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REZENSION/095: PERRY RHODAN Silberband 94 - Die Kaiserin von Therm (SB)


PERRY RHODAN


Die Kaiserin von Therm



Wenn der Mensch die Krone der Schöpfung ist, wie in der Wissenschaft gelegentlich behauptet, wer ist dann sein Schöpfer? Zu dieser Frage haben fast alle Kulturen Antworten gegeben und Kosmologien entwickelt, in denen häufig von Göttern als Erzeuger des menschlichen Geschlechts die Rede ist. Die Naturwissenschaft hat sich eigenem Bekunden zufolge von solch religiösen Konzepten verabschiedet und behauptet, der Mensch sei ein Produkt der Evolution, der Natur und damit des Zufalls, das heißt besonderer äußerer Bedingungen. Angefangen vom Erbrüten schwerer Elemente in einem Stern über den Abstand der Erde zur Sonne, so daß Wasser in flüssigem Aggregatzustand vorliegt, bis zum Vorhandensein eines die Erdbahn stabilisierenden Monds reicht die Palette an Faktoren, mit denen die mutmaßliche Einzigartigkeit der irdischen Lebensentstehung und des Menschen als über den Tieren thronendes Intelligenzwesen begründet wird.

Aber handelt es sich bei "Evolution", "Natur" und "Zufall" nicht ebenfalls um Denkkonzepte, mit denen etwas ganz und gar Unverstandenes ein Name verliehen und dadurch vermeintlich begreifbar gemacht werden soll? Entspricht dies nicht exakt der religiösen Vorstellungen, daß ein oder mehrere Götter das Schicksal des Menschen bestimmen?

Die Autoren der Science-fiction-Serie PERRY RHODAN jedenfalls sind wahre Schöpfer ... sie schöpfen aus dem vollem und bedienen sich des Legenden- und Mythenschatzes zahlreicher Kulturen, um die Kosmologie eines von Höheren Mächten durchwirkten "Perryversums" zu spinnen, dessen Vielschichtigkeit seinesgleichen sucht.

Der vorliegende Silberband 94, in dem die ursprünglichen Heftromane 800 bis 807 zusammengefaßt sind, wurde nach einer Superintelligenz namens Kaiserin von Therm betitelt. Sie ist auf sagenhafte Weise entstanden: Einst traf eine Prior-Welle, die das gesamte Wissen der Soberer enthielt, auf einen kosmischen Urnebel, woraus die Sonne Yoxa-Santh und 18 Planeten entstanden. Auf einigen von ihnen bildeten sich kristalline Strukturen, die später auswuchsen, einen ganzen Planeten umspannten und durch psionische Impulse zum Leben erweckt wurden.

Niemand kann sich solch ein planetengroßes, kristallines Wesen vorstellen, aber die Kaiserin von Therm ist wiederum auch nicht so fremdartig, als daß ihre Existenz im Rahmen einer fiktiven Romanhandlung nicht für möglich gehalten werden könnte. Die Beschreibung der Autoren folgt einer naturwissenschaftlich geprägten Kausalität, durch die im wesentlichen zwei Dinge zusammengebracht werden: Information und Materie. In diesem Fall Trägerwelle (informationell) und Urnebel (materiell), dann das gleiche Prinzip nochmals: psionische Gesänge auf der einen und planetare Kristallstruktur auf der anderen Seite.

Information und Trägersubstanz zusammen werden zu Leben. Das ist irgendwie verstehbar, damit können die Leser etwas anfangen. Noch fremdartigere Beschreibungen sind denkbar, lassen sich aber literarisch womöglich nur schwer vermitteln. Wie wäre es beispielsweise, ein Kubikkilometer Kontinentalabhang plus ein Stückchen Atlantik mit einem Drittel aller jemals zur Existenz gelangten Dinosaurier und den Beginn von Gewittern auf dem Saturnmond Titan vor einer Million Jahren als einen geschlossenen Wirkzusammenhang - ein einziges Wesen - zu beschreiben? Das wäre ziemlich fremdartig, und es ist zugleich schwer vorstellbar, so etwas in eine leicht konsumierbare Handlung einzubringen, wie sie von einer Heftromanserie erwartet wird.

