen und sich dort im Kampf gegen linke Bewegungen nützlich machen konnten.

Auf Betreiben von Dulles wurde Reinhard Gehlens Wehrmachtsabteilung "Fremde Heere Ost" zum Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland. Das Geschäft beruhte auf Gegenseitigkeit. Gehlens Schauergeschichten über sowjetische Umtriebe in Osteuropa nutzte Dulles, um in Washington jede Hoffnung auf eine größere Demobilisierung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Keim zu ersticken. Talbot erliegt nicht der Versuchung, Dulles zu dämonisieren oder ihn zum Alleinschuldigen dieser verheerenden Fehlentwicklung der Nachkriegsära zu machen. Die Dulles-Brüder mögen rabiate Kommunistenfresser gewesen sein, die für eine "friedliche Koexistenz" mit der Sowjetunion und der Volksrepublik China partout nicht zu haben waren, doch standen sie mit ihrem selbstgerechten Dogmatismus nicht allein da. Dazu Talbot:

So wie die globale Reichweite der amerikanischen Industrie und Finanzinstitute in der Nachkriegszeit wuchs, so tat es auch der nationale Sicherheitskomplex der USA. Amerikas riesiges System militärischer und verdeckter Macht zielte nicht nur auf Eindämmung der sowjetischen Bedrohung, sondern auf Schutz der Interessen von US-Konzernen im Ausland. Hinter dem rapiden internationalen Wachstum von multinationalen Giganten wie Chase Manhattan, Coca-Cola, Standard Oil und General Motors lag ein globales Netzwerk von US-Militärstützpunkten, Spionagestationen und Allianzen mit despotischen Regimen. Die Hand in Hand gehenden Erfordernisse des Kalten Kriegs und des amerikanischen Imperiums gaben dem nationalen Sicherheits-Establishment beispiellose Handlungsfreiheit. Die CIA erhielt nicht nur die Macht, sich dem tödlichen Spiel "Spion gegen Spion" gegen den KGB zu widmen, die zum Stoff für Legenden des Kalten Kriegs wurden, sondern auch die Macht, demokratische Regierungen zu untergraben, die als ungenügend proamerikanisch betrachtet wurden, und ihre gewählten Führer zu ermorden.

Den dunklen Notwendigkeiten der Expansion der amerikanischen Macht gewidmet, begann dieser Sicherheitskomplex ein verborgenes Eigenleben zu führen, ungehindert von den gegenseitigen Kontrollen und der Machtbalance der Institutionen in einer Demokratie. Manchmal hielten CIA-Vertreter das Weiße Haus und den Kongreß auf dem Laufenden; häufig taten sie es nicht.

(...)

Aber Dulles war innerhalb des amerikanischen Machtsystems kein außer Rand und Band geratener Freibeuter. Obwohl seine Handlungen oft die eiskalte Psyche eines Mörders verrieten, blieb er in vieler Hinsicht ein nüchterner Unternehmensanwalt. Wenn er zu extremen Mitteln griff - oder zu "exekutiven Maßnahmen", wie der Euphemismus der CIA für politischen Mord lautete -, tat er dies mit der Zuversicht, daß er den Willen seines Kreises ausführte - nicht den Willen des Volkes, sondern seiner Leute.

(...)

Wenn es dazu kam, "exekutive Maßnahmen" zu ergreifen, mochte Dulles der Vorsitzende des Vorstandes sein, aber er verantwortete sich vor einer Gruppe von Männern, die viel reicher und in vieler Hinsicht mächtiger waren als er ... Männer, die ... wußten, daß er ihre aggressiven Ansichten über die Aufrechterhaltung von Amerikas Reichtum und Prestige in der Welt teilte. Die Männer, die gleichsam in Dulles' Direktorium saßen - die Leute, mit denen er große Entscheidungen besprach, Korrespondenzen führte und sonnige Erholungsurlaube machte -, besetzten das amerikanische Machtzentrum. Die Bedrohung des Reichtums und des Status dieser Männer weckte ihre mörderischen Impulse. Das war der Zeitpunkt, wenn sie sich an Dulles wandten, den kavalierhaften Vollstrecker mit den eisblauen Augen. (S. 497 ff.) 

Zu den Episoden, in denen Dulles seine weitreichenden Befugnisse als CIA-Direktor so richtig ausspielte und die Talbot ausführlich abhandelt, gehören die Putsche gegen den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh 1953 und den guatemalischen Präsidenten Jacobo Arbenz ein Jahr später. Beide Operationen wurden von Dulles mit der Zurückdrängung des Kommunismus begründet. Dies war natürlich völlig gelogen, denn Mossadegh und Arbenz waren beide liberale Demokraten, die es mit ihren sozialen Reformprogrammen lediglich gewagt hatten, die Macht westlicher Unternehmen in ihren Ländern zu beschneiden. Das gleiche gilt für den ersten Präsidenten der rohstoffreichen Republik Kongo, Patrice Lumumba, der 1961 mit Hilfe der CIA wegen seines antikolonialen Standpunkts bestialisch ermordet wurde.

Aufbau und Aufrechterhaltung eines weltweiten Imperiums sollten zwangsläufig auch schwerwiegende innenpolitische Auswirkungen in den USA haben. Mit Hilfe von Joseph McCarthy und Richard Nixon haben die Dulles-Brüder und die republikanischen Rechten in den fünfziger Jahren die demokratischen Reformer der New-Deal-Ära Franklin D. Roosevelts eingeschüchtert und ins gesellschaftliche Abseits manövriert. Als der trinksüchtige McCarthy bei seinem Kreuzzug gegen "unamerikanische Aktivitäten" selbst zu einer Gefahr wurde, war es Dulles, die ihm als erster die Flügel stutzte und so seinen Untergang besiegelte.

