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BIBLIOTHEK/305: Unbekannte Version des "Horologium Sapientiae" gefunden (idw)


Universität Erfurt - 21.06.2007

Unbekannte Version des "Horologium Sapientiae" gefunden

Erster Amplonius-Stipendiat entdeckt verschollen geglaubte Handschrift für die Forschung zurück


Einer alten Tradition folgend, hinterließen die Amplonius-Stipendiaten im Mittelalter ihrer Alma mater ein Buch. Dem ersten Amplonius-Stipendiaten an der neuen Erfurter Universität ist es zu verdanken, dass eine lange Zeit verschollen geglaubte Handschrift in den Beständen der wertvollen Bibliothek wiederentdeckt und für die Forschung nutzbar gemacht wird.

"Horologium Sapientiae", eine lateinische Fassung des "Büchleins der ewigen Weisheit" - in den Beständen als Handschrift CA 4°144 geführt - hat Dr. Mikhail Khorkov aus Moskau nach Erfurt gelockt. Er erforscht unter anderem, wie das Studium an mittelalterlichen Universitäten organisiert war. Dazu weilte er schon einmal vor zwei Jahren in Thüringen als Stipendiat an der Forschungsbibliothek der Universität in Gotha.

Die aufgefundene Handschrift wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Paris geschrieben und an der dortigen Universität verwendet. Über Köln kam sie 1412 mit der Bücherschenkung des Amplonius Rating de Bercka nach Erfurt. Sie galt als verschollen, weil sie im Katalog unter einem falschen Titel geführt war und der Autor nicht identifiziert werden konnte. Dies war auch die erste Aufgabe für Khorkov, der Heinrich Seuse als Hauptautor der Handschrift identifizieren konnte. "Dass Schum bei der Erstellung seines Amploniana-Kataloges um 1885 Seuses Text nicht identifizieren konnte, hängt wohl damit zusammen, dass zu seiner Zeit die deutschen Mystiker wie Seuse und Meister Eckhart noch kaum erforscht waren", vermutet Dr. Brigitte Pfeil, Projektmitarbeiterin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt für die Erforschung der Bibliotheca Amploniana.

Heinrich Seuse war kein berühmter Universitätsprofessor sondern ein Dominikaner-Mönch in Konstanz und Ulm - sein Werk wurde aber offenbar auch an der elitären Pariser Universität wahrgenommen und geschätzt. Die in Erfurt aufbewahrte Handschrift ist vermutlich noch zu Lebzeiten Seuses, der 1366 in Ulm verstarb, entstanden. "An den mittelalterlichen Universitäten in Europa wurden die deutschen Mystiker rezipiert", hat Khorkov herausgefunden. "Man kann die Rezeption des lateinischen Werkes von Heinrich Seuse im Umfeld der Pariser Universität als Folge der Notwendigkeit interpretieren, Brücken zwischen Thomismus, Albertismus und Augustinismus zu konstruieren, und so die verurteilten Theorien, Begriffe und die exegetische Methode Meister Eckharts wieder in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen", so Khorkov.

Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Handschrift CA 4° 144 ein neues exegetisches Programm zugrundezuliegen scheint, das die traditonelle Art der Bibelauslegung mit Hilfe von Zitaten aus den Werken verschiedener Autoren (nach der Postillae-Art) mit der Methodik Seuses verknüpfte. "Dieser Exemplarismus Seuses orientiert sich an den Kirchenvätern und revidiert damit die ganze dominikanische Tradition der Exegese biblischer Texte(anschließend an Meister Eckhart). Die Erfurter Handschrift vermag zu zeigen, dass in der Mitte des 14. Jh. der "mystische" Text des "Horologium Sapientiae" aus dem Kontext der "klösterlichen Spiritualität" hinaustritt und eine Bedeutung auch für das Studium der Theologie an den Ordenshochschulen und Universitäten bekommt", betont Khorkov.

Khorkov schreibt an seiner Habilitationsarbeit über den Mystiker Seuse. Durch das neu aufgelegte Amplonius-Stipendienprogramm der Katholisch-Theologischen Fakultät bot sich für ihn nun eine gute Gelegenheit, sich drei Monate lang intensiv mit der ihm bereits bekannten Handschrift beschäftigen zu können. Der 38-jährige studierte Geschichtswissenschaftler und Philosoph arbeitet an der Russischen Universität der Völkerfreundschaft in Moskau als Hochschuldozent für Philosophie der Antike und des Mittelalters, im vergleichbaren Status eines deutschen Juniorprofessors. Wer mehr über das "Büchlein der Weisheit" und den deutschen Mystiker Seuse erfahren möchte ist herzlich eingeladen zu einem Vortrag am 26. Juni 2007. Um 19.30 Uhr s.t. wird er im Coelicum der Fakultät in der Domstraße 10 zum Thema "Paradoxien der Mystikrezeption. Ein Fragment von Heinrich Seuses Horologium Sapientiae aus der Bibliotheca Amploniana" sprechen.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-erfurt.de/amploniana/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution425


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Erfurt, Jens Panse, 21.06.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2007