Dennoch, die PERRY RHODAN-Serie bemüht sich redlich, im Rahmen des Vorstellbaren, mittels der Schilderung fremdartiger Lebensformen und -weisen den Blick über den menschlichen Horizont zu erweitern. Das ist geradezu eine zentrale Botschaft der hier verarbeiteten Romane: Der vermeintliche Feind besitzt ein Gesicht, und mag es auch noch so unvertraut erscheinen. Wenn der Fremde einem die Hand reicht, sollte man sie ergreifen. In diesem Fall rettet der Terraner Walik Kauk dem "feindlichen" Huatl vom Volk der Hulkoos das Leben und wird kurz darauf von diesem vor dem Tod bewahrt (S. 273 - 277). Was als kleine Episode angelegt ist, erweist sich als grundlegende Aussage: die Bindung der "niederen" Wesen untereinander ist fester als deren Bindung zu den Höheren Mächten, in diesem Fall der Hulkoos zur Superintelligenz BARDIOC und der Terraner und deren Mitstreiter zur Kaiserin von Therm.

Wer regelmäßig die PERRY RHODAN-Heftromane liest, ist wahrscheinlich auf der Leserkontaktseite auf die ein oder andere Stilblüte aufmerksam gemacht worden oder ist gar selbst über solch ein Gewächs gestolpert. Hier nun, vom Rezensenten augenzwinkernd dargeboten, eine weitere Stilblüte für die Sammlung: Als der oben erwähnte Walik Kauk die Hulkoos entdeckt, erschrickt er und flieht. Und weiter:

Wie die Hulkoos hierher gekommen waren, danach fragte er im Augenblick nicht. Eines ihrer Raumschiff musste sie abgesetzt haben, ohne dass die Ortungen etwas davon bemerkt hatten.
(S. 272)

Zu spät! Dafür, daß Walik Kauk nicht fragte, wie die Hulkoos aufgetaucht sind, beschäftigt sich der Fliehende ganz schön intensiv mit dem Thema. Und er gibt auch gleich die Antwort auf die - angeblich - nicht gestellte Frage. Solche kleinen Widersprüche sind, wie man weiß, allzu menschlich und dadurch nicht auf PERRY RHODAN begrenzt. Umgekehrt tragen sie zum, wie man auf Neudeutsch sagt, "human touch" der Serie bei.

Während die Hulkoos dauerhaft in Diensten BARDIOCS und seiner Inkarnationen zu stehen scheinen, haben Perry Rhodan und die übrige Besatzung des Raumschiffs SOL, das in einen unbekannten Bereich des Universums verschlagen worden war, einen befristeten Handel mit der Kaiserin von Therm abgeschlossen, da sie von ihr die Position der Erde erfahren wollen. Der Handel gilt, die Erde wird wiedergefunden - aber sie ist nahezu vollständig entvölkert. Aus früheren Romanen wissen die Leser, daß die Heimatwelt der Terraner nicht mehr um die Sonne, sondern um den Stern Medaillon kreist.

Und die Erde ist auch auf andere Weise nicht mehr die gleiche. Es hat sich eine fremde, suggestiv begabte Macht auf ihr eingerichtet und die wenigen verbliebenen Menschen unterjocht. Die SOL muß abdrehen, bevor sie sich dem Bann der Suggestion nicht mehr entziehen kann, und die Lage erst einmal aus gebührendem Abstand erkunden. Die Schauplätze der Handlung wechseln jetzt im wesentlichen zwischen dem Fernraumschiff, der Erde, Luna und dem Planeten Intermezzo. Die Rückeroberung der Heimatwelt wird vorbereitet.

Perry Rhodan trägt einen Kristall der Kaiserin von Therm an einer Kette um den Hals und bietet Anlaß zur Sorge, weil er sehr verhärtet und kalt darauf reagiert, daß die Erde ausgerechnet von den Kräften BARDIOCS kontrolliert wird. Seine Freunde kannten Perry bislang als entschlossenen, aber stets um Frieden bemühten Menschen. Könnte es sein, daß der Unsterbliche von der Superintelligenz mittels des Kristalls manipuliert wird? Wenn das zutrifft, wäre das ein weiterer versteckter Hinweis des Romans darauf, daß die "Götter" den Menschen wieder einmal übel mitspielen.

Perry Rhodan
Die Kaiserin von Therm
Silberband 94
Pabel-Moewig Verlag, Rastatt 2006
ISBN 10: 3-8118-4072-X
ISBN 13: 978-3-8118-4072-0


Datum: 27.7.2006