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REZENSION/143: Markus Heitz - Totenblick (Thriller) (SB)


Markus Heitz


Totenblick



Stephen King meinte kürzlich, Menschen wirklich zu schocken, falle ihm heute wesentlich schwerer als vor zwanzig Jahren. Das liegt mit Sicherheit nicht daran, daß der amerikanische Autor zahlreicher Horrorromane sein Handwerk verlernt hätte, sondern wohl eher daran, daß man heutzutage beinahe alltäglich von Greueltaten hört, die überall auf der Welt verübt werden. Sind wir inzwischen schon so abgestumpft, daß uns beispielsweise Stephen King, ein Meister seines Fachs, der aus einer alltäglichen Situation den Wahnsinn herauskitzeln kann und seinen Charakteren immer eine tiefgehende Psyche verleiht, nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken kann? Und sind die Menschen - wenn man sich den vorliegenden Roman einmal betrachtet - heutzutage unfähig, weitreichender in ein Geschehen einzutauchen, weil sie keine Geduld mehr haben, sich mit den Gedanken einer Person zu befassen?

Markus Heitz' Roman "Totenblick" weckt den Eindruck, der Autor meine, bei der schwer zu toppenden Grausamkeit und Brutalität, die heute zum Alltag gehört, nur noch mit extrem widerwärtigen Szenarien punkten zu können. Dabei läßt er außer Acht, daß es einem guten Schriftsteller immer gelingen sollte, die Gefühle seiner Leser zu erreichen. Wenn ein Roman nur Abscheu weckt und dem Leser keine Chance bietet, in die Psyche der Protagonisten einzutauchen, dann wird er schnell langweilig.

"Totenblick" ist zu drei Vierteln schrecklich langweilig, weil überschaubar. Es läuft immer wieder dasselbe Schema ab: Man lernt verschiedene Leute kennen, die dann überfallen, zusammengeschlagen, mit einem Elektroschocker gelähmt, entführt, kurze Zeit gefangengehalten und dann auf bizarre Weise ermordet werden, nachdem ihnen ein Mittel verabreicht wurde, das ihre Pupillen unnatürlich weitet. Der Tod wird durch Enthaupten herbeigeführt und der Kopf danach mit Klebeband wieder am Hals befestigt. Danach wird die Leiche auf eine Weise drapiert, die ein berühmtes Gemälde nachstellt. Eine Zeitlang verfolgt der Mörder die Strategie, den ersten, der in die aufgerissenen Augen der Toten schaut, durch Mord oder durch einen Unfall ebenfalls zu töten. Der Umstand, daß dies auch dadurch geschehen kann, daß das Opfer in der Dusche ausrutscht, verleiht der Handlung einen mystischen Aspekt, der sich im Laufe des Romans jedoch verliert und letztlich ungeklärt bleibt. Auch zwei weitere mysteriöse Begebenheiten, die das Interesse des Lesers wecken, lösen sich leider buchstäblich in Wohlgefallen auf.

Markus Heitz, der sich mehr der Fantasy verbunden fühlt und bereits etliche Bücher über Zwerge, Alben, Vampire und Werwölfe geschrieben hat, wollte bereits mit seinem letzten Roman "Oneiros" ins Action-Thriller-Genre umschwenken. Im Gegensatz zu "Oneiros", in dessen Handlung er das Phantastische zwar nicht gerade glücklich, aber doch in gewisser Weise interessant eingebaut hat, wollte er solche Komponenten bei "Totenblick" offensichtlich gänzlich vermeiden. Doch wenn man auf diesen 'Sense of Wonder' verzichtet, sollte man zumindest den Protagonisten einen substantiellen Charakter verleihen. Dem ist aber nicht so. Dieser Roman ist nicht lebendig. Seine Protagonisten sind seelenlose Schablonen, die nichts fühlen, kaum über etwas nachdenken, sondern nur agieren.

