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BERICHT/028: Lektor - Trüffelschwein und Textarbeiter (DFG)


forschung 2/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Lektor - Trüffelschwein und Textarbeiter

Von Walter Hömberg


Sie stehen im Schatten der Autoren, und doch könnte kein literarisches Werk ohne sie erscheinen: die Lektoren. Eine Studie zeichnet nun erstmals ein Soziogramm ihres Berufsstandes, analysiert Arbeitsalltag, Selbst- und Fremdwahrnehmung - und räumt mit hartnäckigen Klischees auf.


Lektor im Buchverlag - das ist ein weithin unbekannter Kommunikationsberuf. "Die Autoren sind es, die, wenn es gutgeht, im Lichte stehen. Und die Lektoren bleiben, was immer auch geschieht, im Dunkel", schreibt Marcel Reich-Ranicki. Und Christoph Selzer, einer der von uns befragten Lektoren, erzählt folgende Geschichte: "Ein Lektor war vor dem Standesamt und musste seinen Beruf angeben und nannte den Beruf Lektor. Aber die Dame im Amt hatte reingeschrieben 'Elektriker', weil sie einfach nicht wusste, was ein Lektor ist."

Die weitgehende Anonymität führt zu verschwommenen Vorstellungen von diesem Beruf. Lektor heißt zu Deutsch "Leser". Doch wer glaubt, der Verlagslektor verbringe den ganzen Tag mit erbaulicher Lektüre und bekomme auch noch ordentlich Geld dafür, der irrt. Ein Lektor muss heute ein wenig Verleger und ein wenig Autor sein, ein wenig Förderer und ein wenig Marketingprofi und - selbstverständlich - ein Hellseher. Als Projekt- und Produktmanager ist er ein "Mädchen für alles" geworden. Dennoch hält sich die Vorstellung vom bebrillten Bücherwurm, der bei der Durchsicht der eingesandten Manuskripte neue literarische Kostbarkeiten entdeckt. Sicher: Das Spitzweg-Stereotyp vom im stillen Kämmerlein sinnierenden Dauerleser hat auf den Lektor wohl nie zugetroffen. Aber welches Bild charakterisiert ihn dann?

Illustration: Multitasking einer Lektorin zwischen Buch, Notebook, Terminplaner und Telefon - © 2011 by Schattenblick

Das Lesen macht für den Lektor nur einen kleinen Teil seines Berufsalltags aus.
Illustration: © 2011 by Schattenblick

Antworten darauf gibt eine Studie, die seit 2005 am Lehrstuhl für Journalistik der Katholischen Universität Eichstätt durchgeführt wurde. Die Untersuchung umfasste drei Erhebungsphasen: eine postalische Umfrage bei deutschen Buchverlagen (1344; Rücklauf: 36,3 Prozent), eine telefonische Befragung von fest angestellten Lektoren (311) sowie mündliche Intensivinterviews mit ausgewählten Lektoren aus verschiedenen Verlagstypen (16). Anlage, Durchführung und Ergebnisse der Studie sind im Detail erläutert und dokumentiert in einem kürzlich erschienenen Buch, das soeben in zweiter Auflage herauskommt.

Im Folgenden einige Ergebnisse aus der telefonischen Befragung der Lektoren. Auffällig ist zunächst, dass der Beruf des Lektors ein Frauenberuf ist. Fast zwei Drittel der Befragten sind weiblichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter liegt bei Anfang vierzig. Das formale Bildungsniveau ist sehr hoch: 91 Prozent haben ein abgeschlossenes Hochschulstudium, jeder Fünfte hat promoviert. Dabei überwiegen deutlich die sprach- und literaturwissenschaftlichen Fächer, allen voran die Germanistik. Daneben werden vor allem Studienabschlüsse in Kunst- und Kulturwissenschaft, in der Geschichtswissenschaft, aber auch im Bereich Naturwissenschaft und Technik genannt.

Das besondere Rüstzeug für den Lektorenberuf hat knapp die Hälfte der Befragten unter anderem in einem Praktikum oder einer Hospitanz erworben. Gut ein Drittel hat ein Verlagsvolontariat durchlaufen. Eine berufliche Ausbildung in Verlag, Buchhandel oder Bibliothek ging nur bei jedem Fünften der Arbeit im Lektorat voraus. Einschlägige Lektorenkurse haben 37 Prozent besucht. Somit zeichnet sich bezüglich des Berufszugangs kein einheitliches Bild ab.

Vier von fünf der befragten Lektoren arbeiten in Vollzeit in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Durchschnittlich haben sie rund zehn Jahre einschlägige Berufserfahrung. Die reale Arbeitszeit liegt deutlich über der 40-Stunden-Woche. Betrachtet man nur die vollzeitbeschäftigten Lektoren, so kommt man im Schnitt auf gut 45 Stunden. Die meisten von ihnen sind im Bereich Fach- und Sachbuch tätig.

