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REZENSION/058: Peter Forbath - Der König des Kongo (Historisch) (SB)


Peter Forbath


Der König des Kongo



Mit "Der König des Kongo" hat Peter Forbath einen Roman geschaffen, der den Leser schon auf der ersten Seite vollständig in eine andere Zeit versetzt: ins Jahr 1482, an Bord der portugiesischen Karavelle LEONOR unter Diego Cao, einem Kapitän, der noch heute für seine Seefahrten berühmt ist.

Durch den präzisen historischen Bezug zur sogenannten portugiesischen Entdeckungsgeschichte legt der Autor einen Rahmen für die Handlung fest, mit der er die kühne Absicht verfolgt, die folgenschweren und im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegenden Jahrzehnte dieses Zeitalters wiederaufleben zu lassen. Dabei greift er in seinem Roman einen wesentlichen Aspekt dieser Epoche heraus und verleiht ihm anhand von historischen und erdachten Personen Ausdruck. Das gelingt ihm so überzeugend, wie dies 500 Jahre später überhaupt nur möglich ist.

Der Roman beginnt genau zehn Jahre vor der legendären Reise eines gewissen genueser Kapitäns namens Christoph Kolumbus, der statt des Seewegs nach Indien eine - für die Europäer - neue Welt entdeckte. Die Erkundung einer Schiffahrtsverbindung nach Indien war eines der herausragenden wirtschaftlichen Interessen der damaligen Großmächte Portugal und Spanien. Auch Diego Cao ist zehn Jahre vor Kolumbus im Auftrag des portugiesischen Königs Johann II. unterwegs gewesen, um die Südspitze Afrikas zu umsegeln und einen Weg nach Calicut zu finden. Seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts hatte es zwar immer wieder Expeditionen entlang der westafrikanischen Küste gegeben, doch weiter als bis nach Guinea war bis zum Zeitpunkt des Handlungsbeginns 1482 noch nie ein bekanntes Schiff vorgedrungen.


Die LEONOR läßt als erste die vertrauten Gewässer hinter sich und gelangt auf ihrem Kurs südwärts zufällig in die Mündung eines gewaltigen Stroms. Der Kapitän entschließt sich, ein paar Tage zur Erkundung dieses unbekannten Gewässers zu verwenden. Damit trifft er eine schicksalhafte Entscheidung, die nicht nur das Leben der kleinen Besatzung verändert, sondern auch das der Menschen, deren Heimat das Land um den großen Fluß ist: der Soyo, Kongo, Mbata, Nsundi und der anderen, die zusammen das Königreich Kongo bilden.

Der fünfzehnjährige Page Gil Eanes wird zur Hauptperson des Romans. Er ist der erste - und bleibt der einzige - dem es durch Neugier, gutes Beobachten und besondere Zugewandtheit gelingt, aus der gänzlich unbekannten Sprache der Soyo und Kongo die ersten Bedeutungszusammenhänge zu erschließen. Auf diese Weise wird er zu einer wichtigen Person für den Kapitän, und er darf ihn künftig zu allen Treffen als Vermittler begleiten.

Die ersten Begegnungen zwischen den beiden fremden Völkern verlaufen ausgesprochen freundlich und sind aufschlußreich wie auch amüsant zu lesen. Auffällig dabei ist, daß der Autor auf angenehme Weise das gängige 'Du Freitag, ich Robinson'-Schema unterbricht, indem er den gewohnheitsmäßig sehr überheblich auftretenden Portugiesen eine Kultur gegenüberstellt, die völlig anders ist als ihre eigene, doch mindestens genauso selbstbewußt und herrschaftsgewohnt. Dazu kommt das neugierige und freundliche Zusammentreffen des Pagen Gil mit dem gleichaltrigen Kongoprinzen Mbemba, zwischen denen es neben den offiziellen Kontakten zu ersten holprigen, doch nichtsdestoweniger angeregten Gesprächen kommt. Sie sind erhellend und beschreiben denkbar plausibel das vorsichtige Herantasten und das gegenseitige Staunen der beiden jungen Männer beim Entdecken ihrer unterschiedlichen Herkunft und Lebensgewohnheiten. Das einzige, was den Leser dabei immer wieder einmal kurz in die Jetztzeit zurückholt, sind die kleinen 'Aha- Erlebnisse', die daran erinnern, daß das Resultat dieser Begegnung bereits in der Geschichte festgelegt ist. Ein kleines Beispiel: Gil hört, daß die Kongo den großen Strom 'nzere' nennen, ein Wort, das die Portugiesen nicht richtig aussprechen und das sich daraufhin als 'Zaire' durchsetzt.

