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BUCHBESPRECHUNG/177: Volker Hermsdorf, Lektionen der Geschichte. Hans Modrow über Kuba, die DDR und die Perestroika (Sachbuch) (Gerhard Feldbauer)


Der letzte Regierungschef der SED/PDS, Hans Modrow, reflektiert seine Sicht auf die DDR, zur Rolle Gorbatschows und dass er Kuba eng solidarisch verbunden bleibt

von Gerhard Feldbauer, 13. Dezember 2019


30 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD, der unter ihm als letzter Regierungschef der SED-PDS einsetzte, reflektiert Hans Modrow im Gespräch mit dem Hamburger Kuba-Experten Volker Hermsdorf seine Sicht auf den sozialistischen deutschen Staat, die 1989/90 einsetzende Entwicklung, darunter zur Rolle Gorbatschows, korrigiert Aspekte seiner bisherigen Positionen und dass er Kuba in enger Solidarität verbunden bleibt. Widersprüche sind dabei nicht zu übersehen.

"Welche Urteile es auch immer über den realen Sozialismus gibt, er hat den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung Grenzen gesetzt - und das gilt nicht nur für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten", so Modrow, der fortfährt: "Die schon von Marx gestellte Frage nach Platz und Rolle des Eigentums war und bleibt die Kernfrage gesellschaftlicher Entwicklung. Eine soziale und gerechte Gesellschaft braucht ein gesellschaftliches Eigentum, auf dessen Grundlage soziale Gerechtigkeit gestaltbar ist". Und er kontert auch, "notwendig ist zunächst eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und dann steht die Frage ihrer Kontrolle an". In diesem Kontext erwähnt Modrow, dass die DDR mit ihren sozialen Errungenschaften eine Hilfe für die Gewerkschaften der BRD war, die "in ihren Auseinandersetzungen mit den Unternehmern verdeckt oder offen auf soziale Standards der DDR verweisen" konnten, es nach ihrem Ende eine hemmungslose Zunahme sozialer Ausbeutung und Unterdrückung in Westdeutschland gab.

Er vermerkt, dass der Beitritt der DDR zur BRD nach dem westdeutschen Grundgesetz als einem "Provisorium", das keine Verfassung war, erfolgte, während es in der DDR eine Verfassung gab, die vorher "in tausenden Versammlungen" diskutiert wurde, ehe sie 1964 angenommen wurde. Das zeige, so Modrow, wie notwendig es ist, "eine Verfassungsdebatte auch in der Bundesrepublik anzustoßen", in der sich zeigen würde, "wie demokratisch (sie, die BRD) wirklich ist".

2008 wurde Modrow in Kuba gefragt, warum er als Ministerpräsident "die in der Verfassung definierte sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR nicht mit den Kräften der Armee verteidigt" habe. Hier ist anzumerken, dass dazu 172.000 Mann der Nationalen Volksarmee, je 90.000 Mann Bewaffneter der Volkspolizei und der Staatssicherheit und (bevor sie aufgelöst wurden) 400.000 Mann der Betriebskampfgruppen bereit gestanden hätten. Modrow argumentierte, der Oberkommandierende der Staaten des Warschauer Vertrages, Armeegeneral Pjotr Luschow, habe ihm gegenüber darauf bestanden, dass sich "auf dem Territorium der DDR keine Gewalt entwickeln dürfe", anderenfalls die sowjetischen Truppen (sie zählten 365.000 Mann) dagegen vorgehen würden. "Wenn es in dieser Phase", so Modrows Meinung, "auf dem Gebiet der DDR zu militärischen Einsätzen oder Auseinandersetzungen gekommen wäre, hätte das den dritten Weltkrieg auslösen können."

Aus dieser Zeit gibt es jedoch aus diesem Kreis auch andere Meinungen (darunter auch die Militärexperten Uwe Markus/Ralf Rudolph mit ihrer Studie "Die verratene Armee", Berlin 2013), dass es unter Kommandeuren der sowjetischen Truppen in der DDR Meinungen gab, die besagten, bei Aktionen der bewaffneten Kräfte der DDR mit ihren Einheiten in den Kasernen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten, bis auch zu anderen, die auch erklärten, ihren Waffenbrüdern der DDR zur Seite zu stehen.

Gorbatschow hatte Modrow, wie seinem 1998 erschienenem Buch "Ich wollte ein Neues Deutschland" zu entnehmen war, noch 1991 nicht durchschaut und das Verhältnis zu ihm als "ein herzliches persönliches" bezeichnet, ein "konstruktives Arbeitsklima" gelobt und ihn als einen Menschen gesehen, der "in großen Maßstäben" denkt, der ein "sehr komplexes Denken hat". Nun korrigiert er diese Fehleinschätzung und erklärt: "Nach dem, was mir heute bekannt ist, bin ich mit nichts von dem einverstanden, was Gorbatschow in die Wege geleitet hat. Denn alles war von Anfang an auf Täuschung angelegt. Er selbst hat Ende der 1990er Jahre erklärt, dass es immer sein Ziel gewesen sei, mit der Perestroika den Sozialismus zu vernichten. Dies zeigt die Absicht des Verrats und die Charakterlosigkeit Gorbatschows." Und er hält fest, dass Fidel Castro dagegen diese Zielstellung Gorbatschows frühzeitig erkannte und schon im Juli 1988 die Perestroika als "gefährlich" und den "Prinzipien des Sozialismus entgegengesetzt" einschätzte und dass seine "Analyse ihn und die kubanische Partei davor bewahrt habe, Schritte zu unternehmen, die für Kuba hätten gefährlich werden können".

