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REZENSION/205: Theo Dingermann - Gentechnik Biotechnik (Medizin) (SB)


Theo Dingermann


Gentechnik Biotechnik

Lehrbuch und Kompendium für Studium und Praxis



Das neue Lehrbuch von Theodor Dingermann und Ilse Zündorf ist nicht nur in Größe und Gewicht ein imposantes Schriftwerk. Schon der Titel - "Gentechnik Biotechnik" ist für viele Menschen, selbst für Experten aus angrenzenden Fachgebieten immer noch ein furchteinflößendes und angstbesetztes Thema. Das kann auch die von den Autoren vorgetragene Auffassung, Gentechnik und Biotechnik seien Teil eines "normalen Lebens" geworden und zumindest gentechnische oder biotechnische pharmazeutische Produkte stießen auf eine breite öffentliche Akzeptanz, nicht glattreden. Selbst der gelungene Kunstgriff, Kritik und aufgeheizte Diskussionen als Bestandteil des "normalen Lebens" zu betrachten, täuscht nicht darüber hinweg, daß damit nur der Hoffnung Rechnung getragen wird, die aufschäumende Gischt dieser Wogen würde sich mit der Zeit und der Gewohnheit allmählich legen.

Die Begriffe sind wohl jedem bekannt. Gleichwohl gibt es selbst unter Fachleuten bei Nachfrage Informationsdefizite und Zuordnungsunsicherheiten, die letztlich zur allgemeinen Verunsicherung oder Angst beitragen. Diese zu schließen hat sich das Buch zur Aufgabe gemacht. Es versteht sich daher auch als Lehrbuch und Kompendium gleichermaßen, soll Studenten und Praktiker aus den Bereichen Medizin, Pharmazie aber auch Biologen, Chemiker und Biochemiker ansprechen und unausgesprochen mit sachlicher Information und klarer Darstellung Werbung in eigener Sache machen.

Im ersten Teil werden die methodischen Grundlagen der Gentechnik vermittelt. Der zweite Teil befaßt sich ausführlich mit Basisverfahren und Beispielen aus der Biotechnik. Ein zentraler Teil behandelt - wie Pharmazeuten dies aus den Monographien von Arzneibüchern kennen - die derzeit in Deutschland zugelassenen gentechnisch hergestellten Arzneimittel und erklärt die unterschiedlichen Konzepte zur Herstellung der Wirkstoffe, die in diesen Arzneimitteln enthalten sind. Im letzten Teil werden Methoden zur Entwicklung neuer "klassischer" Wirkstoffe und diagnostischer Verfahren auf der Basis der Gentechnik erklärt.

Um einen möglichst großen Leserkreis zu erreichen, wurden auf sehr gelungene Weise Zugeständnisse an die Aufbereitung (z.B. die große, gut lesbare Schrift, ein ausführliches Stichwortverzeichnis und ein farblich abgesetztes Register erleichtern die Handhabung beim Nachschlagen spezieller Fragen, erläuternde Graphiken auf jeder Seite) und vor allem an die wissenschaftliche Sprache gemacht, die zugunsten der Verständlichkeit bewußt auf überflüssiges Fachlatein und Anglizismen verzichtet. Darüber hinaus soll der Leser durch einen "persönlichen Stil" bzw. "Seminarstil" direkt angesprochen werden, in dem Fragen formuliert, Probleme aufgezeigt und Lösungswege Schritt für Schritt an konkreten Beispielen erläutert werden. Selbst in den farblich hellblau abgesetzten Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels wird vorausschauend auf Bedürfnisse des Lesers eingegangen, in dem das Thema nicht nur auf das Wesentliche heruntergebrochen, sondern teilweise sogar mit weiteren noch einfacheren Beispielen erläutert wird.

Dazu werden in rosé hinterlegten Kästen einzelne Methoden aus der praktischen Anwendung der Gentechnik genau beschrieben, z.B. was man immer schon über die Polymerasekettenreaktion, der Grundlage des DNA-Fingerprintings, wissen wollte.