Durch sein sprachliches Einfühlungsvermögen plötzlich unersetzlich geworden, ist es auch Gil, der als Vermittler zum König des Kongoreiches, zum 'ManyKongo,' geschickt wird. Er erhält Zutritt zum Herrscher über ein Reich, das größer ist und in dem mehr Menschen leben als in Portugal und von dem er bald herausfindet, daß es seine Heimat auch sonst in vielerlei Hinsicht in den Schatten stellt.


Der Roman beginnt ausgesprochen abenteuerlich. Sehr schnell jedoch stellt der Leser fest, daß der Autor nicht auf der - möglicherweise erhofften - Linie spannender und wahrscheinlich beschönigender Heldenerlebnisse bleibt, sondern eine Geschichte erzählt, von der nicht die Spur eines Zweifels bleibt, daß es sich vor langer Zeit alles ganz genau so ereignet hat. Er konfrontiert uns durch seine realistische Darstellungsweise mit Vorurteilen und sprengt damit den Rahmen eines reinen Unterhaltungsromans. Beispielsweise wird in Anbetracht des Sprachproblems ganz nebenbei erklärt, daß die Portugiesen davon ausgingen, die beiden Schwarzen, die sie auf die Reise mitgenommen hatten, als Dolmetscher einsetzen zu können. Sie kamen gar nicht auf die Idee, daß Menschen in verschiedenen Regionen Afrikas genauso unterschiedliche Sprachen haben wie in Europa. Durch vergleichbare Szenen fühlt sich der Leser immer wieder unzweifelhaft in die Gedanken- und Erlebniswelt eines überheblichen Europa zur Zeit der großen Eroberungen versetzt, das er doch unschwer als die eigene Welt erkennen kann.

Auch die Hauptfiguren des Romans sind nicht die erwarteten - und vielleicht erhofften - makellosen Helden. Ohne zu viel preiszugeben, kann man hier sagen, daß die Sympathien zu ihnen auf eine ernste Probe gestellt werden. So erscheint beispielsweise das Interesse des Prinzen Mbemba, die Schrift der Portugiesen lernen zu wollen, absolut verständlich und nach gängigen humanistischen Wertvorstellungen sogar erstrebenswert. Auch wünscht man ihm, daß er es schafft, sich gegen seinen älteren (unzugänglicheren und häßlicheren) Bruder durchzusetzen, der den Anspruch auf den Thron geerbt hat. Im Verlauf der Handlung stellt man dann jedoch fest, daß gerade der Wunsch nach Wissen eine Beteiligung an der Macht der Portugiesen voraussetzt, die die Völker der Kongo, Soyo, Nsundi und all der anderen durch die Familien hindurch spaltet. Bald gibt es auf der einen Seite diejenigen, die sich begeistert allem Neuen zuwenden, das die Portugiesen ins Land bringen und auf der anderen Seite die, die erkennen, daß damit unwiderruflich der Untergang ihrer alten Kultur eingeleitet wird. Diejenigen, die am Anfang unsympathisch und bedrohlich wirkten, werden zu den Bewahrern ihrer vertrauten Lebensform, während die ursprünglich Aufgeschlossenen - und Sympathischen - sich als die Stützpfeiler der portugiesischen Herrschaftsstrukturen erweisen. Der Ausspruch eines hochstehenden Priesters der Kongo erhält in diesem Zusammenhang prophetische Bedeutung: "Zuerst stehlen sie unsere Seelen und dann unsere Körper."

Da wir die historischen Zusammenhänge kennen, legt der Roman einen ungewöhnlichen Schluß nahe. Im Grunde stehen sich hier zwei unversöhnliche Standpunkte gegenüber. Jedes Bestreben, einen auf Handel oder 'kulturellem Austausch' beruhenden Kontakt zwischen Portugiesen und Kongo herzustellen, kann nur zur Zerstörung der Schwächeren führen. Es gibt keine Adaptionsmöglichkeiten derart verschiedener Kulturen, da auf Dauer gesehen immer die eine die andere dominieren wird.


Peter Forbath
Der König des Kongo
Originalausgabe: "Lord of the Kongo", New York 1996
Limes Verlag GmbH, München 1996
731 Seiten
ISBN 3-8090-2408-2