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BUCHBESPRECHUNG/172: Helmut Kapfenberger - Ho Chi Minh-Pfad (Gerhard Feldbauer)


Der legendäre Ho-Chi-Minh-Pfad

Ein Meisterwerk strategischer Kriegskunst und ein entscheidender Faktor des Sieges Vietnams

von Gerhard Feldbauer, 5. August 2019



Foto: Unbekannt [Public domain] via Wikimedia Commons

Nachschubtransporte von Nord- nach Südvietnam über den Ho-Chi-Minh-Pfad
Foto: Unbekannt [Public domain] via Wikimedia Commons

Helmut Kapfenberger, langjähriger Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN der DDR, legt mit seinem Buch "Ho Chi Minh-Pfad" mit bisher unbekannten Fakten eine beeindruckende Publikation über diese legendäre Nachschubtrasse vor, die eine entscheidende Voraussetzung für den Sieg des vietnamesischen Volkes über die USA-Aggressoren und ihre Saigoner Marionetten war.

Es ist das vierte Buch, das der zur alten Garde der ADN-Journalisten gehörende Autor nach jahrzehntelangen Recherchen über diese Versorgungstrasse für den heldenhaften Kampf des vietnamesischen Volkes vorlegt. Bereits 1984 während seines zweiten Einsatzes in Hanoi (das erste Mal war er während des Kampfes gegen die USA-Aggression von 1970 bis 1973 vor Ort) war Oberst Vo Bam, der 1959 den streng geheimen Auftrag erhielt, "einen speziellen militärischen Versorgungsweg zur Unterstützung der Revolution im Süden zu organisieren", sein Gast im ADN-Büro. Es folgten Gespräche, so 2011 mit dem für den Bau und Unterhalt des Versorgungssystems verantwortlichen Kommandeur des Armeekorps von 1966 bis 1975, Generalleutnant Dong Si Nguyen, und weiteren Teilnehmern, und Recherchen in zuständigen Institutionen.

So sprach Kapfenberger auch mit einer der Heldinnen vom Ho-Chi-Minh-Pfad, der 39jährigen Phung Thi Vien, Hauptmann der Volksarmee und Militärkraftfahrerin, die sich mit 17 Jahren freiwillig für eine Stoßbrigade der Armee meldete und Kompaniechefin wurde. Als er sie 2011 wiedersehen wollte, erfuhr er, dass sie ein Jahr vorher verstorben war. "Die durchlebten Entbehrungen, sicher notgedrungen verbunden mit Raubbau an der Gesundheit, hatten denn doch ihre Kräfte aufgezehrt. Der Autor erinnert sich ihrer, als wäre er ihr erst vor Kurzem begegnet."

Die Wiedergabe dieses Gesprächs ist wie das ganze Buch von der tiefen Anteilnahme des Autors am heldenhaften Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes durchdrungen und erteilt den Diffamierungen der tiefen Solidarität der großen Mehrheit der DDR-Bevölkerung seitens gewisser Kreise der BRD eine entschiedene Abfuhr. Dazu gehörten auch die Journalisten und Mitarbeiter des ADN, die 1967, als ich mit meiner Frau (Fotoreporterin) im Juli nach Hanoi ging, gerade eine Broschüre geschrieben hatten: "Unsere Herzen schlagen für Vietnam".

Eine Fahrt auf dieser berühmten Strasse, während wir uns auf einer Fahrt in die befreiten Gebiete von Laos befanden und von unserer schwer zerbombten Route abweichen mussten, gehörte zu den beeindruckendsten Erlebnissen in Vietnam. Von dichtem Wald überdeckt, schlossen sich immergrüne Bäume über uns zu einem undurchdringlichen Dickicht zusammen, das kaum einen Sonnenstrahl durchließ. Wir stießen auf eine Kolonne schwerer Lkw, ihre Ladung war mit Planen abgedeckt, fast alle zogen schwere Feldgeschütze. Ein Kradfahrer am Ende gab uns ein Zeichen, zurückzubleiben, sodass der Konvoi bald unseren Blicken entschwand. Nach einiger Zeit fand unser Begleiter vom Außenministerium eine Abzweigung, die uns auf unsere alte Strecke zurückführte.

Der Bau des Ho-Chi-Minh-Pfades begann, nachdem sich die Führung der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) entschieden hatte, aus dem Norden für die sich im Süden gegen den blutigen Terror des USA-hörigen Marionettenregimes von Ngo Dinh Diem Widerstand leistenden Landsleute Unterstützung zu organisieren. Es war die legitime rechtmäßige Antwort auf den völkerrechtswidrigen Bruch der Genfer Indochina-Abkommens von 1954 durch die USA. Der Oberst begann mit der Aufstellung einer speziellen Einheit aus Südvietnam stammender Soldaten der Volksarmee, aus der das Armeekorps 559 (5/59) hervorging. Der breit gefächerte Kampfverband, der auch als Truong-Son-Armeekorps bekannt wurde, war für den Bau, Unterhalt und Schutz der Nachschubtrasse auf nord- wie südvietnamesischem, laotischem und kambodschanischem Gebiet verantwortlich. Es begann mit Trampelpfaden für erste spärliche Versorgungs- und Nachschubtransporte durch Trägergruppen bis zum strategischen Naschschubsystem, das von den US-Truppen ständig attackiert wurde, aber zu keinem Zeitpunkt lahmgelegt werden konnte.