Das macht das Buch für den wissenschaftlich und am Thema Interessierten nicht nur lesenswert und fesselnd, sondern verlockt sogar zum Stöbern oder Schmökern über die Aufklärung der eigenen Fragestellung hinaus.

Allerdings sind die Antworten für einen kritischen Leser auch hier nicht immer befriedigend. Nehmen wir ein sehr einfaches Beispiel:

Wenn ich, was mir bis dahin nicht bewußt war, erfahre, daß ich mit dem Pizzateig, den ich in der Küche ansetze (oder fertig aus der Dose hole) oder mit dem Holunderbeerwein, den ich nach Großmutters Rezept im Keller gäre, im Grunde schon ein biotechnisches Verfahren einleite, dann soll ich mich wohl mit dem Gedanken, daß Biotechnologie eine seit Jahrhunderten praktizierte Sache ist, die ich kenne und von der keine Gefahr ausgeht, beruhigt zurücklehnen. Andererseits weiß ich aber auch gerade aus eigener Erfahrung, wie schnell ein Teig durch unvorhergesehene äußere Einflüsse plötzlich entartet und wie zufällig das Ergebnis gerade solcher Routinerezepturen ist.

Sicher ungewollt wird dieses Buch gerade durch die übersichtliche und klare Darstellung, in der auch die Unsicherheiten der Methodik und ihre zum Teil sehr willkürliche und zufällige Natur offengelegt werden, ein Werkzeug für potentielle Kritiker, die durch detaillierte praktische Vorstellungen im Kreuzfeuer sachlicher und fundierter Argumente viel besser bestehen und ihre Ansichten glaubhafter vertreten können.

Bezeichnend für die Risiken dieser Verfahren, die auch die Autoren weder verschleiern wollen noch können, ist auch das Gentechnikgesetz, das im letzten Kapitel des Buches unter dem Titel "Sicherheitsaspekte" erläutert wird.

Neben der Benennung einer Vielzahl von Sicherheits- und Überwachungskonzepten sind die "Haftungsregelungen" hier ebenfalls ein zentraler Aspekt, d.h. jeder Betreiber einer biotechnischen oder gentechnischen Anlage ist verpflichtet, z.B. durch eine entsprechende Haftpflichtversicherung über mindestens 160.000.000 DM entsprechende Vorsorge zu treffen, falls

durch einen gentechnisch erzeugten Organismus jemand getötet, seine Gesundheit oder eine Sache geschädigt, [wird.]... (Kap. 9.1.7. Haftungsregelungen, S. 593)

Gefahren und Risiken, die von der Gentechnik, die sich immer weiter im alltäglichen Leben ausbreitet, ausgehen, lassen sich nicht leugnen, wenn man bedenkt, daß jedes Einbringen von beweglicher Fremd-DNA in andere Organismen Voraussetzungen mit sich bringt, die auch für eine weitere unkontrollierte Verbreitung unabdingbar sind. Daneben darf man bei einer angemessenen Einschätzung der Lage auch nicht außer Acht lassen, daß der Mensch voraussichtlich schon bald in vielen Bereichen des Lebens ohne Gentechnik nicht mehr auskommen wird, und damit meine ich nicht nur den pharmazeutischen Bereich, in dem schon jetzt viele Menschen von gentechnisch hergestellten Wirkstoffen (allen voran das Insulin) abhängig sind. Allein die Entwicklung der Welternährungslage spricht für sich. Und hier könnten die Autoren tatsächlich Recht behalten, wenn sie in ihrem Vorwort behaupten, der Verzicht auf gentechnische Möglichkeiten beinhalte ein mindestens ebenso großes ethisches Risiko wie ihre Nutzung.


Gentechnik - Biotechnik
Lehrbuch und Kompendium für Studium und Praxis
Prof. Dr. Theodor Dingerman
Unter Mitarbeit von Dr. Ilse Zündorf
beide Frankfurt am Main 1999
XVI, 632 Seiten, 505 Abbildungen
53 Tabellen, Format 19,3 x 27 cm
Gebunden, DM/sFr. 168,-
ISBN 3-8047-1597-4