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REZENSION/212: Peter Dale Scott - Die Drogen, das Öl und der Krieg (SB)


Peter Dale Scott


Die Drogen, das Öl und der Krieg

Zur Tiefenpolitik der USA



Auf der ganzen Welt steht dieser Tage die Politik im Bann des Wahlkampfs in den USA. Auf dem diplomatischen Parkett, in den Medien sowie unter Politikinteressierten werden zwei Fragen heiß diskutiert: erstens, ob es die Demokraten in November mit John Kerry schaffen werden, das Weiße Haus zu erobern und US-Präsident George W. Bush mitsamt seiner republikanischen Neoimperialistenriege zu verdrängen, und zweitens, ob dies die vom Ausland ersehnte Abkehr von der überaggressiven Außenpolitik Washingtons herbeiführen wird. Unabhängig davon, daß das Rennen um die US-Präsidentschaft bis zum Abend des 2. November allenfalls für Sportsfreunde und Wettenthusiasten Spannung bieten wird, dürfte klar sein, daß unter einem Präsidenten Kerry mit keinem Ende des neuen amerikanischen Unilateralismus zu rechnen ist. Bereits vor seiner offiziellen Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten hat der Vietnamkriegsveteran und langjährige Senator aus Massachusetts versprochen, 40.000 weitere US-Soldaten in den Irak zu schicken, den sogenannten "globalen Antiterrorkrieg" noch entschiedener als Bush jun. zu führen und ein noch engerer Verbündeter Israels als der heutige US-Präsident zu werden.

Gründe für die traurige Annahme, wonach von der bevorstehenden Präsidentschaftswahl keine Kursänderung am Potomac, sondern bestenfalls eine kosmetische Korrektur zu erwarten ist, liefert Peter Dale Scott in seinem aufschlußreichen Buch "Die Drogen, das Öl und der Krieg". Der 1929 in Montreal geborene Anglistikprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley gilt seit den sechziger Jahren als führender Kritiker der militaristischen Außenpolitik der USA. Als kanadischer Diplomat, der Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre an der Überwachung der Einhaltung des Genfer- Indochina-Abkommens persönlich beteiligt war, erhielt Scott einen privilegierten Einblick in die damalige Eskalationsstrategie kriegstreibender Elemente bei der CIA und im Pentagon sowie ihrer Gesinnungsgenossen in der US-Wirtschaft. Nach Ansicht des Friedensaktivisten und Geheimdienstkritikers Scott haben die allermeisten US-Bürger und mit ihnen viele Menschen in den westlichen Industrieländern eine völlig falsche Vorstellung von der Außenpolitik Washingtons:

Das erste falsche Bild beruht auf der Vorstellung einer friedliebenden Großmacht, die sich nur widerwillig in die asiatische Verwicklungen habe hineinziehen lassen, und zwar durch eine Reihe von 'Reaktionen' auf diverse aggressive Akte sozialistischer Länder, zum Beispiel 1959 durch eine 'massive' nordvietnamesische Invasion in Laos, 1962 durch eine drohende Invasion in Thailand, 1964 durch zwei nicht provozierte Angriffe auf zwei amerikanische Zerstörer und 1970 durch eine aus Kambodscha drohende Invasion Südvietnams. Diese Episoden werden erst dann wirklich verständlich, wenn man sie im Rahmen eines Prozesses oder Syndroms betrachtet, in denen Geheimdienste und deren Verbündete wiederholt dazu benutzt wurden, die Voraussetzungen für eine Eskalation zu schaffen.
Ein zweites falsches Bild der amerikanischen Eskalation fand sich selbst unter Anhängern der amerikanischen Friedensbewegung. Danach resultierte das amerikanische Engagement eher zufällig aus einer Reihe von 'Fehlern' oder 'Irrtümern', die ihrerseits einer chronischen Naivität oder einem antikommunistischen Verfolgungswahn, Fehlern in den Kommunikations-, Befehls- und Kontrollprozessen oder auch der Schwerfälligkeit von Mammutbehörden und deren Probleme bei der Informationsverarbeitung zugeschrieben wurden. Jeder Eskalationsschritt wurde nun auf Mängel der eigenen Aufklärung zurückgeführt und ironischerweise zum Anlaß genommen, für eine Optimierung der Geheimdienste zu plädieren, damit solche 'Fehler' nicht noch einmal vorkamen.
Doch waren es gerade die Aktivitäten von Geheimdienstleuten (darunter auch solchen, die für verdeckte Aktionen oder 'Spezialoperationen' verantwortlich waren), die die vermeintlichen Fehldeutungen in Washington verursachten. Ganz offenbar fabrizierte der Apparat, der eigentlich objektive Informationen liefern sollte, statt dessen falsche Vorwände für eine amerikanische Aggression. Führende Geheimdienstvertreter waren die Hauptverantwortlichen für die Verstärkung des amerikanischen Engagements. (S. 147-148)

