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REZENSION/080: Eduard Limonow - Fuck Off, Amerika (SB)


Eduard Limonow


Fuck Off, Amerika



Der provokante Titel dieses frühen Werks Eduard Limonows ist zugleich zutreffend und irreführend. Der 1982 erstmals auf deutsch veröffentlichte Roman schildert ohne Gewähr auf biografische Authentizität die Erlebnisse des damaligen Mitdreißigers in der wichtigsten Metropole der kapitalistischen Welt, die bei allem Bemühen um einen modernen subjektivistischen Erzählstil, den man irgendwo zwischen Charles Bukowski und Jack Kerouac ansiedeln könnte, auf die lange Strecke durch Wiederholungen ermüden und mit sexuellen Obsessionen langweilen. "Fuck Off, Amerika" erweist sich als völlig harmlos, wenn man aufgrund der politischen Herkunft des Autors und der aggressiven Ansprache Kritik an Gesellschaft, Politik und Ökonomie der Vereinigten Staaten erwartet hat. Hinsichtlich seines Adressaten ist der Buchtitel so verfehlt, wie man reichlich Gelegenheit hat, sich mit dem sexistischen Affront des Werks zu konfrontieren. Limonows Ruhm, anläßlich dieses Werks "als Darling der Intellektuellen gefeiert für seine literarische Abrechnung mit dem Kapitalismus" (Süddeutsche Zeitung 30.09.2002) zu werden, erscheint als typisches Phänomen eines selbstreferentiellen Kulturbetriebs, der in Moskau nicht weniger als in Berlin und München die provokante Attitüde höher schätzt als die politische Position, die sich vorgeblich in ihr ausdrückt.

Der Ich-Erzähler Limonow ist ob des Verlustes seiner Liebe Helena so empört, daß er sich zu verbalradikalen Posen versteigt. Sie hat ihn für einen beruflich sehr erfolgreichen Amerikaner verlassen, während sich der sowjetische Emigrant mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und von reichen Liebhabern aushalten läßt. Nun mimt Limonow den zu Unrecht in seinen Qualitäten verkannten Underdog:

Ich mache sie kaputt, eure Welt, in der es keinen Platz für mich gibt, dachte ich verzweifelt. Und wenn ich es nicht schaffe, sie zu zerstören, werde ich wenigstens einen schönen Tod sterben, weil ich es immerhin versucht habe, zusammen mit denen, die so denken wie ich. (S. 36)

Über dieses Niveau einer sehr egoistischen Verzweiflung, die Limonow mit selbstironischem Gestus zum Anlaß für einige wenige politische Stellungnahmen nimmt, erhebt sich der Autor an keiner Stelle des Texts. Allein die Aussage, daß er nicht für die Unabhängigkeit seiner ukrainischen Heimat sei und die Aufgabe der Linken nicht darin sehe, "allen Landsmannschaften den Status von unabhängigen Nationalstaaten zu verschaffen, sondern darin, die Welt von den Kriegen, den sozialen Ungleichheiten, dem allgemeinen Mord des Lebens durch den Zwang der Arbeit zu befreien" (S. 99), läßt so etwas wie eine ernstzunehmendes Anliegen emanzipatorischer Art erkennen. Jeden Ansatz, der hoffen läßt, Limonow möge den Reigen der Selbstbespiegelung durchbrechen, wird jedoch durch ein betont spielerisches Verhältnis zur Wirklichkeit dementiert. Was ihm die einen als Ausdruck seiner künstlerischen Berufung gutschreiben, wirkt auf andere nur affektiert, denn selbst die Inszenierung innerer Zerrissenheit bleibt ein vordergründiges Spektakel des Überschreitens moralischer Konventionen.

Da hilft es wenig, wenn Limonow die Kulturkritikerin Helen von Ssachno in seinem Nachwort zur deutschen Wiederveröffentlichung des Buches mit einer Huldigung seines Werks zitiert:

Sein Striptease des Körpers entblößt auch die Psyche, beraubt sie ihrer Schutzvorrichtungen und Kontrollmechanismen. Moralische Kriterien stürzen wie Kartenhäuser ein, und wer die russische Seele bisher wie von einem Heiligenschein umgeben sah, wird eines anderen belehrt.

Dies betreffend gibt es seit dem Untergang der Sowjetunion nicht mehr allzuviel Aufklärungsbedarf, hat sich Rußland doch jenen Kompradorenkapitalismus, den Limonow in seinem Buch anprangert, so sehr zu eigen gemacht, daß die vielzitierte russische Seele vollends ins Exil ihrer slawophilen Vordenker des 19. Jahrhunderts verbannt wurde. Zudem ist permissive Sexualität, mit deren Schilderung Limonow den größten Teil seines Buches füllt, in ihrem Warencharakter längst zum Agens kapitalistischer Verwertungslogik und nicht dessen Antagonismus geraten. Sich ihr im Stil einer Ich-AG der Selbsterfahrung zu widmen bringt gerade so viel Erkenntnisgewinn wie jede Verstrickung in komplizierte Tauschverhältnisse, bei denen es im Endeffekt um die Frage geht, wer den anderen erfolgreicher über den Löffel balbiert.

