Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/191: Ute Daniel - Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Ute Daniel

Beziehungsgeschichten
Politik und Medien im 20. Jahrhundert

Von Klaus Ludwig Helf, Juni 2020


Das Verhältnis von Politik und Medien ist entscheidend für die demokratische Qualität einer Gesellschaft. Politik und Medien beeinflussen sich gegenseitig und profitieren voneinander. Medien sind wichtige Akteure in Politik und Gesellschaft, deren politischen Unabhängigkeit den Demokratien höchste Bedeutung zugemessen wird. Diese war und ist jedoch keineswegs selbstverständlich. So sei z.B. erinnert an die Verschärfung des saarländischen Presserechts von 1994 durch den damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, der sich - von Affären geplagt - vom "Schweinejournalismus" verfolgt gefühlt hatte. Donald Trump ist bislang der erste Präsident einer Demokratie, der in seiner Antrittsrede im Januar 2017 den "Krieg gegen die Medien" verkündete, den er dann ganz konsequent bis heute meist unter Umgehung der journalistischen Filter über TWITTER führt. Bundesinnenminister Seehofer konnte im Juni 2020 nur mit Mühe von der Kanzlerin daran gehindert werden, gegen die Kommentierung der taz vorzugehen, die AfD führt systematisch Kampagnen gegen die 'Lügenpresse', der journalistische Informantenschutz für 'Whistleblower' und gesetzliche Rahmenbedingungen für die elektronische Massenmedien werden in der Politik kontrovers diskutiert.

Das Spannungsverhältnis von Medien und Politik ist also nach wie vor aktuell, aber wissenschaftlich kaum in einer umfassenden, systematischen Weise aufgearbeitet. Diese Lücke füllt jetzt die vorliegende Studie der Sozial- und Kulturhistorikerin Ute Daniels über die Wechselbeziehungen von Politik und Medien im 20. Jahrhundert. An ausgewählten, markanten Beispielen aus Deutschland und Großbritannien analysiert sie, wie veränderlich, unvorhersehbar und kontextabhängig die Beziehungen und das Kräftespiel zwischen Politiker*innen und politischen Journalist*innen sind und verweist auf Grundmuster, die nach wie vor aktuelle Relevanz haben. Von der Pressezensur während des ersten Weltkriegs über das Wirken der Pressezaren in der Zwischenkriegszeit und das "Solo-Kapitel" über die Nazizeit bis zu den Presseskandalen um Profumo und SPIEGEL bis zur Rundfunkpolitik in den 80er und 90er Jahren (u.a. die Pressalien bei BBC, BR und NDR, Forcierung und Aufbau des kommerziellen Rundfunks) analysiert die Autorin detailgetreu und treffsicher.

Ute Daniel ist Professorin für die Geschichte des 19./20. Jahrhunderts und der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Braunschweig mit dem Forschungsspektrum Sozial-, Kultur- und Geschlechtergeschichte der Neuzeit und Methodologie der Geschichtswissenschaft. Sie ist Vertreterin der 'Neuen Kulturgeschichte', die vor allem die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster historischer Akteure und Gruppen von sich selbst und ihrer Umwelt untersucht. Ohne deren Rolle und den jeweiligen Kontext zu erforschen seien Strukturen und Interessendurchsetzung nicht zu verstehen.

Der Band hat fünf Hauptkapitel: Presse des 19. Jahrhunderts im Ersten Weltkrieg / Pressezaren in der Politik der Zwischenkriegszeit / Medienpolitik des 'Dritten Reichs' und Goebbels' Sportpalastrede / Vierte Gewalt hinter Gittern. Presse und Politik im Skandal (1962/63) / Fernsehpolitik. Die Dezentrierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Abschließend folgen ein umfangreiches Verzeichnis Quellen und Literatur sowie ein Personenregister und einen persönlichen Dank. Politik lasse sich nicht allein durch die Beschreibung und Analyse von Strukturen erklären - so Ute Daniel-, sondern man müsse sich dem Prozess auch auf soziologische Weise nähern, um ein vollständiges und nachvollziehbares Bild politischer Entwicklungen zu bekommen. Methodisch analysiert sie daher mit den Ansätzen der Kulturgeschichte und der Akteurs-Zentrierung die Entwicklung der Medienpolitik in Deutschland und in Großbritannien, zieht Vergleiche anhand ausgewählter Beispiele und versucht Gesetzmäßigkeiten zu definieren. Mit ihrer quellengesättigten Analyse britischer und deutscher Mediengeschichte bietet der Band einen vertiefenden und nachvollziehbaren Einblick in die historischen Abläufe politischer Entscheidungsfindungen und wie sich das komplexe und komplizierte Beziehungsgeflecht von Politik und Medien und deren jeweiligen Akteuren verändert hat. Bei der vergleichenden, kontrastierenden Analyse der Beziehungen zwischen Politik und Medien in Deutschland und in Großbritannien anhand exemplarischer Episoden sieht Ute Daniel bei allen Unterschiedlichkeiten zwei prägende und strukturelle Gemeinsamkeiten: ein "Vertraulichkeitskartell zwischen Politikern und politischen Journalistinnen" und die "stärkere Prägekraft des politischen Bereichs für die Ausgestaltung der politisch-medialen Beziehungen." (S. 379) Dieses Vertrauenskartell habe ein strukturelles Dilemma, das es eine strategische Beziehung sei in einem ambivalenten Freund-Feind-Verhältnis. Im letzten Kapitel analysiert die Autorin die Dezentrierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und weist nach, dass dieser ein "hochgradig politikgesteuertes System" sei - wenn auch nicht staatsnah gestaltet oder verstaatlicht. Die Geschichte der Einführung des kommerziellen Fernsehens zeige, wie "hochgradig kontextabhängig" die Einstellungen der Parteien und Regierungen sowie einzelner politischer Akteure zum Rundfunk sein können und wie vielfältig und unvorhersehbar politische Rahmenbedingungen einwirken: "Rundfunk und Fernsehen sind zweifellos wichtig für politische Akteure - und dennoch im politischen Betrieb wohl eher eine anhängige Variable." (S. 377) Die Sender des kommerziellen Fernsehens seien in Großbritannien wie in Deutschland "vergleichsweise politikabstinent", streuten Politisches hin und wieder ein, soweit es personalisierbar und skandalisierbar sei, aber Unterhaltung und Sport hätten Vorrang. Bei den neuen sozialen Medien liege der "spezifische politische impact" darin, dass sie jenseits der klassischen Massenmedien "eine neue Bühne aufmachenauf der jeder als Kommentator der Politik auftreten und jeder Politiker sein eigener Kommentator und Kommunikator sein kann." (S. 376) Besonders deutlich wird diese Veränderung politischer Kommunikation bei dem Einsatz von 'Twitter' als Medium politischer Botschaften und Meinungsäußerungen, auf die dann die klassischen Massenmedien reagieren, der US-amerikanische Präsident Trump ist da ein Meister in diesem Fach. Ute Daniel hat mit dem Band einen hervorragenden Beitrag zur Rundfunkgeschichte in Europa geleistet, der auch als Mahnung und Warnung dient gegen die Knebelung von Meinungs- und Pressefreiheit.

Ute Daniel
Beziehungsgeschichten
Politik und Medien im 20. Jahrhundert
Hamburger Edition, Hamburg 2018
464 Seiten
38,00 EUR.

*

Quelle:
© 2020 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang