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REZENSION/037: Tom Sexauer u.a. - Traben '95 (Pferdesport) (SB)


Tom Sexauer


Traben '95

Ein unscheinbares Stück Trabrenn-Geschichte



Es ist naheliegend, daß die Geschichte der heutigen Trabrennen, die auf einen göttlichen Ursprung, aber gleichsam auch auf eine blutrünstige Vergangenheit zurückblicken kann, von den Geschichtsschreibern der Neuzeit sorgfältig dokumentiert wird, denn über die ersten 2000 bis 3000 Jahre - über ihre wichtigsten Rennen, Pferde und Fahrer - lassen sich heute kaum noch sporadische Aufzeichnungen finden, obgleich schon der Grieche Xenophon um das Jahr 369 v. Chr. eine Abhandlung über die Reitkunst und Pferdezucht schrieb, die heute noch als eine der wertvollsten und wichtigsten Grundlagen für den Pferdesport gilt.

Schon 1800 v. Chr. begann man in Mesopotamien damit, Pferde für leichte Transporte einzusetzen. Ein Wagen wurde gebaut, der praktisch nur aus zwei hohen Rädern und einer Plattform bestand, die gerade so groß war, daß ein Mensch darauf stehen konnte. Speichenräder ersetzten die massiven Holzscheiben, die man zuvor für einfache Handwagen verwendet hatte. Sie waren leichter, aber deshalb nicht weniger stabil, und wurden so an der Achse befestigt, daß sie sich unabhängig voneinander drehen konnten. Fertig war der Streitwagen, der erste Vorläufer des heutigen Sulkys. Nicht lange danach wurden schon die ersten Pferderennen abgehalten.

Die alten Griechen ehrten ihre Götter und Helden durch sportliche Wettkämpfe. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sie als große Pferdefreunde bei der 25. Olympiade auch ein Wagenrennen mit Vierergespannen über acht Runden einführten, welches der Sage nach auf König Oinomaos zurückgehen soll. Dieser wollte seine Tochter nur jenem Mann zur Frau geben, der ihn im Rennen mit Streitwagen besiegte. Nur Pelops konnte den kühnen Fahrer bezwingen, allerdings stand ihm ein Gespann vier geflügelter Pferde zur Seite. Der Legende nach war dies der Anfang aller Wagenrennen.

Später übernahmen die Römer die Tradition der Pferderennen, und mit zunehmender Bedeutung und Beliebtheit steigerte sich auch die Aggressivität und Gefährlichkeit, mit der die Rennen durchgeführt wurden. Römische Wagenrennen waren für ihre nadelscharfen Wendepunkte, an denen es häufig zu tödlichen Zusammenstößen kam, berüchtigt - was allerdings das 150.000köpfige Publikum nicht davon abhalten konnte, die Rennen zu verfolgen und auf den siegreichen Fahrer, meist Sklaven oder Kriegsgefangene, samt seinem Gespann zu wetten.

Das heutige Trabrennen steht in dieser Tradition römischer Streitwagenrennen, denn als die römische Herrschaft knapp 500 nach Chr. endete, hatten Wagen- und Pferderennen in den römischen Arenen des gesamten europäischen Kontinents Einzug gehalten. Man kann sie demnach zum Nachlaß dieser ebenso prunkvollen wie gewaltätigen und gefährlichen Zeit rechnen.


Ein Dokument heutiger Sportberichterstattung, die wichtigsten Rennen aus nur einem Jahr Trabrenngeschichte, liegt mir als aktuelles Nachschlagewerk zusammengefaßt und gebunden vor, das Buch "Traben '95". Nichts erinnert hierin noch an alte römische Traditionen, wenn man die Geschichte des Altertums nicht selbst studiert hat und seine eigenen Schlüsse und Parallelen zieht. Schwungvoll bis flapsig und dennoch präzise im Stil moderner Rundfunk-Rennberichte, werden die Highlights des Jahres 1995, vornehmlich der deutschen Szene, Kapitel für Kapitel abgehandelt und in Wort und Bild sowie in Form eingängiger Tabellen festgehalten. Der Leser kann auf ein turbulentes Traberjahr zurückblicken und in aller Ruhe noch einmal genießen: den sensationellen 1:11,0 Bahnrekord von Guvo de Bloomerd in Gelsenkirchen; die Gründung des "World-Cup trot" sowie der erstmals durchgeführte "Fünfjährigen-Zirkel". Alles drei Ereignisse, die dem heimischen Sport neue Impulse setzten. Und schließlich das Zittern und Bangen um jedes einzelne siegreiche Gespann, an das sich besonders derjenige erinnern wird, der sich regelmäßig am Wettgeschehen beteiligte.

Viele Fotoszenen, allerdings nur in schwarz-weiß Druck, erleichtern dem Leser diese Erinnerung, und die Rubriken "Im Eilschritt durchs Finale '94" sowie die jährlich wiederkehrende "Sprüche und Zitate"-Sammlung bieten neben den zahlreichen Rennberichten eine kleine Abwechslung.

