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REZENSION/103: R. Rost (Hg.) - Lehrbuch der Sportmedizin (SB)


R. Rost (Hg.)


Lehrbuch der Sportmedizin



Schwarze sind eindeutig die besseren Sprinter und Schnelligkeit hat keine besondere Bedeutung für die Gesundheit, lauten zwei der vielen zu bestreitenden Thesen, die in dem vorliegenden "Lehrbuch der Sportmedizin" behauptet werden. Das 685 Seiten umfassende Werk soll laut Herausgeber im deutschen Sprachbereich eine Lücke schließen. Es existiere bislang kein umfassendes Lehrbuch der Sportmedizin, das den Sportstudierenden als Basis-Lehrbuch empfohlen werden könne, schrieb der inzwischen verstorbene Prof. Dr. med. Richard Rost in seinem Vorwort. Die bisher vorliegenden Lehrbücher seien fast ausschließlich aus der Sicht der jeweiligen Fachrichtung erstellt worden, aber dem Sportstudierenden sei es nicht zuzumuten, sich mit den einzelnen Lehrbüchern der jeweiligen sportmedizinischen Richtung zu versorgen.

Damit hat der Herausgeber die Zielgruppe des Buchs bereits recht genau eingegrenzt. Es richtet sich erklärtermaßen an Studierende deutschsprachiger Hochschulen und alle anderen sportwissenschaftlichen Einrichtungen sowie Berufsgruppen, die mit Sport oder Sportmedizin assoziiert sind. Der Leser dürfte nach diese Vorgabe also erwarten, daß er mit den Grundlagen sportmedizinischer Fragestellungen, Inhalte und Methoden vertraut gemacht wird und daß er, am besten in didaktisch sinnfälliger Aufbereitung, den Ein- und Überblick über die gesamte Sportmedizin erhält, wie sie ihm auch später im Beruf begegnen könnte.

Leider erfüllt das Buch seinen eigenen Anspruch nicht; es füllt keine Lücke, sondern ist voller Lücken. Der Versuch, nahezu die gesamte Medizin in einem Lehrbuch abzuhandeln, ist mißlungen und dürfte auch ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen gewesen sein. Dabei herausgekommen ist schließlich eine im wesentlichen unverknüpfte Aneinanderreihung von medizinischen Teilgebieten, die extrem unterschiedlich gewichtet werden. Warum einige Gebiete geradezu stiefmütterlich, andere hingegen in ihrer ganzen Breite behandelt wurden, bleibt dem Leser verborgen; er kann nur vermuten, daß diese Gewichtung tatsächlich für die Sportmedizin relevant ist. Anscheinend geht dies eher das Engagement der jeweiligen Autorinnen oder Autoren zurück als auf eine beabsichtigte didaktischen Führung des Leser durch den Stoff. Eine herausgeberische Leistung ist nicht zu erkennen.

Beispielsweise wird der für angehende Sportwissenschaftler oder Trainer so wichtige Bereich der Trainingslehre auf nicht einmal zwanzig Seiten abgehandelt. Das ist entschieden zu wenig, schließlich will der Sportstudierende, an den sich das Buch sehr gezielt richtet, wissen, welchen medizinischen Hintergrund es zu den verschiedenen Sportarten und Trainingsformen gibt. Da der Studierende vermutlich in mindestens eine Sportart tiefer eingedrungen ist, wird er in einem sportmedizinischen Lehrbuch nach einer Kopplung zwischen Wettkampf, Training und dem wissenschaftlichen Hintergrund suchen. Wozu arbeitet ein Gewichtheber mit Hanteln, und warum darf er allgemeines Konditionstraining nicht vernachlässigen? Warum betreiben Ballsportler auch Krafttraining, obgleich für sie Gewandtheit, Ausdauer und Schnelligkeit im Vordergrund stehen? Für diese und viele weitere Fragen gibt es in der Sportwissenschaft bestimmte Modelle, die hier jedoch entweder nur versteckt abgehandelt werden, so daß ein unkundiger Leser sie kaum einzuordnen versteht, oder aber sie werden nicht einmal erwähnt.