Ein Lektor bringt durchschnittlich 21 Manuskripte pro Jahr zur Druckreife. Nur ein kleiner Teil der tatsächlich veröffentlichten Texte wurde zuvor unverlangt eingesandt - wobei bereits innerhalb eines Monats bei vielen Verlagen mehr unverlangte Manuskripte eingehen, als von einem Lektor im Laufe eines Jahres druckreif gemacht werden (rund 24 unverlangt eingesandte Manuskripte pro Monat). "Was wir unaufgefordert kriegen, das ist meistens der Dilettantismus, der rührend ist", sagt Tobias Heyl vom Hanser Verlag. Und Hans-Ulrich Müller-Schwefe vom Suhrkamp Verlag fügt hinzu: "Ich glaube, dieser Strom hört nicht auf. Wenn man lang genug Lektor ist, denkt man, dass jeder Mensch schreibt."

Illustration: Darstellung einer alten Druckpresse - © 2011 by Schattenblick


Ein Lektor bringt durchschnittlich 21 Manuskripte pro Jahr zur Druckreife.
Illustration: © 2011 by Schattenblick

Welche Aufgaben bilden heute den Kernbereich der beruflichen Tätigkeiten? Trotz aller Unkenrufe, der Verlagslektor werde immer mehr zum Produktmanager: Die klassischen Lektoratsaufgaben sind auf einer Rangliste der am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten noch immer ganz vorn zu finden. Am meisten genannt wird die Betreuung der Autoren: Beinahe 96 Prozent der Befragten gaben an, dies "häufig" zu tun. Platz zwei belegt die Arbeit am Manuskript mit 91 Prozent. Auf den Plätzen drei und vier folgen fast gleichauf das Verfassen von Informationstexten (86 Prozent) und die Prüfung von Manuskripten auf ihre Tauglichkeit für das Verlagsprogramm.

Die Tätigkeit, die den fünften Platz der Rangliste einnimmt, bringt man sicherlich selten mit dem Klischee des Lektors als Bücherwurm in Verbindung: Erstellen und Überwachen von Zeitplänen (81 Prozent). Es folgen die Entwicklung neuer Buchideen, die (Rechtschreib-)Korrektur und die Kostenkalkulation. Bei der Lektoratsarbeit muss also die Erfüllung klassischer Aufgaben mit arbeitsökonomischem Handeln verbunden werden.

Worum geht es den Lektoren bei ihrer Arbeit? Die Antworten zeigen, dass sich die Lektoren überwiegend als Diener der Interessen ihres Verlags sehen. Daneben wollen sie mit ihrer Arbeit den Interessen der Autoren nachkommen sowie Bildung und Aufklärung befördern. Damit wird das janusköpfige Wesen des Lektors deutlich: Er hat den Anspruch, den oft gegensätzlichen Interessen von Verlag und Autoren zu entsprechen und beiden fast gleichermaßen gerecht zu werden.

Ein Blick auf die weiteren Rangplätze zeigt, dass nach den eher dienenden Haltungen im Mittelfeld das Streben nach hohen Auflagen- und Verkaufszahlen, die Vermittlung neuer Ideen und die Selbstverwirklichung zu finden sind. Auf den hinteren Plätzen steht der Wunsch, die Literatur zu fördern, den Leser zu unterhalten und zu entspannen, ihm Orientierung und Lebenshilfe zu geben. Ganz zuletzt verfolgen Lektoren das Ziel, mit ihrer Arbeit viel Geld zu verdienen.

Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen eines ganztags beschäftigten Lektors ist in der Tat eher bescheiden: Es liegt bei 2000 Euro, wobei die Frauen deutlich weniger verdienen als die Männer. Lektoren haben im Durchschnitt ein geringeres Einkommen als andere Kommunikationsberufe wie etwa Journalisten oder Pressesprecher.

Dennoch zeigte sich in Bezug auf die Berufszufriedenheit, dass die Lektoren nur wenig zu kritisieren haben. Eine der befragten Lektorinnen betont die Vermittlungsfunktion zwischen Autor und Leser: "Die Zeit zu haben, die Entwicklung eines Buchprojekts zu begleiten und ein bisschen Hebamme zu spielen, das finde ich sehr schön. Das ist für mich so die klassische Definition: der Vermittler zu sein zwischen Autor und Leser und sich darum zu kümmern, dass das Wissen von einem zum anderen transportiert wird" (Stefanie Aulbach, J. D. Sauerländer's Verlag).