Mehr als das darf man allerdings nicht von diesem aktuellen Nachschlagewerk erwarten, das zu diesem Zwecke im übrigen noch ein äußerst sinnvolles Register enthält, in dem die hierin aufgezeichneten Ereignisse nach Austragungsort und mit dem traditionellen Renn-Namen aufgelistet sind.

Wer sich, wie ich oben angedeutet habe, für die dahinterstehende moderne Geschichte interessiert oder mehr über den heutigen Stand des Trabrennsports in der Gesellschaft erfahren möchte, ist mit diesem Buch schlecht beraten, das sich durch seine äußerliche Form und Aufmachung, beispielsweise die vielen schwarz-weiß- Bilder und Abstammungstabellen zu jedem Sieger, einen äußerst sachlichen und beinahe wissenschaftlichen Anstrich verleiht. Auch über die Probleme, die die deutlich abgebremste Entwicklung am Totalisator für die verschiedenen Rennvereine mit sich bringen, oder über den harten Konkurrenzkampf um Werbeverträge und Sponsoren erfährt der Leser nichts - Themen, die einem den Rennalltag näherbringen würden, ohne den Glanz und Glamour dieses edlen Sports verblassen zu lassen.

Hinter einem Rennjahr steckt jedoch viel mehr als strahlende Sieger, erfolgreichste Besitzer und schnellste Traber, nämlich die andere Seite der Medaille, von der "Traben '95" offensichtlich nichts wissen will. Vielleicht deshalb, weil es den Autoren selbst, die sich in dieser Szene tagtäglich bewegen, so vertraut ist, daß sie es als selbstverständlich voraussetzen. Zumindest der Neuling, der sich in der deutschen Traberszene noch nicht zu Hause fühlt, würde jedoch gerne mehr darüber erfahren: Fragen über Zucht und Training, wie ein Pferd aufgebaut und trainiert wird oder wie ein Trabertalent überhaupt erkannt wird. Aber auch vielleicht scheinbar selbstverständliche Dinge wie der Unterschied zwischen Bänderstart und Autostart, die manchmal recht undurchsichtigen Regeln der Startreihenfolge, die Handhabung der Wetteinrichtungen, Chancen und Wettgewinne würden ein Nachschlagewerk über den Trabsport 1995 oder vielleicht das kommende Werk "Traben '96" durchaus bereichern. Auch ein Index mit Worterklärungen wäre begrüßenswert, denn einem blutigen Anfänger ist die Insidersprache des Trabsportreporterdeutsch ein Buch mit sieben Siegeln.

Kritik am Trabsport ist heutzutage kein Tabu mehr, zumal was die Vermarktung und die Ausbeutung der beteiligten Tiere betrifft. Die Glorifizierung dieses Sports bzw. den ausschließlich auf Erfolg und Gewinn gerichteten Blickwinkel des Buches könnte man daher als eindeutige Stellungnahme dazu betrachten. Der Sportkamerad Pferd spielt hier offensichtlich die gleiche untergeordnete und leistungsbezogene Rolle wie ein durchgestyltes Tennisracket oder ein hochfrisierter Rennwagen. Doch dies sei nur am Rande bemerkt. Wer an diesen Fragen interessiert ist, benötigt eigentlich auch kein Buch, das Rennergebnisse präsentiert.

Ein echter Trabsportbegeisterter aber und jeder, der seit Jahren direkt damit zu tun hat - sei es als Aktiver, als Pferdebesitzer oder Züchter oder auch nur als Wetter vor dem heimischen Fernseher - wird an diesem Buch uneingeschränkt seine helle Freude haben, zumal er dadurch auch an den Rennen teilhaben kann, die er während der Saison versäumen mußte. Ein umfangreiches Kapitel läßt mit einem "Blick über die Grenzen" auch die internationalen Toprennen aus den bedeutenden Traberländern Revue passieren: Von Ina Scots "Prix d' Americque" über die Fahrer- Europameisterschaft in Wien, die Sprint-Entscheidungen von Neapel und Solvalla, die "Hambo" und "International"-Ereignisse in den Staaten sowie die Championate der Drei- und Fünfjährigen in Eghien bzw. Oslo bis zum "Grand Circuit International".

Dieses Buch sieht man am besten im Zusammenhang mit seinen alljährlich aktuellen Neuauflagen, die es zu einem echten Sammlerstück werden lassen. Wer die Jahresrückblicke seit der ersten Auflage sammelt, kann tatsächlich voller Stolz auf zumindest den Wettkampf-Teil der gesamten deutschen Trabsportgeschichte zurückgreifen und -blicken.


Traben '95
Eine "HEAT"-Produktion des GR-Turfsport-Service GmbH, Gelsenkirchen
Autoren: Hermann Berger, Klaus-Dieter Dötsch, Hermann Gallhoff,
Volker Hohn, Christian Kahlert, Michael Lange, Rudolf Lechner,
Wolfgang Müller, Gerhard Reichebner, Eberhard Röckl, Andrea Sexauer,
Tom Sexauer (verantwortlicher Redakteur), Stefan Spiess
287 Seiten, DM 64,90