Obiges Zitat beschreibt jenes "Kausalmuster", das laut Scott sämtliche militärischen Interventionen der USA seit dem Zweiten Weltkrieg auszeichnet, und entlarvt zugleich den vor kurzem erschienenen Untersuchungsbericht des US-Kongresses zu den "Geheimdienstfehlern" im Vorfeld des letztjährigen Irakkriegs wie auch den ebenfalls vor kurzem vorgelegten Abschlußbericht der 911- Kommission zu den Hintergründen der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 als Humbug und Heuchelei. Zwar mögen die im vorliegenden Buch behandelten Episoden, etwa die offenen und verdeckten Kriege Washingtons in Indochina, zum Teil über ein halbes Jahrhundert zurückliegen, doch die nüchterne Art und Weise, wie Scott die "Tiefenpolitik" Washingtons darlegt, zeugt von einer seltenen Frische, die dem Leser reichlich Stoff zum Nachdenken bietet.

Scott zeigt anhand vieler konkreter Beispiele, wie sehr die militärischen Interventionen der USA in Afghanistan, Kolumbien und Indochina von wirtschaftlichen Interessen geprägt waren beziehungsweise sind. Am Vietnamkrieg hat sich beispielsweise das Luftfahrtunternehmen Pan Am mit Frachtflügen und Truppentransporten jahrelang eine goldene Nase verdient. Das Engagement Washingtons in Südostasien hing auch von den Begehrlichkeiten der großen US- Energieunternehmen ab, welche im Südchinesischen Meer riesige Öl- und Gasvorkommen vermuteten und diese für sich sichern wollten. Das Unternehmen Monsanto, das heute in erster Linie durch genmanipulierte Nahrungsmittel von sich reden macht und im Vietnamkrieg wichtigster Lieferant des Entlaubungsmittels Agent Orange war, fungiert seit den neunziger Jahren erneut als Hauptquelle des Pentagons für das im Rahmen des milliardenteuren "Plans Kolumbien" gegen den Kokaanbau eingesetzte Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosphat. Das angeblich sichere Monsanto-Produkt "Roundup" löst bei Mensch und Tier in den besprühten Andengegenden verheerende toxische Wirkungen aus, die ohne weiteres mit denen von Agent Orange in Vietnam zu vergleichen sind.

Allen hehren Bekundungen zu "Demokratie", "Menschenrecht" usw. zum Trotz geht es im Rahmen von Amerikas "unkonventioneller Kriegsführung" - so der Euphemismus der einstigen CIA-Legende Edward Lansdale - ganz schön dreckig zu. Im Vertrauen auf die altbewährte Taktik des "plausiblen Dementis" arbeiten die USA seit Jahrzehnten rund um die Welt mit korrupten Politikern, Militärdiktatoren, Folterknechten und "Terroristen" aufs engste zusammen. Dazu schreibt Scott:

Langjährige Beobachter der CIA oder des Pentagons sind von solchen Gesetzesvorstößen keineswegs überrascht. Es gehört zur 'Kultur' dieser Institutionen, nur unwillig auf äußere Einschränkungen einzugehen, und es gehört zur Kultur eines Teils der amerikanischen Öffentlichkeit, auf jedes aufgedeckte Fehlverhalten stets wieder überrascht und schockiert zu reagieren. (S. 34)

Die Gefolterten von Abu Ghraib lassen grüßen.