Was der Herausgeber als Stärke des Buchs angepriesen hat, nämlich eine erstmals umfassende Behandlung der Sportmedizin, ist in Wirklichkeit dessen Schwäche: die einzelnen Autoren haben sich ihrem Thema aus der Sicht der Medizin, nicht jedoch aus der des Sportlers genähert. Zwar macht der Deutsche Ärzte Verlag daraus bereits auf dem Einband mit der Ankündigung, daß das Buch "das komplette medizinische Basiswissen" vermittelt, "das jeder Sportstudierende für die Ausbildung und im späteren Berufsalltag benötigt", keinen Hehl, aber unerwähnt bleibt, daß hiermit ein Schwerpunkt gesetzt wird, hinter dem sportspezifische Fragen sehr weit in den Hintergrund getreten sind. Bezeichnend dafür ist die Abwicklung des Themas Gewichtheben unter Kapitel 10.2.2.1 in folgenden sechseinhalb Zeilen einer Halbseite:

Gegen die Erdanziehungskraft wird ein möglichst hohes Gewicht in die Höhe gebracht. Der gesundheitliche Wert ist umstritten. Aufgrund des Valsalva-Manövers kann es zum orthostatischen Kollaps kommen. Für Patienten ist das klassische Gewichtheben i.d.R. ungeeignet. (S. 669)

Dem Leser sei versichert, daß andere Sportarten unter der immerhin als Oberkapitel ausgewiesenen Überschrift "Sport und Gesundheit" kaum umfangreicher abgehandelt werden. Über das Stichwortverzeichnis wird zwar auf weitere Erklärungen verwiesen, zum Beispiel was mit jenem Valsalva-Manöver gemeint ist, aber der Nutzen solch einer dürftigen Abhandlung von Sportarten mit jeweils nur einer knappen Einschätzung des Gesundheitsaspekts, ist gering. Damit bewegt sich Rost unterhalb des Niveaus, mit dem ein Mensch sein Sportstudium beginnt.

An anderen Stellen hingegen führt das Buch den Leser so unvermittelt in eine Thematik ein, daß dieser sich vor den Kopf gestoßen fühlen muß. Das mag folgendes Zitat gleich zu Beginn des Buchs aus dem ersten Oberkapitel zu den "Biologischen Grundlagen" verdeutlichen, die sich mit dem Energiebegriff befassen. Nach einer halben Seite allgemeiner Einführung wie, daß Leben ohne Energie nicht möglich sei und Nahrung im Körper in Energie und Wärme umgesetzt werde, schreiben die Autoren unter dem Stichwort Energiebereitstellung/ATP-Resynthese:

Muskelkontraktion ist die Folge eines komplexen Zusammenspiels von Gehirn, Nerven und den in der Peripherie beteiligten Strukturen (s. Kap. 2.4.1). Für diese Prozesse, speziell für die Muskelkontraktion, ist Energie nötig. Auch der Rücktransport von Ca²+-Ionen in das transversale Tubulussystem ist ein sog. aktiver Prozeß und benötigt somit Energie. (S. 26)

Da das Buch den Anspruch erhebt, Sportstudierenden Basiswissen zu verschaffen, ist es unpassend, sie gleich auf der ersten Seite mit einem Ca²+-Ionen-Rücktransport ins transversale Tubulussystem zu konfrontieren, ohne zuvor auf die anatomischen und physiologischen Voraussetzungen eingegangen zu sein. Gewiß, kein Studierender sollte sich von Fachbegriffen einschüchtern lassen, aber ebensowenig sollten Fachleute die Vermittlung von Basiswissen versprechen, wenn sie anscheinend nicht in der Lage sind, dieses auch nachvollziehbar zu gestalten.