Auf den Aktionsbereich des Armeekorps gingen rund 7,5 Millionen Spreng- und Splitterbomben sowie gewaltige Mengen Minen, nach Schätzungen insgesamt rund vier Millionen Tonnen, nieder. Neben der Versprühung von Unmengen des Entlaubungsgiftes Agent Orange versuchten die USA, über dem Ho-Chi-Minh-Pfad künstlichen Regen durch Wolkenimpfungen mit Silberjodid (einer chemischen Verbindung aus Silber und Jod) zu erzeugen, um die Regenzeit zu verlängern.


Karte: gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Lagekarte des Ho-Chi-Minh-Pfades in Süd-Laos im Jahre 1967
Karte: gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Viele Strassen durchdrangen den Urwald und überwanden auch bis dahin unberührtes, äußerst unwirtliches Terrain, in das selbst die französischen Kolonialtruppen nie einen Fuß gesetzt hatten. Das Skelett des Strassen- und Wegesystems bildeten fünf Nord-Süd-Längsachsen mit einer Gesamtlänge von rund 5500 Kilometer, 21 West-Ost-Querverbindungen von mehr als 4000 Kilometer Gesamtlänge sowie fünf Haupt-Zugangsrouten mit einer Gesamtlänge von 700 Kilometer. Verfügbar waren außerdem etwa 4700 Kilometer notdürftig für den Fahrzeugtransport hergerichtete Umgehungspisten an besonders heftig bombardierten Orten. Hinzu kamen zahlreiche kleinere und größere Brücken mit einer Gesamtlänge von rund 4300 Meter, die Täler reißender Gebirgsflüsse oder Bergschluchten überspannten.

Das Armeekorps 559 hatte einen Fuhrpark von einigen tausend Lastkraftwagen und verfügte über alle notwendigen Gefechtsfahrzeuge, Geräte und Waffen, um die feindlichen Angriffe abzuwehren. Dessen Länge war "im Frühjahr 1975 auf rund 20.000 Kilometer angewachsen". "Dank des Ho Chi Minh-Pfades war es möglich, zwei Millionen Tonnen Waffen, Munition und weitere Ausrüstungsgegenstände, Reis, Medikamente und andere Nachschubgüter in den Süden Vietnams, nach Südlaos und ab 1970 von Norden her nach Nordostkambodscha zu bringen. Im Laufe der Jahre passierten mehr als 1,5 Millionen Mann - Kommandeure, Soldaten und politische Funktionäre - die Nachschubstrasse in beiden Richtungen".

Vergleichbares habe es, scheibt Kapfenberger, in der gesamten Militär- und Kriegsgeschichte nicht gegeben. Dieses über einen großen Teil des Truong-Son-Kettengebirges im vietnamesisch-laotisch-kambodschanischen Grenzraum gespannte Wegenetz ging unter dem Namen in die Militärgeschichte ein, der ihm von der Gegenseite gegeben wurde: Ho Chi Minh Trail bzw. Piste Ho Chi Minh (deutsch: Ho-Chi-Minh-Pfad). Auf den US-amerikanischen Vietnam- und Indochina-Stabskarten hieß es The Ho Chi Minh Trail Supply System (Nachschubnetz Ho-Chi-Minh-Pfad). Nach offizieller kriegsgeschichtlicher Lesart der National Security Agency (NSA) war es "eine der größten Errungenschaften militärischen Ingenieurwesens des 20. Jahrhunderts".


Foto: Rolf Müller [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Heutiger Pu-Mat-Nationalpark im vietnamesischen Teil des Truong-Son-Kettengebirges
Foto: Rolf Müller [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Entlang des Ho-Chi-Minh-Pfades wurde seit 1968 eine Nord-Süd-Pipeline für die Treibstoffversorgung der Kämpfer in Südvietnam und Laos verlegt. Sie war mit 100-mm-Stahlrohren "die mit Abstand längste Kraftstoffrohrleitung der Welt" und machte "eine Gesamtlänge von rund 5000 Kilometern aus." Dazu "gehörten 114 leistungsstarke Pumpstationen und mehr als 100 Tanklager". Über sie konnten täglich 15.800 Lastwagen betankt werden.

Schließlich erfährt der Leser, dass es auch einen "Ho Chi Minh-Pfad auf dem Meer" gab, dessen als Fischerboote getarnte Einheiten entlang der Küste nach Süden operierten und Seetransportbrigade 603 genannt wurden. Bei knapp 1800 Fahrten bis 1975 konnten, wie der Autor schreibt, die im Flachland und den Küstenregionen sowie im äußersten Süden um das Mekongdelta operierenden Einheiten mit fast 45.000 Tonnen Waffen, Munition und anderen Nachschubgütern versorgt werden. Für die letzte Frühjahrsoffensive 1975 wurden bei 143 Transportfahrten mehr als 8700 Tonnen schwere Waffen, darunter 50 Panzer und Artilleriegeschütze, sowie mehr als 18.700 Mann an die Front gebracht.

Im lockeren und spannenden Erzählstil hat Kapfenberger in seinem auch reich aus vietnamesischen Archiven bebilderten Bericht über den Ho-Chi-Minh-Pfad Episoden über die Geschichte des gemeinsamen Befreiungskampfes Vietnams und Laos' eingebettet. Das Buch wird mit seinen umfangreichen vietnamesischen Quellen und einem Personenregister eine Fundgrube für die Vietnamforschung sein, aber auch bei historisch allgemein Interessierten Anklang finden.

Hellmut Kapfenberger: Ho-Chi-Minh-Pfad.
Die Geschichte der legendären Nachschubtrasse.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2019, 22,00 Euro
ISBN 978-3-95514-039-7

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2019

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