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BUCHBESPRECHUNG/232: Maik Fielitz / Holger Marcks - Digitaler Faschismus (Klaus Ludwig Helf)


Maik Fielitz / Holger Marcks

Digitaler Faschismus

von Klaus Ludwig Helf, April 2023


Die Plattformen der sozialen Medien hätten sich aufgrund ihres kapitalistischen Geschäftsmodells, ihres spezifischen technischen Designs und ihres Rechtsstatus als Intermediäre zu Biotopen und Motoren des globalen Rechtsextremismus entwickelt - so die These der beiden Autoren des vorliegenden Bandes. Mit ihren Entscheidungen beeinflussten die Plattform-Unternehmen nicht nur erheblich die Gestaltung der öffentlichen Meinung, sondern auch die Entwicklung der Welt-Gesellschaft und hätten somit auch eine "massive Verantwortung für Wohl und Wehe der Demokratie":

"Sie sind bedeutende Medien geworden, die Realität vermitteln und politische Diskurse prägen. Zugleich stellen sie virtuelle Organisationsstrukturen zur Verfügung, die auch von Extremisten und sogar Terroristen, also erklärten Feinden der liberalen Demokratie genutzt werden. Dabei entstehen Dynamiken, die sich ... letztlich gegen die demokratischen Freiheiten richten. Der digitale Faschismus ist eine solche Dynamik" (S. 232/233).

Der britische Komiker Sascha Baron Cohen hatte bereits 2019 in einer Rede vor der Anti-Defamation League gegen Antisemitismus behauptet, dass Facebook "die größte Propagandamaschine der Geschichte" sei, mit der sicher auch Hitler für seine 'Lösung der Judenfrage' geworben hätte. Was damals noch von vielen als böse und spitze Polemik des Komikers abgetan wurde, treffe heute den "Nerv eines Unbehagens, das viele Demokraten teilen". Wurde das Internet in den 90er Jahren noch als Hort der Demokratie und Meinungsfreiheit geschätzt, so sei es aktuell wegen der fast ungezügelten und ungefilterten Möglichkeiten der globalen Verbreitung von sprachlichen und audiovisuellen Informationen und Interaktionen ein "Hort von Hass und Hetze, der offene Gesellschaften vor eine Belastungsprobe" stelle:

"An vorderster Linie mit dabei: rechtsextreme Einpeitscher. Sie machen besonders eifrig Gebrauch von der Freiheit, die sich durch die Nichteinmischung eines Zuckerbergs bietet, und preschen mit unlauteren Mitteln voran, um ihre krumme Version der Wahrheit im politischen Wettstreit durchzusetzen" (S. 8).

Maik Fielitz und Holger Marcks wollen in ihrem Band analysieren, inwieweit es Zusammenhänge gibt zwischen den massiven Erfolgen der Rechtsextremen und der voranschreitenden Digitalisierung und den sozialen Medien:

"Denn offenbar gelingt es der extremen Rechten im digitalen Kontext besonders gut, abermals erfolgreich Politik mit Erzählungen von nationalem Untergang und Erwachen zu betreiben. Es ist diese spezifische Dynamik, die wir als 'digitalen Faschismus' verstanden wissen wollen" (S. 13).

Kernmerkmal der faschistischen Logik sei nach Auffassung der Autoren die Beschwörung eines nationalen Untergangs, des 'Volkstods' zur Rechtfertigung autoritärer und illiberaler Praktiken und sogar von Gewalt:

"Dabei wird etwa konkret der Eindruck vermittelt, dass sich Deutschland im Würgegriff von 'Ausländergewalt' befinde, vom politischen Islam terrorisiert werde und überhaupt seines Volkes verlustig gehe" (S. 54).