Der entschlossene Studienanfänger wird also, wie er es in der Schule gelernt hat, im Stichwortregister nachschauen, was es denn mit dem transversalen Tubulussystem auf sich hat. Leider bleibt seine Frage unbeantwortet, der Begriff wird nicht eigens aufgeführt. Ein etwas umfangreicheres Stichwortregister wäre durchaus hilfreich gewesen. Ist der Begriff 'transversales Tubulussystem' so unbedeutend, daß er nicht in ein Stichwortregister gehört? Keineswegs, wie in anderen Lehrbüchern zur Sportmedizin und ihren Vorstellungen hinsichtlich Muskelaufbau und -kontraktion nachzulesen ist. Das erfährt der Leser jedoch nicht. Erst wenn er gut 150 Seiten weitergelesen und seine anfängliche Frage unterdessen nicht vergessen hat, wird sie ihm zwar nicht beantwortet, aber er findet zumindest heraus, daß es sich offensichtlich in anderen Büchern zu diesem Komplex schlau machen muß. Erst in der Abbildung 2-7 erscheint wundersamerweise jenes ominöse Ca²+; es spielt eine wichtige Rolle bei der Bindung verschiedener Moleküle in der Muskelzelle. Womit noch immer nicht der Rücktransport von Ca²+ erklärt wird, dem der Leser gleich zu Beginn begegnet.

Wer jetzt nochmals einige Seiten weiterblättert, wird mit einer elektronenmikroskopischen Darstellung von Teilen einer Skelettmuskelfaser belohnt (S. 184). Und siehe da, in der entsprechenden Erklärung wird der Begriff 'T-Tubuli' verwendet - die einzige Spur im gesamten Buch, die den gleich auf der ersten Seite verwendeten Begriff aufgreift.

Mit diesem hier etwas ausführlicher geschilderten Beispiel soll verdeutlicht werden, daß das Buch weder Fisch noch Fleisch ist. Wer sich in der Sportmedizin bis dahin nicht auskennt, macht mit diesem Lehrbuch keinen guten Griff, denn es läßt den Leser nicht nur an dieser Stelle hängen. Wer sich aber schon mit dem Thema befaßt hat, braucht kein "Lehrbuch zur Sportmedizin". Jedenfalls nicht dieses, das den in anderen Lehrbüchern ausführlicher behandelten Stoff sehr viel schlechter, das heißt unverständlicher und keiner plausiblen Systematik unterworfen, zusammenfaßt. Warum den Leser gleich zu Beginn in die komplizierten Zusammenhänge der Energiebereitstellung und des Zitronensäurezyklus werfen, wenn noch nicht einmal die anatomischen und physiologischen Grundvoraussetzungen vermittelt wurden?

Durch den immer wieder anzutreffenden Anreiß-Charakter des "Lehrbuchs der Sportmedizin" dürfte das unter Medizinern verbreitete Vorurteil bestätigt werden, daß Sportmediziner eigentlich von allem gar nichts verstehen, da sie überall nur hineinschnuppern. Der Herausgeber bemüht sich eingangs, die Sportmedizin wohlwollend als "ein aus horizontaler, aber auch vertikaler Sicht definiertes Querschnittsfach" (S. 23) darzustellen, was dem bekannten Anliegen der Sportmedizin entsprungen sein dürfte, sich im Reigen der medizinischen Fachrichtungen als eigenständiges Forschungsfeld zu etablieren. Doch gerade weil jedes der abgehandelten medizinischen Teilgebiete immer nur kurz angerissen wird, hat Rost der Sportmedizin mit diesem Buch einen Bärendienst erwiesen.

Das wird auch an dem hochmodernen Thema der Genetik deutlich, die der Herausgeber selber auf knapp drei Seiten darzustellen versucht. Rost referiert hier über das, was seiner Meinung nach für einen Sportstudenten wissenswert sein soll: der Talentbegriff. Sichtlich bemüht, Talent zu definieren, beschreibt er, daß es sich aus verschiedenen körperlichen und psychischen Faktoren zusammensetzt. Selbst ein Hinweis auf die genetische Mitwirkung am Talent fehlt nicht, doch dürfte es dem Leser schwerfallen, Rosts Argument für eine genetische Disposition, nämlich daß Sportler häufig aus Sportlerfamilien stammen, nachzuvollziehen, da hier soziale Gründe sehr viel naheliegender scheinen.

