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BUCHBESPRECHUNG/034: Biografie über Tomasi di Lampedusa, Autor des "Leoparden" (Gerhard Feldbauer)


Über Tomasi di Lampedusa, Autor des weltberühmten "Leoparden", liegt jetzt eine deutsche Biografie vor.

Geschrieben hat sie ein früherer Botschafter der Bundesrepublik in Rom

von Gerhard Feldbauer, 6. November 2012



Über den Autor des weltberühmten Romans "Der Leopard", Giuseppe Tomasi di Lampedusa, ist jetzt eine Biografie erschienen, geschrieben von Jochen Trebesch. Über Lampedusa liegt bereits viel Sekundärliteratur vor. Aber die jetzt veröffentlichte ist die erste Biografie in Deutsch. Der Verfasser hat in Bonn und Berlin und an der Georgetown Universty Washington D.C. Rechtswissenschaften und Geschichte studiert. Er war Botschafter der Bundesrepublik in Rom, gab u. a. die Reihe "Diener zweier Herren" heraus, schrieb Essays über Diplomatenschriftsteller des 20. Jh. und gehört dem P.E.N. an. Er legt mit großem Einfühlungsvermögen in die italienische Geschichte ein mit viel Sachkunde und Detailtreue geschriebenes Buch vor. Louis Aragon sagte, der "Leopard" ist "mehr als nur ein schönes Buch, er ist einer der großen Romane dieses Jahrhunderts, ein Roman, der bleiben wird". Die Biografie belegt, dass das auch nach fast 55 Jahren noch zutrifft.


Luchino Viscontis schuf ein farbiges Gemälde des Gattopardo

Lampedusas 1958 erschienener einziger Roman wurde ein Welterfolg und schon ein Jahr später mit dem "Premio Strega", dem wichtigsten Literaturpreis Italiens ausgezeichnet. Der 1957 verstorbene Autor erlebte die Drucklegung nicht mehr. Montadori hatte abgelehnt. Erst Feltrinelli besaß das Gespür für die Bedeutung und brachte den Roman heraus, der sofort in 12 Sprachen übersetzt wurde. Der bereits berühmte Regisseur Luchino Visconti (u. a. "Rocco und seine Brüder"), verfilmte ihn 1962 mit Burt Lancaster, Claudia Cardinale und Alain Delon in den Hauptrollen. Visconti gestaltete ein farbiges geschichtsträchtiges Gemälde über die Herstellung der Einheit Italiens. Erbitterte Kämpfe zwischen Garibaldis Rothemden und den Königstruppen, darunter die Erschießung von Aufständischen, kontrastierten mit rauschenden Ballszenen. Der Film erregte, nicht zuletzt durch seine widersprüchlichen Reaktionen, in Italien außergewöhnliche Aufmerksamkeit. Während die dem Adel verhafteten Schichten die Abrechnung mit ihresgleichen verurteilten, sah die IKP vor allem die nichterfolgte Enteignung der Latifundistas mit den daraus erwachsenden sozialen Fragen unbeachtet. Palmiro Togliatti lobte dagegen den Film als "großes Kunstwerk" und entschärfte die Kritik, was zu einer Korrektur führte.

Den Leoparden, in Italienisch Gattopardo, die geschmeidige, immer zum Sprung bereite Raubkatze, führten die Salinas als Wappentier. Lampedusa schilderte die politische Niederlage des von seinem Urgroßvater Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, verkörperten sizilianischen Hochadels in der bürgerlichen Revolution, die 1860 ihrem Dreiviertelsieg entgegen geht. Garibaldi landet auf Sizilien, besiegt die Armee der Bourbonen, befreit ganz Süditalien und ist im Begriff, auf Rom zu marschieren. Für Fürst Salina sind die Piemontesen der Feind des Königreichs beider Sizilien, das sie sich einverleiben wollen. Er versteht nicht, wie sein Neffe, Don Tangredi, als Offizier in der Kavallerie des Revolutionsgenerals dienen kann. Der erklärt ihm, warum er die Fahne gewechselt hat. "Sind nicht auch wir dabei, so denken die Kerle sich noch die Republik aus. Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert." Im Gegensatz zu Deutschland ergreift in Italien jedoch die Bourgeoisie des Nordens die Macht, führt den "Kompromiss von oben" herbei und garantiert dem Feudaladel seinen Besitz. Die wichtigste ökonomische Aufgabe der Revolution, die Enteignung des feudalen Großgrundbesitzes, wird nicht erfüllt. Fürst Salina arrangiert sich mit den neuen Herren und verheiratet Tangredi mit Angelica, der Tochter des bourgeoisen Bürgermeisters, bei der "Vermögen mit Schönheit" verbunden ist. Beide werden unter der Herrschaft der Bourgeoisie ehrgeizige skrupellose Karrieristen.

Trebesch geht auf Spurensuche zu Lebensweg, Lebensumständen, bisher unveröffentlichten Korrespondenzen und widmet sich besonders der Ehe des Schriftstellers mit der aus Lettland stammenden Psychoanalytikerin Alessandra Baronesse Wolff-Stomersee, die ähnlich wie Sofia Tolstoi zur "Amme des Talents ihres Mannes" wurde. Hier hat er auch die "vielen, vielen Briefe", die Lampedusa der Geliebten und verehrten Gattin schrieb, und die "oft regelrechte literarische Skizzen enthalten" einbezogen.