Doch kein Politiker hat Allen Dulles, die CIA und die hinter ihnen stehenden Konzernklüngel derart herausgefordert wie ab Januar 1961 der damals neue US-Präsident John F. Kennedy. Der Sproß armer irisch-katholischer Einwanderer stand der Anti-Kolonial-Bewegung in Asien und Afrika wohlgesonnen gegenüber und strebte nach einem Ausweg für die USA aus dem Wettrüsten mit der Sowjetunion. Er weigerte sich, im April 1961, Luftunterstützung für die kubanischen Rebellen in der Schweinebucht anzuordnen und damit in die Falle zu tappen, welche ihm CIA und Pentagon gestellt hatten. Er feuerte kurz darauf Dulles und drohte damit, die CIA "in tausend Stücke zu zerschmettern und in alle Winde zu zerstreuen". In der Kuba-Krise 1962 widersetzte sich JFK dem Drängen seiner Militärs nach einen atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion und vermittelte mit Hilfe seines Bruders und Justizministers Robert Kennedy einen friedlichen Ausweg, der es ihm und dem Sowjetchef Nikita Chruschtschow erlaubte, das Gesicht zu wahren. 1963 unterzeichnete er einen Befehl, der den Abzug aller amerikanischen Militärberater in Vietnam bis Ende 1964 vorsah.

Für Talbot, dessen Mentor als Geschichtsschreiber Peter Dale Scott, der Chronist des amerikanischen "Tiefenstaates" ist, steht fest, daß Dulles der Strippenzieher hinter dem Attentat auf Kennedy am 22. November 1963 war. Nüchtern und sachlich führt Talbot den Leser durch eine schiere Masse an Beweisen, darunter auch aus dem Bericht des House Select Committee on Assassinations aus dem Jahr 1979 und die Sterbebettbeichte des langjährigen CIA-Agenten und Watergate-Einbrechers Howard Hunt 2007, die für die Unschuld des angeblichen "einsamen Schützen" Lee Harvey Oswald und für die Verwicklung von Dulles, des FBI-Chefs J. Edgar Hoover, des Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson, der texanischen Ölbarone sowie der Mafia und deren Freunde bei der Exilkubanergemeinde sprechen. Talbots Darstellung, wie Dulles als CIA-Chef im vermeintlichen Ruhestand sowohl die Ermordung Kennedys organisierte als auch in seiner Funktion als Mitglied der von Johnson berufenden Warren-Kommission ihre Vertuschung bewerkstelligte, läßt an Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft nichts zu wünschen übrig.

Nach Ansicht Talbots hat Dulles aus machiavellistischen Motiven heraus geholfen, den amerikanischen Rechtsstaat auszuhebeln. Laut Talbot begann für die USA an jenem tragischen Tag in Dallas eine "Ära der Gesetzlosigkeit", die bis heute anhält:

Unter Dulles war das amerikanische Geheimdienstsystem - im In- wie im Ausland - zu einer finsteren, invasiven Kraft geworden, die nach Belieben die Privatsphäre der Bürger verletzte, die entführte, folterte und mordete. Sein Erbe sollte von Männern und Frauen, die seine Ansichten über die schrankenlosen Befugnisse der "vortrefflichen Wächter" des nationalen Sicherheitssystems teilten, weit in die Zukunft getragen werden. Dulles hatte diese Wächter persönlich geformt und inspiriert, darunter [Richard] Helms und Angleton - ebenso wie die mächtigen Spieler künftiger Administrationen wie William Casey, Präsident Reagans trotzig krimineller CIA-Direktor, und Donald Rumsfeld, Präsident George W. Bushs selbstherrlicher Eroberer des Wüstensands. Und obwohl sie sich nie begegneten, lieferte Dulles auch das Vorbild für den exekutiven Absolutismus und die extremen Sicherheitsmaßnahmen, die der Bush-Regent Richard Cheney im Namen der nationalen Verteidigung einführte. Auch diese Leute glaubten fest daran, dass der Patriotismus ihrer Macht "keine Grenzen" setzt.

Heute setzen andere gesichtslose Sicherheitsbürokraten die Arbeit von Dulles fort - spielen Gott mit Drohnenschlägen aus der Luft, setzen eine orwellsche Überwachungstechnologie ein, von der Dulles nur träumen konnte -, Leute, die kaum noch wissen, wieviel sie dem Schöpfer des modernen amerikanischen Nachrichtendienstes schulden. Seit über einem halben Jahrhundert tot, verdunkelt Dulles' Schatten noch immer das Land. (S. 558 f.) 

Nur wer sich über diesen mißlichen Zustand im klaren ist, kann zu dessen Aufhebung beitragen. Mit "Schachbrett des Teufels" hat David Talbot jedenfalls einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geliefert. Das Buch ist auch sprachlich hervorragend geschrieben und dürfte daher nicht nur für Geschichtsinteressierte ein Genuß sein. Es darf auch angemerkt werden, daß es "The Devil's Chessboard" Ende 2015 bis nach ganz oben auf die Bestsellerliste der New York Times für Sachbücher geschafft hat und trotzdem gab es dazu bei der einflußreichsten Zeitung der Welt keine Rezension. Das liegt vielleicht an Talbots nonkonformistischen Abhandlung des JFK-Attentats, könnte aber auch mit der Häufigkeit zu tun haben, mit der er im Buch der NYT nachweist, als Sprachrohr von Dulles und der CIA fungiert zu haben - ein Phänomen, das sich ebenfalls bis heute fortsetzt.

11. September 2016


David Talbot
Das Schachbrett des Teufels
Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung
Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2016
603 Seiten
ISBN: 978-3-86489-149-6


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