Auch wenn Rost in seinem Text einräumt, daß "angesichts der bisherigen Unklarheit über die talentbestimmenden Faktoren (...) auch aus Sicht des Leistungssport das sportliche Angebot an Kinder und Jugendliche möglichst vielfältig" sein sollte (S. 47), kehrt er dennoch auf die bloße Annahme einer genetischen Determination des Talents zurück:

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß beispielsweise Schwarze besonders günstige genetischen Voraussetzungen für die Lauf-, speziell Sprintwettbewerbe, zusätzlich aber auch die Mittel- und Langstreckenläufe mitbringen. (S. 47)

Wer die aktuelle Sprinterszene auf den Kurz-, Mittel- und Langstrecken betrachtet, mag zu solch einer Schlußfolgerung kommen. Doch beweisen immer wieder Athleten, die diese unterstellte Domäne der dunkelhäutigen Läufer durchbrechen, daß man auf solch eine gegenwartsbezogene Erfahrung noch keine wissenschaftliche Theorie stützen darf. So lief zum Beispiel der deutsche Armin Harry schon vor 40 Jahren auf der Aschenbahn die 100 Meter in 10,0 Sekunden. Sicherlich kann über seine mögliche Bestzeit auf den heutigen superschnellen Tartanbahnen nur spekuliert werden, doch weit entfernt von den gegenwärtigen Höchstleistungen dürfte er nicht liegen.

Überhaupt bewegt sich Rost mit der Unterstellung einer genetischen Determination der Laufstärke von Schwarzen auf sehr dünnem Eis. Denn es hat sich gezeigt, daß die genetische Differenzierung innerhalb einer ethnisch einheitlichen Bevölkerung größer ist als der Unterschied zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Übrigens haben diese Untersuchungsergebnisse den Spekulationen über ethnisch wirksame Biowaffen den Boden entzogen. Doch offenbar verbreitet Rost mit seiner "Schwarzen- Theorie" noch eine veraltete, von der Genetik längst widerlegte Vorstellung.

Zu guter Letzt sollte nicht unerwähnt bleiben, daß das "Lehrbuch der Sportmedizin" von Autorinnen und Autoren der Sporthochschule Köln geschrieben wurde, also von der deutschen Spitzeninstitution im Bereich der universitären Sportler- und Trainerausbildung, der Leistungselite. Hier sollte die Crème de la crème des Fachgebiets versammelt sein. Doch das abgelieferte Produkt spiegelt dies nicht wider - zumindest nicht in didaktischer Hinsicht. Von einigen formalen Schwächen wie der Verwendung ein und desselben Röntgenbilds an zwei Stellen (S. 171 und 317) oder der Wiederholung der Zusammensetzung einer ausgewogenen Ernährung in den durch einen gelben Hintergrund hervorgehobenen Merksätzen (S. 84 und 85) einmal abgesehen. Wohingegen die Autorinnen und Autoren den Nimbus der Sporthochschule Köln sehr wohl durchblicken lassen. Der Leistungsgedanke, die Bemessung der menschlichen Tätigkeit im teils berufssportlichen Wettkampf, wird sich geradezu mit Hingabe gewidmet. Insofern trifft der Buchtitel "Lehrbuch der Sportmedizin" sehr genau, hat sich doch die Sportmedizin seit jeher um immer subtilere physiologische Parameter bemüht, wie die hochaktuelle Doping-Debatte zeigt.

Der Sportstudierende wird allerdings nicht daran vorbeikommen, sich mit der entsprechenden Fachliteratur sowohl aus der Medizin als auch der Sportwissenschaft einzudecken, sollte er sich für eines der hier unzulänglich präsentierten Themen interessieren. Zusammenfassend muß man sagen, daß das "Lehrbuch der Sportmedizin" für seine 128,- DM eine überaus kostspielige Anschaffung ist, wo der Käufer doch nicht mehr als eine in Buchform gebundene Sammlung von Einzelreferaten erwirbt, aus der er bestenfalls erkennen kann, was er während seines Sportstudiums alles zu lernen hat. In dem vorliegenden Buch indes wird er es nicht finden.


R. Rost (Hg.)
Lehrbuch der Sportmedizin
Deutscher Ärzte Verlag Köln, 2001
685 Seiten, 224 vierfarbige Abbildungen
35 Tabellen, DM 128,-
ISBN 3-7691-7073-3