Vor allem sind es die brisanten Enthüllungen Scotts über die dunkle Seite von Washingtons "Antidrogenkrieg", den er als "orwellsche Absurdität" entlarvt, welche dem Leser ein besseres Verständnis des noch gigantischeren Betrugs "Antiterrorkrieg" ermöglichen. Ähnlich wie Alfred W. McCoy mit dem ebenfalls bei Zweitausendeins erschienenen Buch "Die CIA und das Heroin" stellt Scott unter Verweis auf die von John Kerry maßgeblich bewerkstelligte Vertuschung des BCCI-Skandals fest, "wie sehr die amerikanische Wirtschaft auf den Rückfluß von Petrodollars und Drogengeldern angewiesen ist" (S. 67). Letztere betragen nach Angaben der Vereinten Nationen rund 400 Milliarden Dollar im Jahr. An den unglaublichen Vorgängen, die im BCCI-Skandal öffentlich wurden, waren bekanntlich all diejenigen Kräfte - die alten Iran-Contra-Haudegen der Reagan-Bush-Ära, Drogenkuriere der CIA, der israelische Mossad, saudische Milliardäre, afghanische Mudschaheddin und pakistanische Geheimdienstler - beteiligt, welche nach Meinung unabhängiger Experten in irgendeiner Weise in die Flugzeuganschläge auf das World Trade Center und das Pentagon verwickelt gewesen sind.

Die absolute Aktualität von Scotts höchst empfehlenswertem Buch "Die Drogen, das Öl und der Krieg" belegen Äußerungen, welche in den letzten Wochen die ehemalige FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds gemacht hat. Die 33jährige Türkisch-Amerikanerin versucht seit zwei Jahren, Mißstände beim FBI im Vorfeld der Flugzeuganschläge publik zu machen, und wird dabei von Scotts engem Freund Daniel Ellsberg, der selbst Ende der sechziger Jahre dem US-Kongreß und der New York Times die "Pentagon-Papiere" zukommen ließ, unterstützt. Obwohl Edmonds durch Bushs Justizminister John Ashcroft ein Maulkorb auferlegt wurde, hat sie bei verschiedenen Interviews gewisse, explosive Andeutungen gemacht.

Im Londoner Guardian vom 22. Juli hat Michael Meacher, der ehemalige Umweltminister Tony Blairs, anläßlich der Veröffentlichung des Abschlußberichts der 911-Kommission einen eigenen kritischen Artikel über die Hintergründe der Flugzeuganschläge von New York und Arlington veröffentlicht und Sibel Edmonds dabei mit folgenden Worten zitiert:

Bei meinen Übersetzungen der abgefangenen 911- Telefongespräche ging es um [terroristische] Geldwäsche, detaillierte und datumsspezifische Informationen ... Würde man ernsthafte Ermittlungen durchführen, würden wir in diesem Land [den USA] strafrechtliche Ermittlungen gegen mehrere hochrangige Personen erleben ... und glauben Sie mir, sie werden alles tun, um diese Geschichte unter den Teppich zu kehren.

Um besser zu verstehen, was Edmonds hier anklingen läßt, jedoch nicht aussprechen darf, kann man am besten selbst die Ausführungen Peter Dale Scotts über die Doppelbödigkeit der Antidrogen- und Antiterrorkriege der USA lesen.

26. Juli 2004


Peter Dale Scott
Die Drogen, das Öl und der Krieg
Zur Tiefenpolitik der USA
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Originaltitel: "Drugs, Oil and War -
The United States in Afghanistan, Colombia und Indochina"
Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2004
384 Seiten
ISBN 3-86150-633-5