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BUCHBESPRECHUNG/014: Sieferle - Rückblick auf die Natur (Ökologie) (SB)


Rolf Peter Sieferle


Rückblick auf die Natur



Die Erde wird immer mehr zugepflastert, aufgerissen, bebaut, umgepflügt oder abgetragen; ihr Antlitz hat sich zur "totalen Landschaft" gewandelt.

Das ist der Kerngedanke Rolf Peter Sieferles in seinem Buch "Rückblick auf die Natur". Hier herum gruppieren sich die kargen Thesen des Mannheimer Geschichtsprofessors, der in Deutschland maßgeblich an der Etablierung der neuen Wissenschaftsdisziplin Umweltgeschichte beteiligt war. Sieferles Ausführungen sind nicht neu und werden, das muß man leider sagen, auch nicht sehr originell vorgebracht. Am Beispiel einer Braunkohletagebau- Landschaft bei Leipzig schildert der Autor seine Empfindung, nach der er sich wie ein Astronaut auf dem Mond durch eine karge Landschaft bewegt habe und doch die Zeichen menschlichen Lebens nicht übersehen konnte. Abgesehen davon, daß der Vergleich mit dem Mond hinkt, könnte man Sieferles Beschreibung auch in einem Satz zusammenfassen: Die Natur erobert sich die Industrielandschaft zurück.

Was der Mensch einst der Erde entrissen, das geht wieder über in die Natur, aber ohne daß der menschliche Einfluß gänzlich zu verdecken wäre. Sieferle nennt dies das Ende der Natur, und doch installiert er damit erst den Begriff von Natur und hält ihn am Leben. Der Mensch ist bei Sieferle nicht Bestandteil der Natur, sondern ihr Gegenüber.

Die Natur unterliege einem historischen Wandel und bilde heutzutage längst nicht mehr den Gegenpol zum menschlichen Wirken durch Kultur und Zivilisation, schreibt der Autor, der sich darin gefällt, in relativ trockener Sprache von der Verschmelzung der Natur und Kultur im Zeitalter der Industriealisierung zu sprechen und die "totale Landschaft" zu propagieren. Das Totale an der Landschaft ist nach Ansicht des Autors gleichbedeutend mit dem ständigen Transformationsprozeß, der keine langfristig planbaren oder stabilen Zustände mehr hervorbringen könne.

Da Sieferles Thesen eigentlich nur Althergebrachtes wiederholen, was in unzähligen Abhandlungen ökologischen Gedankenguts bereits vor- und durchgekaut wurde - die Natur ist gut, der Mensch dagegen rücksichtslos -, versteigt sich der Geschichtsprofessor auf eine langatmige Erzählung, in der er die mehr als zehntausendjährige Geschichte der Menschheit und der Natur in ihren Wechselwirkungen nachvollzieht und auch hier wieder so konventionelle Thesen vertritt wie, daß die Kultur der Jäger und Sammler noch im Einklang mit der Natur war, sich der Mensch aber mit der Herausbildung stabiler, agrikultureller Gesellschaften bis hin zur industriellen Revolution die Natur untertan gemacht habe.

Für einen Ökologen erstaunlich kurzsichtig, übersieht Sieferle bei seinen Beschreibungen, daß der Mensch von Natur aus mit Zähnen, Klauen und einem Verdauungsapparat ausgestattet ist und er von Anfang an nichts anderes versucht hat, als seine Existenz in einer ebenso räuberischen Umgebung zu sichern. So unterscheidet sich der Mensch keinesfalls von dem, was mit dem Begriff "Natur" umschrieben wird, sondern er erweist sich als bloßes Trägermedium auf Raub und Verbrauch ausgerichteter Kräfte. Selbst die Behauptung, der Mensch sei für den Treibhauseffekt verantwortlich, kann angesichts der kosmischen Dimension einer solchen planetaren Entwicklung nur als maßlose Selbstüberschätzung angesehen werden.