Der extremen Rechten sei es gelungen, mit Hilfe der sozialen Medien systematisch und global ein "regelrechtes Nachrichten- und Propagandasystem" zu installieren, über das sie ihre postfaktischen Erzählungen von der Wirklichkeit sehr agil und effektvoll verbreiten können:

"Diese Erzählungen handeln von Verschwörung und Verrat, vor allem aber von einer Bedrohung der Nation. Die dramatische Geschichte von einem drohenden Untergang der eigenen 'Rasse' beziehungsweise Kultur ist dabei zur verbindenden Erzählung der extremen Rechten geworden - und zwar global" (S. 12).

Maik Fielitz ist Konfliktforscher mit Schwerpunkt Rechtsextremismus am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und am Institut für Friedensforschungs- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Holger Marcks ist Sozialwissenschaftler und forscht seit 2018 am IFSH zu rechtsextremer und islamistischer Online-Propaganda.

Der Band gliedert sich in sieben Kapitel, Schlusswort mit Ausblick ("Dilemma ohne Ende?"), Postcriptum und Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln. Nach einem orientierenden Kapitel über die Liaison von Rechtsextremismus und sozialen Medien werden vor allem folgende Themen von den Autoren bearbeitet, analytisch vertieft und exemplarisch belegt: rechtsextreme Bedrohungsmythen im digitalen Kontext, die Technik des dramatischen Erzählens und die digitale Vermittlung von Angst und Bedrohung, Gaslighting, Fake-News und die digitale Konjunktur von Bullshit, digitale metrische Manipulation und deren Bedeutung für politische Diskurse, systematische Generierung digitaler Hasskulturen als Transmissionsriemen und die Grenzen der demokratischen Gegenrede.

Bei der Analyse der Techniken und Mechanismen, auf denen der Erfolg der extremen Rechten basiert, zeigt sich, dass sie auf ein "... Set von Manipulationstechniken bauen kann, die mit der Funktionsweise der sozialen Medien besonders gut korrespondieren. Sie profitiert dabei auch von einer neuen Wahrnehmungsorganisation, die mit den sozialen Medien einhergeht - und die mit der faschistischen Logik, welche die extreme Rechte antreibt, teilweise kompatibel ist" (S. 209).

Durch die Digitalisierung habe sich der gesellschaftliche Kommunikationsraum durch neue Rezeptionskanäle erheblich erweitert und dadurch einen weiteren 'Strukturwandel der Öffentlichkeit' entwickelt, bei dem neben den traditionellen, journalistisch-publizistischen Medien wie Print, TV und Radio die sozialen Medien ein integraler Bestandteil geworden seien. Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram und Twitter und Suchmaschinen wie Google seien für viele Menschen zu unverzichtbaren Medienangeboten geworden, nicht nur beim Austausch von Handelsgütern, sondern auch, um Informationen zu allen nur erdenklichen Themen zu erhalten oder selbst zu verbreiten. Als 'intermediäre Medien' produzieren sie selbst keine eigenen Inhalte, sondern schaffen die Voraussetzung dafür, dass ihre Nutzerinnen und Nutzer Inhalte aller Art verbreiten bzw. auffinden können.

Da die Unternehmen dieser Plattformen privatwirtschaftlich organisiert, monopolartig global aufgestellt und mit eigens entwickelten, kaum transparenten Prinzipien einer neuen 'Medienlogik' funktionieren und keinen journalistischen, faktensichernden und ethischen Standards unterworfen sind, bleibe dies nicht folgenlos für die Meinungsbildung ihrer Nutzerinnen und Nutzer - eine offene Flanke für die Demokratie - so die beiden Autoren. Sie belegen eindrucksvoll, wie in besonderem Maße die extreme Rechte die spezifischen Mechanismen und Funktionslogiken der sozialen Medien professionell und systematisch nutzt, um sie als "Resonanz- und Vernetzungsraum" für ihre Zwecke erfolgreich einzusetzen, wobei sie die Möglichkeiten einer erweiterten Meinungsfreiheit nicht nur nutzten, um ihre Ansichten zu streuen, sondern auch, um sich besser zu koordinieren.

