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BUCHBESPRECHUNG/213: Patrik Baab - Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung (Klaus Ludwig Helf)


Patrik Baab

Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung

von Klaus Ludwig Helf, Februar 2022


Informationen und eine freie, unabhängige Berichterstattung sind in einer Gesellschaft immer ein erster Schritt zu Veränderungen und deshalb nicht nur bei autoritären oder diktatorischen Regierungen gefürchtet. Wenn Medien nicht über Unrecht, Machtmissbrauch oder Korruption berichten können, gibt es auch keine öffentliche Kontrolle, keine freie Meinungsbildung und keinen friedlichen Ausgleich von Interessen. Deshalb ist die Bedeutung der Medien und deren Glaubwürdigkeit in einer freiheitlichen demokratischen Ordnung für die gesamte Gesellschaft, aber auch für das tägliche Leben des Einzelnen basal.

Historisch- politisch betrachtet haben wir gerade in Deutschland mit der Pressefreiheit seit dem Vor-März und insbesondere mit der "Gleichschaltung der Presse" und der Einrichtung eines eigenen Ministeriums für Propaganda durch die Nazis bittere Erfahrungen machen müssen. Das sollte nach 1945 grundlegend anders und die Pressefreiheit herausragend als demokratiebeschützendes Gut gesichert werden. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Meinungs- und Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung. Den Medien werden damit eine wichtige Funktion und hohe Verantwortung zugewiesen.

In der Praxis gab es immer wieder problematische und auch meinungs- und demokratiebedrohende Prozesse und Entwicklungen wie insbesondere die 'Spiegel-Affäre' oder der 'Fall Barschel', die 'Affäre Guttenberg' oder der 'Fall Relotius'. Wenn man aktuell die Berichterstattungen über die Corona- und Klima-Debatten oder über die Russland-Politik in den 'Leit-Medien' verfolgt, kann man sich verwundert bis entsetzt "die Augen reiben" über den gleichförmigen Mahlstrom der Informationen, Berichte und Argumentationsmuster.

Seit der 'Kölner Silvesternacht' 2015/16 - so Ingo von Münch - habe das Vertrauen in die Berichterstattung von Presse und Rundfunk dramatisch abgenommen und sich eine bedenkliche, problematische Entfremdung zwischen Medien und Rezipienten entwickelt, die man als Krise der Medien bezeichnen könne. Ingo von Münch, renommierter ehemaliger Professor für Staatsrecht und Völkerrecht, sicher keinerlei radikaler oder extremer Ausrichtung verdächtig, forscht und publiziert seit Jahren über die Grundrechte der freien Meinungsäußerung, der Informationsfreiheit und der Presse- und Rundfunkfreiheit. In seinem neuesten Band nimmt er kenntnisreich, beispielhaft und scharfsinnig die Krise der Medien, insbesondere der Print-Medien aufs Korn. Die Medien seien verfassungsrechtlich zwar besonders geschützt und beauftragt, aber keine vierte Gewalt im Sinne einer Staatsgewalt neben Exekutive, Legislative und der Judikative, sondern die Basis ihrer Legitimation sei die Öffentlichkeit, aber das setze 'guten Journalismus' voraus. Aus konservativer Sicht plädiert von Münch für eine vernünftige Balance zwischen sachlicher und umfassender und nicht nur selektiver und wertender Information und gegen jede Bevormundung und Denkverbote.

Genau hier setzt auch der neue Band von Patrik Baab an, der nicht nur einen sehr durchdachten, praxiserprobten und handlichen Werkzeugkasten für journalistisches Recherchieren im Dienste der Aufklärung anbietet, sondern auch die Hintergründe der Krisenhaftigkeit der Medien vor allem in Deutschland scharfsinnig ausleuchtet und analysiert und probate Gegengifte benennt. Qualitäts-Journalismus - so Patrik Bab - stehe immer in der Tradition der Aufklärung, der Kritik und Kontrolle politischer Macht. Nur unabhängige und damit glaubwürdige Medien lieferten der Bevölkerung die Informationsgrundlagen zur Beurteilung der Handlungen der Politik. Der Band richtet sich nicht nur an Journalisten, Blogger und Internet-Aktivisten, sondern auch an 'interessierte Laien': "Zur Zielgruppe gehören alle, welche die Transformation der Öffentlichkeit von einem demokratischen Debattenraum zu einem Raum zur Veröffentlichung von Herrschaft nicht hinnehmen wollen" (S. 21).