Da gibt es den Hauptkommissar Peter Rhode, der an ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) leidet und sich keine Namen merken kann, was anfangs vielleicht noch witzig ist, sich aber recht bald totläuft. Warum der Autor seinem Kommissar ausgerechnet diese Verhaltensstörung mit auf den Weg gibt, wird nicht ersichtlich. Sie kann ihm nur bedingt eine persönliche Note verleihen, denn man erfährt nichts über seine Vergangenheit, weder darüber, ob er schon als Kind darunter gelitten hat, noch wie er damit umgeht oder welche Bedeutung sie für seinen Beruf hat. An ADHS leidende Menschen können auf bestimmten Gebieten durchaus brillant sein, wenn es ihnen gelingt, damit klarzukommen. Peter Rhode zeichnet sich jedoch lediglich dadurch aus, daß er den Leuten ständig falsche Namen gibt. Nimmt man zum Vergleich den amerikanischen Krimi-Serienhelden Adrian Monk, der an einer Art von Autismus leidet, die ihn aber gerade dazu befähigt, Tatorte mit einer solchen Akribie zu untersuchen, daß er Dinge erkennt, die keinem anderen Polizisten auffallen, sieht man, wie eine solche Disposition sinnvoll mit einer Romanfigur verknüpft werden kann. Doch Markus Heitz macht sich solche Mühe nicht.

Bei seiner zweiten Hauptperson, Ares Löwenstein, wird dem Leser da schon etwas mehr Einblick in den sozialen Hintergrund gewährt. Er hat als ehemaliger Rocker eine zwielichtige Vergangenheit und nun als Personal Trainer Kontakt zu einigen reichen Leuten. Außerdem tauchen ab und zu seine beiden Töchter aus einer geschiedenen Ehe auf, denen er Kampfunterricht erteilt, und eine Freundin, bei der er zur Zeit nur noch selten landen kann, weil sie eine Doktorarbeit in Physik schreibt. Im Zusammenhang mit Ares Löwenstein, der auch noch Laienschauspieler ist, darf man als Leser dann auch die einzige Szene erleben, die der Autor mit Raffinesse ausgestaltet hat - den Besuch der Motorrad-Gang 'Heaven's Demons' im Theater. Das liest man in Ermangelung weiterer gelungener Szenen auch gern ein zweites Mal. (Seite 158-167)

Neben Hauptkommissar Rhode lernt man dann noch den Kommissar Lackmann kennen, der seinen Dienst nur mit einem Flachmann in der Tasche übersteht, sich aber letztlich dadurch auszeichnet, daß man ihn unterschätzt. Die Charaktere aller anderen Leute werden weitestgehend nur angerissen, da sie schneller ermordet werden, als man sie kennenlernen kann. Nach den ersten paar Leichen, die man noch zu ihren Lebzeiten miterleben durfte, verödet die Handlung. Da nützen die informationsreichen Beschreibungen, wie der Täter die Leichen präpariert, um der Polizei Mitteilungen zukommen zu lassen, auch nichts. Die Opfer des Mörders werden dem Leser schließlich nur noch ohne Vorgeschichte präsentiert, was angesichts der Widerwärtigkeit, wie der Mörder seine Opfer instrumentalisiert, eine Wohltat ist.

Da es keine bemerkenswerten Schicksale gibt, die den Leser anrühren, ist "Totenblick" ein echter Durchhänger, der nur aufgrund seiner bizarren Verbrechen heraussticht, die lediglich der Effekthascherei dienen und im Grunde so abstoßend sind, daß man sich zum Weiterlesen zwingen muß. Etwas mehr nachvollziehbare, persönliche Betroffenheit bei irgendeiner der Figuren hätte den Leser mehr mitgerissen. So sind einem die Mordopfer genauso egal, wie der Mörder selbst, der auf bestialische Weise wehrlose Menschen umbringt, um dem Tod einen ästhetischen Wert abzugewinnen. Seine Beweggründe werden nur angedeutet und finden am Ende des Romans ihre Legitimation im weltweit herrschenden Elend und der Grausamkeit, die Menschen einander antun.

Erst im letzten Viertel des Geschehens, als es für Ares Löwenstein zur persönlichen Sache wird, den Mörder aufzuspüren, nimmt die Handlung Fahrt auf und man liest tatsächlich mit Spannung weiter. Doch letztendlich sucht man vergeblich nach einem Faden, der die Bruchstücke dieses Romans zu einem Ganzen zusammenfügen könnte.

Möglicherweise muß der Autor seine Figuren selbst erst einmal besser kennenlernen, bevor er - und dann vielleicht auch der Leser - mit ihnen eine wirklich mitreißende Story erleben kann.

Markus Heitz
Totenblick
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2013
521 Seiten
€ 9,99
ISBN: 978-3-426-50591-5


1. Oktober 2013