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BUCHBESPRECHUNG/228: Pro Reo, Partner der CIA - Wie der Vatikan in der Welt der Geheimdienste mitmischt (Gerhard Feldbauer)


Wie der Vatikan in der Welt der Geheimdienste mitmischt

Sein Pro Deo ist er ein Schwergewicht und spielt als Partner der CIA eine federführende Rolle

von Gerhard Feldbauer, 6. Februar 2023


Mit "Spione im Vatikan" bringt "Das Neue Berlin" die deutsche Erstausgabe des französischen Historikers Yvonnick Denoël heraus, der mit Büchern über die CIA, den Mossad, Spionage in den Weltkriegen und im Kalten Krieg als Experte zum Thema gilt. Der 600 Seiten lange Band befasst sich damit, wie der Vatikan als Staat in der Welt der Geheimdienste mitmischt. Mit seinem Geheimdienst Pro Deo ist er durchaus ein Schwergewicht und spielt, wie der Verfasser darlegt, als Partner der CIA eine federführende Rolle. Pro Deo wurde während des Zweiten Weltkrieges 1943/44 von dem Pater Andrew Felix Morlion in enger Zusammenarbeit mit dem Chef des Office of Strategic Services (OSS), des Vorläufers der CIA, William Donovan, in Lissabon aufgebaut. Parallel war Morlion als Agent für das OSS, später für die CIA tätig. Pro Deo steht eine schier unerschöpfliche Basis zur Verfügung. Nach einer kirchenamtlichen Statistik von 1981 gab es fast 260.000 Diözesanpriester, über 120.000 einfache Priester, etwa 560.000 Seminaristen, mehr als 200.000 Mönche und weit über 950.000 Nonnen, nicht zu reden von der unübersehbaren Schar der Laienbediensteten, sicher weit über 2,5 Millionen. Was nicht heißen soll, dass sie alle Agenten waren.

Denoël beginnt mit einer Einführung und der Haltung zu Hitler und dem Dritten Reich, geht über Italien, wo kaum ein Ereignis, ob Pius XII., Johannes XXIII., Opus Dei, die faschistische Putschloge Propaganda Due (P2), die Verflechtung mit der Mafia oder der polnische Papst Wojtyla alias Johannes Paul II. ausgelassen wird, vergisst Morde im Vatikan nicht und endet bei der Wahl und dem Rücktritt des deutschen Ratzingerpapstes Benedikt XVI. und seinem 2013 zur Rettung aus der Krise der katholischen Kirche ins Amt gebrachten Nachfolger, dem Erzbischof von Buenes Aires Mario Bergoglio, der den Namen Franziskus annahm.

Der Autor schildert konkrete Fälle und analysiert die großen Strategien, so im Kampf gegen den Kommunismus, als Johannes Paul II. mit Unterstützung der Reagan-Administration und der amerikanischen Geheimdienste gegen die Anhänger der Befreiungstheologie in ihrem südamerikanischen Hinterhof vorging, wobei Priester für Geheimdienst-Missionen angeworben wurden. Bis heute zögere der Vatikan nicht, dazu Spezialisten von außen zu rekrutieren. Zur Sprache kommt die Einschleusung Russisch sprechender Priester in die UdSSR unter Stalin, die Unterstützung der Solidarnosc in Polen und die Rolle des klerikal-faschistischen Opus Dei in den Machtkämpfen des Kirchenstaates. Ausführlich geht Denoël auf die Rolle des Vatikans bei der Fluchthilfe für Tausende und Abertausende führende Faschisten auf der im Geheimdienstjargon "Rattenlinie" genannten Fluchtroute nach Südamerika ein.

In Rom hatte der Vatikan unter Aufsicht von Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI., der zur Spitze des Pro Deo gehörte, mit einem Vertrauten des Chefs des unter der Okkupation Hitlerdeutschlands proklamierten "Unabhängigen Staates Kroatien", Ante Pavelic, im Kloster San Girolamo extra eine "kroatische Sektion" gebildet, die dann dafür sorgte, dass Pavelic, mit fast seinem gesamten Kabinett, ausgeschleust wurde. Der Autor enthüllt, dass der Vatikan sogar Priester zum Aufbau der geheimen NATO-Armee Gladio in Italien zur Verfügung stellte und dass das wahrscheinlich von Pius XII. selbst auf Ersuchen der CIA erfolgte. Der New Yorker Kardinal Francis Spellman, der 1947 durchsetzte, dass der Katholik und christdemokratische Ministerpräsident De Gasperi die Sozialisten und Kommunisten aus der Regierung verjagte, war ein Spion des Vatikans.

Nur Kenner werden feststellen, dass eigentlich kaum neue Themen aufgegriffen werden. Aber Denoël fasst bisherige Publikationen zusammen und der Leser erfährt nicht wenige neue Details, so, dass Hitler den Vatikanstaat besetzen wollte, aber der Oberbefehlshaber der SS und der Gestapo in Italien, Obergruppenführer Otto Wolff, ihm das ausgeredet habe, wohl deshalb, weil er sonst keine Unterstützung des Klerus beim Vorgehen gegen Massenunruhen gehabt hätte. Denn dabei hätte Wolff auch eigene Quellen verloren, von denen er erfuhr, dass Montini nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 dafür war, die "innere Ordnung" beizubehalten, was die amerikanische Zeitschrift Life am 14. Dezember 1943 dann so beschrieb, dass es darum ging, "sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, dass System aber zu erhalten".

Manches bleibt unterbelichtet oder auch unerwähnt, so zum Beispiel die Rolle des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli, des späteren Pius XII., und dem von ihm mit dem deutschen Reich geschlossenen Reichskonkordat, das er als etwas "Segensreiches für die unsterblichen Seelen" bezeichnete und in dem die Katholiken aufgerufen wurden, sich hinter die "nationale Regierung" zu stellen. Für Hitler war es die erste völkerrechtliche Anerkennung und damit ein außerordentlicher außenpolitischer Erfolg. Auch dass der erwähnte Kardinal Faulhaber betete, "Gott erhalte unserem Volk unseren Reichskanzler" und das Attentat auf Hitler "ein furchtbares Verbrechen" nannte, bleibt unerwähnt. Der Leser erfährt von wenig bekannten Informationen, die Pius XII. zum Massenmord an den Juden erhielt, aber nicht, dass die entscheidende von dem Nuntius in Istanbul, Erzbischof Roncalli, dem späteren Papst Johannes XXIII., kam, die Pius unbeachtet ließ. Johannes XXIII. wird dafür in Jerusalem an der Gedenkmauer gedacht. Es ist eine Ehrung, die Pius XII. (bisher) verwehrt wird, obwohl es ein öffentlich bekanntes Anliegen der Kurie ist.


Yvonnick Denoël: Spione im Vatikan. Die geheimen Kriege der katholischen Kirche. Das Neue Berlin, 2022, ISBN 978-3-360-02750-4, 600 S.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. Februar 2023

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