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BUCHBESPRECHUNG/181: Philipp Ruch, Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Philipp Ruch

Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken.
Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten

Von Klaus Ludwig Helf, Januar 2020


Philipp Ruch hat ein neues Buch geschrieben, in dem er die Strategie des "Aggressiven Humanismus" als politische Aktionskunst des "Zentrums für Politische Schönheit" begründet und erklärt. Diese rüttelt mit ihrer kreativen und direkt-konfrontativen Radikalität und Furiosität die Öffentlichkeit auf, entfacht Kontroversen, spaltet die Meinungen. Das Innenministerium wirft Ruch vor, dass er mit radikaler Kunst die Gesellschaft polarisiere und ließ ihn deshalb als Referent bei der Bundeszentrale für politische Bildung ausladen. Bereits das orange-signalfarbene Cover des Bandes scheint vor dem Autor und dessen "Anleitung für kompromisslose Demokraten" zu warnen. Auch wenn man mit einigen apokalyptisch anmutenden Diagnosen und Prognosen (z.B. Vergleich der politischen Situation von heute mit der Endphase der Weimarer Republik) oder mit den anarchisch organisierten Aktionen nicht einverstanden sein mag, ist insgesamt Entwarnung angesagt. Vielmehr geht es in dem Band im Kern um das Projekt einer "wehrhaften Demokratie" mit Vorschlägen für eine kompromisslose, radikale Bekämpfung von Demokratiefeindlichkeit, Menschenverachtung, Rassismus und Diskriminierung mit der Macht der Fantasie - manchmal auch am Rande der Legalität. Der emotionale, demonstrative Rigorismus gegen rechts neigt als politische Aktionskunst zum Überdrehen, aber vielleicht ist das der richtige Weg, um wachzurütteln.

Philipp Ruch ist ein deutsch-schweizerischer politischer Aktionskünstler. Nach dem Studium promovierte er in politischer Philosophie und gründete das "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS), eine Denkfabrik, die Menschenrechte mit politischer Aktionskunst verbindet. Die künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum erzielten seit 2009 immer wieder ein breites und kontroverses Medienecho, so zuletzt der "Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!" (2017) und "Franz von Papen wieder aufgetaucht!" (2019), bei der die Grabplatte des Reichskanzlers und späteren NSDAP-Mitglieds Franz von Papen von Wallerfangen (bei Saarlouis) nach Berlin gebracht und vor der CDU-Bundeszentrale abgelegt wurde.

Der Band gliedert sich in die vier Imperative Denke, Kämpfe, Ächte und Humanisiere, die als programmatische Formeln und konkrete Handlungsoptionen ausgearbeitet werden. Die offene Gesellschaft stehe auf dem Spiel - so die Hauptthese von Philipp Ruch: "Wir befinden uns im Kampf gegen demokratiefeindliche Bestrebungen. Und diese sitzen teilweise schon in den Institutionen. Das faschistische Gift träufelt in die Mitte der Republik. Die Republik ist wieder in Gefahr" (S. 21). Das "Zentrum für Politische Schönheit" praktiziere seit über 10 Jahren die Strategie des "Aggressiven Humanismus": "Damit ist eine unängstliche, hartnäckige, fordernde und kompromisslose Form des Humanismus gemeint. Im Kern geht es dabei um etwas, das in aller Munde ist, aber kaum einer mit Taten füllt: die wehrhafte Demokratie" (S. 122). Den radikalen und extremen Rechten wie der AfD dürfe man keine Spielräume mehr in der Öffentlichkeit geben, schon gar nicht in den Talkshows im Fernsehen. Zentrale Aufgabe der Medien sei es, die "... Grenzlinie zwischen demokratischem und demokratiefeindlichen Diskurs zu bewachen und die Parolen des Letzteren niemals in den Ersten zu integrieren.Die Grenze des demokratischen Diskurses ist nicht verhandelbar" (S. 132). Wörter seien das "Besteck des Denkens", daher müssten rechtsextreme, menschenfeindliche Parolen und Themen aus den Medien verschwinden, ebenso das öffentliche Reden mit rassistischen Rechten - das mache diese nur noch stärker.

Demokratiefeindlichkeit, Rassismus und Fanatismus gebe es zurzeit reichlich und es müsse dringend und direkt gehandelt werden - dabei käme es auf jeden von uns an. "Wehret den Anfängen!" ruft Philipp Ruch wie ein Mantra. Es komme darauf an, den demokratischen Raum vor den Feinden der Demokratie zu schützen und diese aus dem demokratischen Raum raustreiben: "Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf. Wir haben die Bundesrepublik geerbt. Wir dürfen sie nicht widerstandslos übergeben" (S. 135). Als überzeugter Anhänger der politischen Aktionskunst erklärt er das Funktionsprinzip hinter den Aktionen des ZPS so: "Kunst kann Gegenwirklichkeit herstellen. Von ihr wird erwartet, dass sie Fiktion ist. Deshalb empören sich in der Kunst auch so viele Fachleute über das Zentrum für Politische Schönheit. Wir sind ein umgedrehter Claas-Relotius-Fall für die Kunst: Wo Fiktion erwartet wird, ist bei uns Wirklichkeit " (S.175). Das sei das entscheidende transformatorische Potenzial, das weder der Journalismus noch die Wissenschaft in dieser Wucht erreichen könnten. Ruch entfaltet in seinem Band ein leidenschaftliches Plädoyer für den Kampf gegen Unmenschlichkeit, Gleichgültigkeit, Ohnmacht und gegen die Entpolitisierung mit der Macht der Fiktion und den Möglichkeiten der politischen Aktionskunst.

Philipp Ruch
Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken.
Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten
Ludwig Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2019
191 Seiten
12 Euro

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Quelle:
© 2020 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2020

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