Patrik Baab ist Politikwissenschaftler und Journalist, hat u.a. mitgewirkt an den ARD-Filmen über den Tod von Uwe Barschel, ist Lehrbeauftragter für praktischen Journalismus an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin, veröffentlichte zusammen mit Robert E. Harkavy den Band: 'Im Spinnennetz der Geheimdienste - Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?'.

Der Band hat drei Hauptteile, es folgen Dank, ein sehr umfassendes Literaturverzeichnis, ein Namens- und ein Sachregister. Die Anmerkungen sind jeweils am Ende der Teilkapitel zu finden. Das erste Kapitel dokumentiert, analysiert und begründet die Grundlagen journalistischer Recherche im Sinne der Aufklärung und der Ideologiekritik, dabei wird Bezug genommen u.a. auf Quellen von Kant, Marx, Siebenpfeiffer, Gramsci, Lippmann, Adorno, Horkheimer und Habermas. Dem folgt das umfangreiche Kapitel "Der journalistische Werkzeugkasten" mit insgesamt 14 Recherche-Werkzeugen, die ausführlich beschrieben und als Checklisten für die Praxis zusammengefasst und dokumentiert werden u.a.: Themen finden / Erschließung, Prüfung, Schützen von Quellen / Bildung von Hypothesen / Planung und Durchführung von Recherchen / Prüfung von Fakten / Publizieren und Auswertung des Feedbacks.

Das "Handwerk" der journalistischen Recherche könne man erlernen, aber es gehörten auch permanente Übung und Anstrengung dazu, ohne die die hier vorgestellten Werkzeuge kaum sinnvoll und effektiv eingesetzt werden könnten. Aufgabe der journalistischen Recherche sei es - so Patrik Baab -, die "Falschheit der Welt" zu erkennen und auszusprechen, die dafür Verantwortlichen zu benennen und ihre sozialen Strukturen zu destabilisieren, ihren Verschleierungscharakter offenzulegen: "Damit hat Recherche die Aufgabe, in Alternativen zur bestehenden Ordnung zu denken, sie als von Menschen gemacht, erkennbaren Interessen folgend und von Menschen veränderbar darzustellen" (S. 223).

Das abschließende dritte Kapitel befasst sich kritisch mit dem Thema "Recherchieren in Zeiten der Gegenaufklärung": "Wenn Öffentlichkeit mehr sein soll als ein Raum zur Veröffentlichung von Herrschaft, dann ist Recherche dafür konstitutiv. Denn Recherchieren heißt überschreiten. Dadurch wird eine kritische Öffentlichkeit erst erzeugt. Medial inszenierte journalistische Komplizenschaft ist der Recherche wesensfremd. Sie wirkt mit an Gegenöffentlichkeit und überwindet vorauseilenden Opportunismus" (S. 224). In der alltäglichen Praxis mutierten viele Medien häufig zum "Apologeten der Mächtigen und zum publizistischen Verteidiger des Status Quo". Statt Macht- und Gewaltverhältnisse aufzuklären, vernebelten sie oft die Interessen von Machteliten und würden so zum "Helfer der Gegenaufklärung". Der vorliegende Band dagegen stehe in der Tradition der Aufklärung: "Zu ihrem Kernbestand zählt die Einhegung politischer Macht. Kritik und Kontrolle derselben ist eine journalistische Kernaufgabe...

Dieses Buch will zeigen, wie Kritik und Kontrolle von Eliten wieder in den Mittelpunkt der Recherche rücken können" (S. 9). Diese Zielsetzung ist dem Autor in hervorragender Weise gelungen sowohl im theoretisch-begründenden Rahmen als auch bei den anschaulich und beispielhaft aufbereiteten Instrumenten des Werkzeugkastens für eine kritische journalistische Recherche. Für eine erweiterte Neuauflage des Bandes wäre ein zusätzliches Kapitel über die kommunikationspsychologischen Aspekte des Recherchierens sicher empfehlenswert und hilfreich für die journalistische Praxis.

Angesichts der Gleichförmigkeit des medialen Mainstreams nicht nur bei den privatwirtschaftlich organisierten, sondern auch bei den öffentlich-rechtlichen Leitmedien ist der vorliegende Band ein erfrischend erhellendes und ermutigendes Handbuch für einen aufklärerischen Qualitätsjournalismus, flüssig und gut lesbar geschrieben aus überzeugter und gelebter kritischer Zeitgenossenschaft. In diesem Buch spürt man den Atem eines leidenschaftlichen und seit über 40 Jahren aktiven und "kampferprobten" Journalisten und Lehrenden.


Patrik Baab: Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung. Westend Verlag Frankfurt/Main 2022, 256 Seiten, Klappenbroschur 20,00 EUR.

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Quelle:
© 2022 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. März 2022

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