Ohne das Nachwort der Moskauer FAZ-Kulturkorrespondentin Kerstin Holm stünde der nicht vorgebildete Leser noch ratloser vor der Lektüre des Romans. Das Porträt Eduard Limonows, das sie auf sieben Seiten zeichnet, gibt Aufschluß über den Werdegang des Autors und bietet eine wohlwollende Interpretation des Romans an, die zumindest verständlich macht, warum das Buch zu Sowjetzeiten von der russischen Gegenkultur gefeiert wurde. Wer es in Augenschein nimmt, weil der im Juli 2003 nach zweijähriger Haft wegen illegalem Waffenhandel und organisierter Kriminalität aus dem Gefängnis entlassene Limonow seit 1994 vor allem als Begründer der Nationalbolschewistischen Partei (NBP) Furore macht, der hat jedenfalls allen Grund, je nach politischem Standort enttäuscht oder erleichtert zu sein.

In "Fuck Off, Amerika" wird Limonow weit mehr seinem Ruf eines Popstars der russischen Kunst- und Literaturszene gerecht als dem eines radikalen politischen Führers, als der er als NBP- Chef in Erscheinung getreten ist. Nun sind seit Ende der siebziger Jahre, als das Buch geschrieben wurde, viele Jahre vergangen, so daß sich Erkenntnisse über seine heutigen Ansichten erst recht nicht aus diesem Text ableiten lassen. In einem kurz nach seiner Entlassung aus der Haft mit der englischsprachigen Online-Ausgabe der Pravda geführten Interview erklärte Limonow jedenfalls, sich künftig auf seine politischen Aktivitäten konzentrieren zu wollen:

"Ich habe nicht mehr viel Zeit, ich muß mich jetzt auf eine Sache konzentrieren. Man muß damit aufhören, lediglich ein passiver Teilnehmer zu sein, man sollte sich in die Politik einmischen. Das Lesen von Zeitungen und das Surfen im Internet sollten ersetzt werden durch wirkliche Aktionen. Wenn oppositionelle Parteien euch aufrufen, auf die Straße zu gehen, dann müßt ihr das tun. Die Unterstützung der Opposition durch Menschenmassen erzeugt große Furcht. Dies ist die mächtigste Art, Druck auf eine Regierung auszuüben. Jedes Gesetz könnte widerrufen werden, wenn die Menschen auf die Straßen der großen Städte gingen." (8. Juli 2003, PRAVDA.Ru)

Heute hat man es bei Limonow nicht mit einem Linken zu tun, sondern einem neurechten Provokateur, der für seine nationalistischen Töne bekannt ist. Kerstin Holm hält seinen Anhängern zwar zugute, ihrem "Leben durch Abenteuer Farbe zu verleihen" und sich als "stolze Freischärler, die spießige Geschaftlhuber malträtieren und von den Frauen geliebt werden", darzustellen, nimmt ihren Helden Limonow jedoch als politischen Aktivisten durchaus ernst, habe er doch in Kasachstan "bewaffnete Unruhe" unter kasachischen Russen stiften wollen. An Mut scheint es ihm jedenfalls nicht zu mangeln, zählt er doch zu den wenigen radikalen Kräften innerhalb Rußlands, die sich in offene Opposition zum Kreml begeben. Daß er gleichzeitig mit dem im britischen Asyl lebenden Ex-Oligarchen Boris Beresowski in gutem Einvernehmen stehen soll, versieht jedoch auch dieses Ruhmesblatt mit dem Makel einer möglichen Kollaboration, die im Extremfall georgische und ukrainische Zustände reproduzierte.

Man kann sich die Lektüre dieses Romans getrost ersparen, wenn man etwas über seinen Autoren erfahren will, das nicht auf seine sexuellen Abenteuer reduziert ist. Anstelle sich eines vermeintlichen Klassikers anzunehmen, der diesen Titel bestenfalls im Segment moderner sowjetischer Exilliteratur in Anspruch nehmen kann, wäre der Verlag gut beraten gewesen, auf eines der acht Bücher zurückzugreifen, die Limonow im Gefängnis geschrieben haben soll. Schließlich geht es in der russischen Gesellschaft um die Bewältigung schwerwiegender sozialer Probleme und um grundlegende Entscheidungen im Verhältnis des Landes zu den USA und zur EU. Was ein politischer Außenseiter zu diesen Fragen zu sagen hat, wäre auch und gerade wegen seines fragwürdigen, unrepräsentativen Standpunkts zu einer Zeit, in der sich die Kluft zwischen Rußland und dem Westen wieder zu vergrößern scheint, für das hiesige Publikum von Interesse.


Eduard Limonow
Fuck Off, Amerika
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2004
279 Seiten, 8,90 Euro
ISBN 3-462-03384-0