Besonders das Verhältnis zu den Arbeitskollegen wird sehr geschätzt. 95 Prozent der Befragten gaben an, damit "eher zufrieden" bis "sehr zufrieden" zu sein. Auch die Möglichkeit, die Arbeit selbst einzuteilen, bewerten die Lektoren positiv. Darüber hinaus herrscht eine große Zufriedenheit mit den eigenen beruflichen Qualifikationen, wenngleich die Option, sich beruflich weiterzubilden, nur der Hälfte der Befragten ausreichend erscheint. Die Sicherheit, die der Beruf bietet, wird durchschnittlich bewertet. Die Höhe der Bezahlung, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Zeit für die Kernaufgaben sowie die Arbeitsbelastung werden hingegen als weniger zufriedenstellend empfunden.

Bei den Einflussfaktoren auf ihre Arbeit nennen die Lektorinnen und Lektoren zunächst die Verleger und Geschäftsführer, gefolgt von den Programmleitern und Cheflektoren und - drittens - den Autoren. Es folgen "andere Verlagsmitarbeiter" und - an fünfter Stelle - die "Leser, Kunden, Zielgruppen". Am geringsten wird der Einfluss der Literaturkritiker und Rezensenten sowie der literarischen Agenturen eingeschätzt.

Illustration: Federkiel mit Schriftzug 'Kompendium' - © 2011 by Schattenblick

Die sichere Beherrschung der deutschen Rechtschreibung und Zeichensetzung ist für jeden Lektor unverzichtbar.
Illustration: © 2011 by Schattenblick

Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sind für Lektoren besonders wichtig? Die Antworten auf diese Frage zeigen, dass der Kenntnis der deutschen Sprache und Rechtschreibung die größte Bedeutung zugesprochen wird. Den zweiten Platz nimmt die Teamfähigkeit ein. Erst an dritter Stelle steht das Fachwissen, gefolgt von nervlicher Belastbarkeit und der Kenntnis einschlägiger Computerprogramme. Carlos Westerkamp vom Ullstein Verlag fasst das Anforderungsprofil so zusammen: "Der Lektor sollte auf jeden Fall ein gutes Gefühl für Literatur, für Stil, für Trends haben. Er sollte flexibel sein, belastbar, kommunikativ und teilweise auch diskussionsfreudig und durchsetzungsstark."

An der insgesamt hohen Berufszufriedenheit ändert auch die Erwartung der befragten Lektoren nichts, dass in Zukunft das Verlagswesen und die Arbeit in den Lektoraten immer mehr von ökonomischem Handeln bestimmt sein werden. Lektoren werden, so die Einschätzung, verstärkt wirtschaftliche Interessen ihres Verlages vertreten, mehr Zeit mit Planen, Koordinieren und Delegieren verbringen, mehr technische Kompetenzen beherrschen und betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben müssen. Dennoch gehen die Befragten davon aus, dass die klassischen Kerntätigkeiten wie Betreuen der Autoren und Arbeiten am Manuskript auch weiterhin zu ihren Aufgaben gehören.

Über das Berufsbild des Lektors liegen jetzt erstmals im deutschen Sprachraum empirische Daten vor. Der Lektor ist Talentscout, Trüffelschwein, Trendsetter und Textarbeiter in einer Person. An seiner Bedeutung für die Buchproduktion kann kein Zweifel bestehen. Gleichwohl hat sich der Stellenwert der verschiedenen Tätigkeitsfelder im Verlag in den letzten Jahren merklich verändert - und wird sich in Zukunft noch weiter verändern.

Nicht zuletzt die Bestsellerproduktion, der Wandel des Buchhandels und die wachsende Medienkonkurrenz haben dazu beigetragen, dass Öffentlichkeitsarbeit und Werbung immer mehr an Gewicht gewinnen. Der Absatzmarkt und die begrenzte Aufmerksamkeit der potenziellen Leser sind hart umkämpft. Ohne die Leidenschaft der Lektoren ist dieser Beruf, der viele hoch qualifizierte Idealisten anzieht, kaum denkbar. Die Leidenschaft für dieses Metier darf aber nicht den Blick auf die Notwendigkeit ökonomischen Handelns verstellen.

Prof. Dr. Walter Hömberg - Foto: privat

Prof. Dr. Walter Hömberg
Foto: privat

Prof. Dr. Walter Hömberg war von 1988 bis 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik I der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er lehrt als Gastprofessor an der Universität Wien.

Adresse: Lehrstuhl für Journalistik I
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ostenstraße 25, 85072 Eichstätt

DFG-Förderung im Rahmen einer Sachbeihilfe

Walter Hömberg:
Lektor im Buchverlag. Repräsentative Studie über einen unbekannten Kommunikationsberuf.
Unter Mitarbeit von Susanne Pypke und Christian Klenk. Zweite, überarbeitete Auflage.
Konstanz, UVK Verlagsgesellschaft 2011.


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Quelle:
forschung 1/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 18-21
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011