Er greift die Einschätzung des westdeutschen Publizisten Paul Sethe von 1965 auf, dass Pressefreiheit in den kapitalistischen Ländern "die Freiheit von 200 reichen Leuten ist", fügt hinzu, dass das heute "viel schlimmer" ist und verweist auf die mediale Legitimierung der NATO-Kriege gegen Jugoslawien. Fühlt sich dabei aber dennoch bemüßigt, wieder einzublenden, dass es "Angepaßtheit und Uniformiertheit in der Berichterstattung" auch in der DDR lange Zeit gab. Sicher, das ist richtig, aber da diente es nun nicht der "Vorbereitung und Rechtfertigung militärischer Einsätze und Kriege".

Modrow geht auf brennende Fragen der vom Imperialismus geschürten Kriegsgefahr ein. Er konstatiert, dass es "die zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion - zwischen NATO und Warschauer Vertrag - überschaubar geteilte Welt" heute "so nicht mehr" gibt. Dass die angefügte Wertung, dass die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder besonders an dem von den USA angezettelten Wettrüsten "wirtschaftlich zerbrochen sind", von anderen Ursachen ablenkt, soll hier dahin gestellt bleiben. Er enthüllt das Weltherrschaftsstreben der USA und das der die EU dominierenden BRD, so am Beispiel der Haltung gegenüber Rußland und der Einflussnahme auf die Entwicklung in der Ukraine, wo "der Faschismus zum ersten Mal seit 1945 in Europa ganz offen wieder als Option in Erscheinung getreten" ist und "das Rußlandfeindbild" neue Impulse" erhält. Er bejaht nicht nur die Gefahr der zunehmenden "Aggressivität des Imperialismus, über 100 Jahre nach Beginn des ersten und rund 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges", sondern befürchtet "ihren Ausbruch". Richtig vermerkt Modrow, dass bei der Hervorhebung der Rolle Russlands seit dem Amtsantritt Putins bei der Zurückdrängung des Einflusses der USA dessen Bestrebungen "nicht auf eine Stärkung der Linksentwicklung" gerichtet sind.

Zu Kuba hatte Modrow schon in der DDR ein enges Verhältnis und bezog, davon ausgehend, auch nach 1989/90 immer antiimperialistische Positionen gegen den USA-Aggressionskurs und blieb Kuba in enger vielseitiger Solidarität verbunden. Von der PDS wurde 1991 die Arbeitsgemeinschaft "Cuba Si" gegründet, die u. a. die Spendenkampagne "Milch für Kubas Kinder" startete. "Manches von dem, was wir in der DDR - natürlich mit ganz anderen Möglichkeiten - an praktischer Solidarität mit den Menschen und dem revolutionären Prozess in Kuba begonnen haben, wird heute von engagierten Aktivisten weitergeführt", hebt Modrow hervor. Sein persönliches Engagement würdigte Kuba im Februar 2019 mit der Verleihung des "Ordens der Solidarität der Republik Kuba".

Modrow geht auf viele Faktoren ein, die Grundlage des Überlebens Kubas in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus nicht erst nach dem Untergang der UdSSR und des Ostblocks waren. Dabei klammert er in seinem Gespräch mit Hermsdorf zwei entscheidende Fragen aus: Die Sicherung der führenden Rolle der kommunistischen Partei, und wie diese, mit Fidel Castro beginnend, immer dem Volk die Wahrheit über alle Probleme, aufgezwungene soziale Härten, drohende Gefahren und wie man ihnen begegnen müsste, sagte. Beide Fragen berühren, dass Modrow sich dann auch dazu äußern musste, wie er dazu in der "Wende"-Zeit als Ehrenvorsitzender seiner Partei (der PDS) und Regierungschef handelte.

Der DDR-Bevölkerung wurde in dieser Zeit eine "revolutionäre Umgestaltung" vorgegaukelt. Sie wurde über die beim Anschluss an die BRD drohenden sozialen Auswirkungen im Grunde genommen im Unklaren gelassen. Die Macht wurde mit dem Oppositionsgremium des Runden Tisches (unter dessen Schirm verdeckt die Konterrevolution antrat) geteilt, die SED (die kommunistische Partei der DDR) in eine sozialdemokratisch orientierte - wie von Gregor Gysi offen erklärt - nichtkommunistische Linkspartei umgewandelt, jede Zusammenarbeit mit der DKP abgelehnt, das Ministerium für Staatssicherheit den Medien "zum Fraß vorgeworfen", die bewaffneten Kräfte wurden jeder Aktionsfähigkeit beraubt.

Summa summarum kann man am Ende der Vorstellung dieses Buches nur begrüßen, dass Hans Modrow diesen Weg des Nachdenkens und Korrigierens einschlägt und wünschen, dass er ihn weiter geht und damit dazu beiträgt, dass dem in seiner Partei vorherrschenden Rechtskurs Einhalt geboten wird und die Linken Auftrieb erhalten.

Volker Hermsdorf
Lektionen der Geschichte
Hans Modrow über Kuba, die DDR und die Perestroika
Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2019
ISBN 978-3-95514-041-0
130 Seiten
9,50 Euro

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2019

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