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REZENSION/110: Andreas Brandhorst - Feuerträume (SB)


Andreas Brandhorst


Feuerträume



Ein Pferd von hinten aufzäumen zu wollen gilt als ein mindestens ungeschicktes, wenn nicht gar zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Dennoch sei hier eine Ausnahme gemacht und am Anfang das Ende erzählt: Im abschließenden Band "Feuerträume" von Andreas Brandhorsts Graken-Trilogie werden die von Sieg zu Sieg eilenden Graken und ihre Vitäen bezwungen. Der geniale Stratege Nektar, dessen Lebensweg als einer von drei parallelen Haupterzählsträngen geschildert wird, führt eine riesige Flotte der letzten freien Welten, die von den hochwertigen Schiffen der Maschinenzivilisation unterstützt werden, ins Kerngebiet des Feindes. Der schickt sich gerade an, seinerseits mit Hilfe einer gewaltigen Konstruktion, die mit der Energie von 21 Sonnen gespeist wird, Transfertunnel zu etablieren, um "das letzte Dutzend" zu attackieren.

Die Schlacht droht mit einer totalen Niederlage der Menschen und ihrer Verbündeten zu enden, da erfüllt sich das Schicksal, von dem Nektar zeit seiner Kindheit geträumt hat. Er besiegt die Graken in der großen Schlacht und stirbt. Obgleich sein fünf Kilometer langes Kommandoschiff "Excalibur" abgeschossen worden ist, treibt er in einem größeren Trümmerstück des Schiffs weiter auf den Kernbereich des Grakenhorts zu, wo es ihm gelingt, eine der 21 Sonnen zur Supernova zu zünden. Das löst eine Kettenreaktion bei allen anderen Sonnen aus, die nun ebenfalls explodieren. Mit ihnen werden das riesige Konstrukt der Graken, ihre Raumschiffe und auch die der Angreifer vernichtet. Das Dutzend ist gerettet, der auf dem Planeten Millennia angesiedelte Orden der Tal-Telassi strebt einer neuen Zukunft entgegen.

In einem zweiten Erzählstrang sucht die Tal-Telassi Tamara-14 - die schon fast 1800 Jahre alt ist und im vierzehnten Körper, in den ihr Bewußtsein transferiert wurde, lebt - die rätselhafte Maschinenzivilisation der Tymionen auf, um sie für den Kampf gegen die Graken zu gewinnen. Zugleich hilft sie dem Maschinenwesen Erasmus und seiner Gemeinschaft, einen Temporalen telepathisch zu sondieren. Bei den Temporalen handelt es sich um gefühllos wirkende, physiologisch und anatomisch verbesserte Menschen aus der Zukunft. Sie greifen Tymion, die Welt der Maschinenwesen an, weil sie das Bündnis mit den Menschen verhindern und die ihnen im Weg stehenden Maschinenwesen vernichten wollen.

Im dritten und umfangreichsten Erzählstrang geraten die zu Gefühlen fähige und deshalb bei ihren Ordensschwestern als Rebellin angesehene Tal-Telassi Dominique und der autistische Brainstormer Rupert in die nicht-lineare Zeit, wo Eisenmänner (Maschinenwesen) gegen die Dominanten (Temporalen) kämpfen. Dominique zieht mit Tarweder, dem Weisen, über die vier bekannten Dominien und landet schließlich im fünften Dominium. Das galt bislang bei den Bewohnern der anderen Welten lediglich als Mythos. Hier laufen nun die großen kosmischen Fäden des insgesamt sechs Bände umfassenden Kantaki-Zyklus zusammen.

Am Ende stellt sich heraus, daß der 1200 Jahre lange Krieg, der in Brandhorsts Diamant- und Graken-Trilogie erzählt wird, vom göttlichen, aber kranken Wesen Olkin als Traumwelt konstruiert wurde und für ihn nur einen Tag gedauert hat. Olkin tritt in dem von ihm geschaffenen Universum meist in Gestalt eines Gnoms in Erscheinung, liegt in Wirklichkeit aber im Schlaf. Das von ihn geschaffene Universum hat Selbständigkeit erlangt und kann nicht mehr weggeträumt werden. Dominique stößt auf Olkins echten Körper und durchkreuzt seine Pläne. Er wollte sie dazu bewegen, ihn von seiner Herkunft abzunabeln, damit er sich zu einem Gott in seinem Universum aufschwingen kann. Die junge Tal-Telassi widersteht dem Einfluß. Schließlich wird der Gnom von seinem Volk mitgenommen und soll künftig besser bewacht werden. Aber um den Kampf gegen die Graken kommt die Menschheit nicht herum, dieses Los wird ihr nicht abgenommen.