So würden rechtsextreme Influencer beispielsweise gezielt Nachrichten streuen oder verstärken, die zu ihren Bedrohungsnarrativen passten oder postfaktische und verschwörungstheoretische Informationen einspeisen und damit Chaos in der politischen Meinungsbildung anstiften und das Vertrauen in den Staat und in die Medien untergraben.

Die den sozialen Medien immanente Interaktionsökonomie (u.a. Kommentare, Retweets, Clickbaites) und das Prinzip der Personalisierung (algorithmische Präsentierung und Zuweisung von Inhalten) schaffen auch 'Echokammern' und 'Filterblasen', die kreisende Erregungen und affektive Selbstaufschaukelungen begünstigen und parallele Realitäten schaffen. Es seien im Netz zahlreiche rechtsextreme bis faschistische - zuweilen auch gegeneinander arbeitende - Kräfte aktiv, eine patchworkartige Melange aus einer "Masse aus Wutbürgern und Trollen, Influencern und typischen Rechtsextremisten", mit ganz unterschiedlichen Motivationen:

"Wir haben es hier unübersehbar mit Formen der politischen Massenbeeinflussung zu tun, die vor der Digitalisierung nicht möglich waren. Im Klartext bedeutet dies, dass heute jede Menge an schlecht recherchierten Informationen, Lügen, Bullshit oder einfach nur Irrsinn an die Massen gebracht werden kann, für die es vor den sozialen Medien wohl kaum eine massentaugliche Plattform gegeben hätte" (S. 156).

Auch rechte und rechtsextreme Parteien und Organisationen wie die AfD, Pegida und die Identitäre Bewegung könnten somit fast ungehindert ihre Ideologien verbreiten, Verwirrung stiften, Ängste schüren und Mehrheitsverhältnisse verzerren und eine wachsende Akzeptanz rechter Positionen in der Bevölkerung befördern.

Zu Recht mahnen die beiden Autoren am Ende ihrer beeindruckenden Analyse dringenden politischen und rechtlichen Handlungsbedarf an und diskutieren verschiedene Alternativen der Regulierung von der Eigenverantwortung der Unternehmen über die Benutzerregistrierung, Schaffung zusätzlicher öffentlicher Netzwerke bis zur Sozialisierung bestehender Plattformen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei bei aller berechtigten Kritik ein Erfolgsmodell, warum also nicht soziale Medien schaffen, die diesen Namen verdienen? Als Teil einer öffentlichen Infrastruktur, gesteuert durch demokratische Gremien, transparente, verantwortungsbewusste Algorithmen, die pädagogisch und kulturell niveauvolle, demokratische Inhalte fördern und eine professionelle Kuratierung der Inhalte durch Experten:

"Der Gesellschaft bliebe so sicher einiges erspart. Absurder als die Aussicht darauf, dass sich Demokraten ständig in den toxischen digitalen Räumen behaupten, ganze Löscharmeen den Müll der Tech-Unternehmen beseitigen und Politik und Gerichte immerfort einschreiten müssen, ist ein solches Szenario gewiss nicht" (S. 241).

Der Band ist eine tiefschürfende und wissenschaftlich fundierte Analyse, wie soziale Medien von rechtsextremen Kräften missbraucht werden und fordert eindringlich dazu auf, die demokratische Gesellschaft zu schützen und das Internet unter demokratische Kontrolle zu stellen. Maik Fielitz und Holger Marcks ist es gelungen, auch für Laien verständlich und nachvollziehbar die Potenziale der digitalen Medien und deren Missbrauch durch die Manipulationstechniken und Taktiken der extremen Rechten zu beschreiben und deren Bedrohung für die demokratische Gesellschaft zu begründen.


Maik Fielitz / Holger Marcks: Digitaler Faschismus. Dudenverlag, Berlin 2020. 256 S., 18,50 Euro.

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Quelle:
© 2023 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. April 2023

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