Diese unliebsame Betrachtung der menschlichen Existenz fehlt bei Sieferle völlig. Soviel bequemer ist da die These, daß die menschliche Kultur mit der Forderung nach Naturschutz einen endgültigen Sieg über die Natur errungen habe, daß sich Sammler- und Jägergesellschaften in einem stabilen Gleichgewicht mit der Natur befanden und ihr lediglich das entnommen haben, was die Sonnenenergie ihnen in Form von Pflanzen und Nahrung darbot und sich naturwüchsig regenerierte.

Spätestens hier zeigt sich, daß der Naturbegriff ein rein menschliches Konzept ist, in dem menschlichen Interessen vertreten werden. Denn auch heute regeneriert sich die sogenannte Natur "naturwüchsig", allein die Menschheit hat insgesamt nicht genügend zu essen. Aber auch das ist ein "natürlicher" Vorgang, wie ein Umwelthistoriker eigentlich bedenken müßte. Es gibt genügend Szenarien von ökologischen Desastern, in denen sich ganze Arten überlebt haben, entweder indem sie sich ihrer eigenen Nahrungsgrundlage beraubten oder aber indem sie von einem überlegenen Freßfeind vernichtet wurden. All das ist bekannt, aber hat offensichtlich noch nicht Eingang in das naturwissenschaftliche Weltmodell Rolf Peter Sieferles gefunden.

Statt dessen bilanziert er energetische Systeme und läßt sich darüber aus, daß bäuerliche Gesellschaften dereinst durch Rodung und Kultivierung gezielt in den Energiefluß eingegriffen hätten, ohne ihn jedoch aus der Balance zu bringen. Mit dem steten Verbrauch fossiler Brennstoffe seien über Jahrtausende angesparte Energiereserven freigesetzt worden, die zwar eine Industrialisierung ermöglichten, aber zugleich das energetische Gleichgewicht nachhaltig zerstörten, führt der Autor weiter aus.

Sieferle idealisiert ein energetisches Gleichgewicht, ohne jedoch näher darauf einzugehen, was genau er damit meint, an welcher Stelle sich Energien die Waage halten. Würde er das, dann müßte er anfangen, seine eigenen Denkvoraussetzungen zu hinterfragen, denn dann würde deutlich werden, daß er mit dem Energiebegriff längst schon den Nutzen und damit Verbrauch installiert hat, also in Wirklichkeit Exergie, die für den Menschen nutzbare Energie, meint.

Davon will Sieferle nichts wissen. Im Gegenteil, er erhebt gerade den Anspruch systemischen, seiner Meinung nach nicht bewertenden Denkens. Daß er mit diese Behauptung schon bewertet, wird geflissentlich übersehen. Damit steht er nicht allein; Wissenschaft an sich erhebt den Anspruch auf wertfreie Beurteilungen und beweist damit nur immer wieder, daß sie sehr wohl Werte - ein anderes Wort für Interessen - durchzusetzen versteht.

Je mehr man sich dem Ende des Buchs "Rückblick auf die Natur" nähert, desto deutlicher wird Sieferles Versuch, keine der heute kontroversen Themen aus dem Bereich der Ökologie anzusprechen. Er hält sich bedeckt und verkauft dies als wissenschaftliche Neutralität. Doch wie sehr ein solcher Beobachter am Geschehen beteiligt ist, zeigt seine abgehobene Stellungnahme zu aktuellen Entwicklungen, die er als "merkwürdiges Schauspiel" bezeichnet. Ganz der Theatergänger, der von der Empore aus das Geschehen auf der Bühne verfolgt und sich über die Grausamkeiten beklagt, die ihm dort präsentiert werden, konstatiert Sieferle den energetischen Verbrauch, anstatt sich - konsequent ökoideologisch - selbst zu entleiben, um anderen Wesen als Nahrungsgrundlage zu dienen.

Aber um nicht in solche Verlegenheit zu geraten, ist man eben lieber Theoretiker und - noch besser - Historiker, der bei aktuellen Fragen beruhigend erklärt, daß sie nicht mehr zu seinem Fachgebiet zählen und andere dafür zuständig sind.

Rolf Peter Sieferle
Rückblick auf die Natur
Luchterhand Verlag
246 Seiten, 38,- DM