Brandhorst verbindet in dem vorliegenden Roman Science-fiction- mit Fantasy-Elementen. Zu den Stärken gehören die Beschreibungen der unterschiedlichen Menschenarten und Zivilisationen, angefangen von Prothesenträgern, die schon eine Art Cyborgs werden und aus denen sich die Temporalen entwickeln sollen, über die Lobotomen, die keine Gefühle besitzen, die paranormal begabten Tal-Telassi, die Maschinenzivilisationen, deren Mitglieder jedoch Empfindungen begreifen können, bis hin zu ganz normalen Menschen wie Nektar, die über sich hinauswachsen und ihrer Bestimmung folgen. Das Zusammenspiel der verschiedenen Menschen und Nicht-Menschen sorgt für einige Spannung. Auch das Finale, die Schlacht von Golgatha, die aus der Sicht Nektars beschrieben wird, gefällt insbesondere wegen der Schilderung der ungeheuren Dynamik der auf ihr Ziel zurasenden Raumschiffe und der blitzschnellen strategisch-taktischen Entscheidungen des Flottenkommandanten.

Es gelingt Brandhorst jedoch nicht, einen Spannungsbogen über die verschlungene Handlung auf rund 545 Romanseiten aufzubauen. Es entsteht der Eindruck, als hätte ihm der Abschlußroman einige Mühe bereitet, den kosmologischen Überbau zu einem schlüssig erscheinenden Ganzen zusammenzufügen. Dabei geraten die Figuren zur Staffage, während die Handlung über lange Strecken nur schleppend vorankommt.

Vom hohen SF-Niveau in "Feuervögel" über den bereits dahinter zurückstehenden Roman "Feuerstürme" bis zu "Feuerträume" erweckt der Kantaki-Zyklus einen zunehmend ausgebrannteren Eindruck. Der Autor scheint sein Feuerwerk verschossen zu haben. Da leuchtet zwar noch die eine oder andere bunte Kugel am Himmel auf, wie um Brandhorsts Talent zu beweisen, doch alles in allem bleibt der abschließende Roman mittelmäßig.

Bei der Frage, woran das liegen könnte, stößt man darauf, daß jene Passagen im Roman problematisch sind, in denen die Phantastik die Oberhand gewinnt. Wenn Tarweder in Wirklichkeit Dominiques Vater Dominik ist, er das aber nicht einmal selbst weiß, die Tochter zwischenzeitlich Botschaften von ihrem Vater empfängt, dieser sich dessen aber nicht gewahr ist, und wenn in Dominiques Träumen ihre Mutter Loana erscheint und kryptische Andeutungen von sich gibt, dann wird an diesen Stellen der beliebigen Verknüpfbarkeit das Wort geredet. Dabei geht die Spannung verloren, denn den Leserinnen und Lesern bleibt es selbstverständlich nicht verborgen, daß sie die Handlung gar nicht antizipieren können, und lassen entsprechende Bemühungen von vornherein bleiben. Es kommt zu keiner inneren Anteilnahme, wie sie sich ansonsten bei durchgängig gut geschriebenen Romanen einstellt.

So blaß und leblos, wie die Figuren gezeichnet werden, wird auch das Glossar zusammengestellt. Wenn unter dem Stichwort "Variator" als Erklärung "eine Waffe" steht, dann hätte sich der Autor dies sparen können. Andere Begriffe sind im vorliegenden Roman gar nicht mehr von Belang. Am schwersten wiegt jedoch, daß handlungsrelevante Bezeichnungen fehlen. So sucht man Erklärungen für Heres, Olkin und Temporale vergebens.

Das dramaturgisch durchaus ausbaufähige Gespann Dominique und Rupert, die im Band zuvor gemeinsam schier unüberwindliche Hindernisse bewältigt und dank ihrer Treue ihnen weit überlegenen Kräften getrotzt haben, reißt Brandhorst aus unerfindlichen Gründen schon nach kurzer Zeit auseinander und stellt Dominique mit dem weisen Tarweder eine neue Figur zur Seite. Als aber das Paar endlich doch wieder zusammenkommt, wird Rupert im gleichen Atemzug wieder aus der Handlung genommen. Er stirbt.

Womöglich geriet bei dem Bemühen, den Kantaki-Zyklus schlüssig beenden zu wollen, in Vergessenheit, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Das soll heißen, daß eine Kosmologie noch so ausgeklügelt sein kann - wenn es nicht gelingt, die Leserinnen und Leser anzusprechen, mitzunehmen und regelrecht zu verführen, läuft ein Roman Gefahr, sich so wenig spannend zu lesen wie eine Betriebsanleitung. Weil jedoch Brandhorsts frühere Kantaki-Romane "Feuervögel" (siehe Index REZENSION/103) und "Feuerstürme" (siehe Index REZENSION/104) streckenweise ausgesprochen lesenswert sind, wird man kaum umhin können, sich auch den Abschlußband noch zu Gemüte zu führen.

23. September 2008


Andreas Brandhorst
Feuerträume
Heyne Verlag, München 2008
574 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3-453-52299-2