Gramsci und die "Süditalienfrage"

Der Biograf zieht historische Parallelen, so zur Entwicklung nach der Niederlage des Faschismus 1943/45 in Italien, in der es weder eine "Veränderbarkeit" noch eine "vollkommene Umgestaltung der italienischen Gesellschaft" gab. Bemerkenswert sein Eingehen auf die "Süditalienfrage" Gramscis, der "bedauerte, dass der Schwung Garibaldis durch die piemontesische Hegemonie absorbiert wurde". Trebesch gibt auch wieder: Lampedusa war "beeindruckt von der Skrupellosigkeit des Machtmenschen Stalin und bewunderte Robesspierre sowie die französische Revolution, der man alles verzeihen könne". Selbst Gorbatschow, der fürchtete, beim sich anbahnenden "Wechsel der Fahne" zu spät zu kommen, wird erwähnt.

Der Biograf erschließt den Roman unter neuen Gesichtspunkten, korrigiert Mythen um sein Entstehen und dass er auch "nicht wie ein Meteorit vom Himmel gefallen" sei. Er belegt das mit literaturkritischen Aufsätzen, Essays und dem Fragment eines beabsichtigten zweiten Romans "Aufstieg eines Pächters". Über 1.800 Titel im Literaturverzeichnis und mehr als 1.300 darauf verweisende Fußnoten belegen die Fülle der bewältigten Quellen. Ein über 600 Personen erfassendes Register vervollkommnet den Anhang. Es wird deutlich, dass Lampedusa als Autodidakt eigentlich ein hochgebildeter Literaturwissenschaftler, Kenner vornehmlich der klassischen englischen und französischen aber auch der russischen Literatur wurde. 1953 sammelte er einen Kreis junger Leute um sich, vor denen er "entspannt, unakademisch und vorurteilslos" in feuilletonistisch-journalistischem Charakter "Lezioni", über englische und französische Literatur hielt. Von den Lektionen, "im Kern lebensnah", ließen sich noch heute "teils brillante Formulierungen" und "unvergessliche Passagen bewundern", schreibt Trebesch, der die gut 1250 Seiten für "immer noch lesenwert" hält.

"Durchweg wenig schonend" ging Lampedusa, wie Trebesch festhält, mit der Verwurzelung seiner frommen Vorfahren in den klerikalen Hierarchien der katholischen Kirche um. Er führte die bigotte Prüderie der Gattin des Fürsten vor: "Sieben Kinder habe ich mit ihr gehabt, sieben; und nie habe ich ihren Nabel sehen können", beklagt sich Fabrizio Corbera. "Wie sollte ich mich begnügen mit einer Frau, die sich im Bett vor jeder Umarmung bekreuzigt und hernach, in den Momenten größter Erregung, nichts zu sagen weiß als: Jesusmaria". Im verrufenen Viertel von Palermo findet Fabrizio Trost bei Mariannina, die "ihm nichts versagt" und ihn auch noch mit dem Lob erfreut, das Vergnügen mit einem "Riesenfürst" zu haben. Zwar fühlt er sich danach wie "ein Schwein", aber Gewissensbisse vertreibt er mit der Beichte bei Pater Pirrone.


Tancredi hätte wahrscheinlich auch "den Faschismus bejaht"

Mit dem Ersten Weltkrieg geriet Lampedusa selbst ins Rampenlicht eines neuen Epochenwechsels, in dem, wie der Biograf schreibt, "Anpassung und Drehung um Vorgesetzte unverzichtbar" wurden. Er erlebt als Offizier das berüchtigte "Carporetto", die italienische Niederlage gegen den "Erzfeind" Österreich. Es folgen die revolutionären Nachkriegskämpfe, die auch die Jahre des mörderischen schwarzen Terrors sind, der Mussolinis Machtantritt den Weg bereitet. Wenn Lampedusa den Fürsten als einen in seinen Traditionen verwurzelten hochgebildeten Aristokraten vorführt, zeigt er die bleibende tiefe Verstrickung der auch in Italien nur bedingt politisch entmachteten Feudalschicht und ihren großen Einfluss auf das geistig-gesellschaftliche Leben, in dem, wie Trebesch schreibt, "viele Aristokraten zu Anhängern" und die Latifundistas meist zu einer führenden Stütze des Faschismus wurden. Trebesch gibt Visconti wieder, dass Tancredi wahrscheinlich auch "den Faschismus bejaht hätte". Der Onkel, Fürst von Cuto, "der sich für die sozialistische Partei engagierte" war dagegen vehementer Antifaschist.

Als der 1896 geborene Lampedusa 1954 mit dem Roman begann, schrieb es sich auch frei von der bedrückenden Kindheit und Jugend eines von der Mutter verhätschelten, schüchternen Einzelkindes. Beim Schreiben entdeckte er dann "seine Berufung als Schriftsteller". In "seiner erzählerischen Ausgereiftheit ist der 'Gattopard' nicht als Romandebüt zu erkennen", schreibt Trebesch. Im Wissen um seinen bevorstehenden Tod an Lungenkrebs vollbrachte Tomasi di Lampedusa mit der Vollendung des Werkes eine übermenschliche Leistung.

Leser, die selbst an dem neuen und in Europa vorerst gescheiterten Anlauf zu dem heute anstehenden Epochenwechsel teilgenommen haben, werden am Ende vielleicht, wenn auch auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen, Ähnlichkeiten mit sich als vorerst Verlierern der Geschichte feststellen. Darunter auch, dass viele, die sie an ihrer Seite wähnten, sich angesichts der Niederlage das Motto Tangredis zu eigen machten.



Jochen Trebesch:
Giuseppe Tomasi di Lampedusa.
Leben und Werk des letzten Gattopardo.

Nora Verlag, Berlin 2012.
ISBN 978-3-86557-289-9, 504 S., EUR 29,90.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2012