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REZENSION/111: Dermot Somers - Buaic (Gälisch) (SB)


Dermot Somers


Buaic



Anfang August ist es auf dem K2, dem zweithöchsten Gipfel der Welt, zu einer der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte des Bergsteigens gekommen. Von einem Gletscher, der den gefährlichen Engpaß "Flaschenhals" überragt, brach ein riesiger Eisbrocken ab, stürzte auf mehrere Expeditionen, die unterhalb des Gipfels an der Bergwand hingen, und riß neun Menschen in den Tod. Zwei weitere Bergsteiger, die wegen gekappter Leinen infolge des Eissturzes festhingen, starben an Erfrierungen bzw. erlagen ihren Verletzungen.

Berichten zufolge hat in Bergsteigerkreisen weniger der tragische Tod der neun Kameraden, die an dem ohnehin als sehr herausfordernd geltenden K2 von der Eismasse getroffen wurden, als vielmehr die mangelnde Zusammenarbeit nach dem Unglück unter den übriggebliebenen Teilnehmern der verschiedenen Expeditionen an der Bergwand für Bestürzung gesorgt. In einem Gastkommentar, der am 10. August im Wochenendmagazin der New York Times unter der wenig hoffnungsvollen Überschrift "The Descent of Man" ("Der Abstieg des Menschen") erschienen ist, zitierte der Geschichtsprofessor Maurice Isserman, Mitautor des neuen Buchs "Fallen Giants: A History of Himalayan Mountaineering from the Age of Empire to the Age of Extremes", den Niederländer Wilco von Rooijen, der das Drama auf dem K2 heil überstanden hatte, mit den bezeichnenden Worten: "Jeder hat für sich selbst gekämpft, und ich verstehe immer noch nicht, warum einer den anderen in Stich ließ."

War das Bergsteigen früher das Betätigungsfeld einer kleinen Elite, einer verschworenen Gemeinschaft, so ist es inzwischen fast zum Massensport geworden. Auf dem Gipfel des Everest, des höchsten Bergs der Welt, haben seit der Erstbesteigung durch den Neuseeländer Edmund Hillary und den Nepalesen Tenzing Norgay im Jahre 1953 rund 3000 Menschen gestanden. Bei dem schwierigeren K2 sind es bisher nur knapp 300 gewesen. Nichtsdestotrotz hatten allein am Tag vor dem besagten Unglück 22 Bergsteiger den Gipfel des K2 erreicht (wofür einige am nächsten Tag mit dem Leben bezahlten), was ein Indiz für den Betrieb ist, der im Himalaja und den anderen Bergsteigerparadiesen herrscht. In dieser modernen, wenig romantischen Bergsteigerindustrie in der Grenzregion von Nepal und der Volksrepublik China ist der Roman "Buaic" ("Gipfel") von Dermot Somers angesiedelt.

Der 1947 in der Grafschaft Roscommon geborene Somers ist einer der erfahrensten Bergsteiger Irlands und zweifelsohne ihr profiliertester Vertreter. Der frühere Schullehrer, der seit einem Vierteljahrhundert ein Leben als Abenteurer, Schriftsteller und Filmemacher führt, hat in den Alpen unter anderem die Eigernordwand bezwungen und gehörte den irischen Expeditionen zu den Himalaja-Riesen Zhangzi (1987), Manaslu (1991) und Everest (1993) an. Seit Anfang der achtziger Jahren hat er mehrere entweder auf Englisch oder auf Gälisch verfaßte, zum Teil preisgekrönte Sachbücher und Sammlungen von Kurzgeschichten über das Bergsteigen und die irische Mythologie veröffentlicht. In den letzten Jahren ist Somers vor allem durch beeindruckende Reisedokumentationen, die er für den gälischen Fernsehsender TG4 produzierte und die ihn auf die Spuren der Nomadenvölker im Iran, in Nepal, in der Sahara und in Siberien führten, bekannt geworden. "Buaic" ist sein erster - und hoffentlich nicht sein letzter - Roman.

Hintergrund der Handlung stellt eine internationale Expedition zum Everest dar, die Mike, ein aus Irland stammender, seit acht Jahren in London lebender Kameramann dokumentieren soll. Hauptfigur des Romans ist Liam, Mikes 17jähriger Sohn aus früherer Ehe, den der Kameramann zur Teilnahme an der Expedition, quasi als seinen Assistenten, eingeladen hat. Liam, der noch ein oder zwei Jahre bis zum Abitur vor sich hat, will Berufserfahrungen sammeln, damit er später das aufregende Leben seines Vaters führen kann. Vor allem jedoch will er, da er schwer unter der Scheidung seiner Eltern zu leiden hat, die Kontakte zu Mike neu knüpfen und sich ihm gegenüber beweisen. Auf dem Dach der Welt soll er dazu in einem größeren Ausmaß Gelegenheit erhalten, als er es für möglich gehalten hätte.

Nicht nur zwischen Liam und Mike kommt es zu Spannungen und Mißverständnissen. Auch innerhalb der Expedition gibt es reichlich Streß. Der Expeditionsleiter Max und die beiden Routiniers Dixon und McKenzie zusammen mit ihren nepalesischen Scherpas Nima, Asha und dessen jugendlichem Sohn Pavidhan sollen den beiden Amerikanern Jeff und Jim, die den Großteil der Kosten tragen, helfen, den Gipfel des Everest zu erreichen. Zwischen Max und Dixon herrscht böses Blut wegen der letzten gemeinsamen Expedition, bei der einer ihrer Sherpas ums Leben kam. Oben auf dem Berg gerät Liam in gefährliche Verwicklungen, die ihn - und auch seinen Vater - in schwere Entscheidungsnöte bringen. Zusammen mit Pavidhan muß Liam eine hochriskante Kletterpartie unternehmen.

Die Schilderung des rauhen Bersteigermilieus - in dem Termindruck, Geldknappheit und Konkurrenzdenken die Hauptsorgen zu sein scheinen - aus der Sicht des unerfahrenen, leicht naiven Liam ist sehr gelungen. Der Leser merkt, daß Somers sein Kindergemüt nicht verloren hat. Aber was soll man anderes von einem Mann erwarten, der selbst zugibt, früher als Lehrer einen Schüler bewundert zu haben, der immer wieder versuchte, durch das Fenster des Klassenzimmers dem staatlich vorgeschriebenen Unterricht zu entkommen.[1] Auch erzählerisch hat Somers viel aus der Arbeit an seinen Kurzgeschichten und Dokumentationen gelernt. Die Handlung bleibt von Anfang bis zum Ende spannend. Die Figuren sind glaubhaft. Die Landschaftsbeschreibungen fallen sprachlich sehr schön aus, werden jedoch genauso wie die Bergsteigerdetails sparsam und gekonnt eingesetzt. Die Geschichte lebt hauptsächlich von den Spannungen unter den Akteuren und der Begegnung eines Jugendlichen mit der ihm fremden Erwachsenenwelt. Obwohl "Buaic" eigentlich für Jugendliche gedacht ist, dürften Leser jeden Alters damit auf ihre Kosten kommen.

31. Oktober 2008

Fußnote:

[1] Diese Anekdote erzählte Somers im Rahmen eines sehr unterhaltsamen Interviews mit dem Dubliner Radiosender Raidió na Life, das von seiner Website als Podcast unter folgender URL heruntergeladen werden kann:
http:\\www.rnl106.com/pod/Línte%20Life%209%20-%Dermot%20Somers.mp3


Dermot Somers
Buaic
Verlag Cois Life (www.coislife.ie), Dublin, 2008
164 Seiten
ISBN: 1-901176-66-5