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REZENSION/233: Oliver Schröm - Im Schatten des Schakals (Terrorismus) (SB)


Oliver Schröm


Im Schatten des Schakals

Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus



Nach den schrecklichen Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in New York und Arlington stellte US-Präsident George W. Bush der Welt ein Ultimatum. Jeder müsse sich entscheiden, ob er für die USA oder "für die Terroristen" sei, so Bush. Seitdem steht das internationale Geschehen ganz im Zeichen des damals vom Weißen Haus ausgerufenen "globalen Antiterrorkriegs". Diese politische Realität erklärt, warum letztes Jahr einflußreiche Medienvertreter hierzulande - allen voran die Redaktionen des Nachrichtenmagazins Spiegel, der Wochenzeitung Zeit und des Westdeutschen Rundfunks - extrem allergisch auf den unerwarteten Erfolg von Autoren wie Matthias Bröckers, Andreas von Bülow und Gerhard Wisnewski reagiert haben.

Die Letztgenannten hatten es mit ihren Büchern gewagt, die Ungereimtheiten und Widersprüche der offiziellen Version vom "Tag, der die Welt veränderte" nachzuzeichnen und die heikle wie auch naheliegende Frage aufzuwerfen, ob die 19 mutmaßlichen, von Mohammed Atta angeführten Flugzeugattentäter tatsächlich den größten und bestausgestatteten Sicherheitsapparat der Welt so leicht haben ausmanövrieren können und ob es nicht eine viel bedrohlichere Erklärung für das von Pleiten, Pech und Pannen gekennzeichnete Verhalten von FBI und CIA im Vorfeld des 11. Septembers geben könnte. Schließlich waren sich sämtliche Sicherheitsexperten, die sich wie der ehemalige Geheimdienstkoordinator im deutschen Kanzleramt, Bernd Schmidbauer, in den ersten Stunden und Tagen nach den Flugzeuganschlägen im Rundfunk oder in der Presse äußerten, darin einig, daß eine so umfangreiche, alles bis dahin in den Schatten stellende Operation wie der 11. September ohne die fachliche und logistische Unterstützung seitens staatlicher Akteure - d. h. seitens des einen oder anderen Geheimdienstes - unmöglich durchzuführen gewesen wäre.

Bis heute warten wir also vergeblich auf die offizielle Bekanntgabe derjenigen staatlichen Entscheidungsträger, für die Atta und Konsorten lediglich nützliche Idioten waren. Lange Zeit versuchte die Bush-Regierung der Welt weiszumachen, die Regierung Saddam Husseins sei es, die das Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens bei seinem teuflischen Treiben unterstützt habe. Mit dieser These hat Washington den letztjährigen Einmarsch in den Irak und den mit Waffengewalt durchgeführten "Regimewechsel" in Bagdad begründet. Inzwischen sind es einzig diejenigen US-Bürger, die sich hauptsächlich von Rupert Murdochs Nachrichtensender Fox News (des)informieren lassen, die den Quatsch vom "finsteren Nexus" Bagdad-Al Kaida glauben.

In Deutschland hat sich der preisgekrönte Zeit-Journalist Oliver Schröm, der letztes Jahr zusammen mit Dirk Laabs das Buch "Tödliche Fehler - Das Versagen von Politik und Geheimdiensten im Umfeld des 11. September" herausbrachte, zum vielleicht wichtigsten Vertreter der offiziellen Version der Flugzeuganschläge entwickelt. Während die Mainstream-Presse nur lobende Worte für "Tödliche Fehler" fand, schien dem Schattenblick das Buch, nicht viel mehr als eine zwar detaillierte und bemühte, dennoch leider viel zu konventionelle und vorsichtige Analyse der Flugzeuganschläge und ihrer Hintergründe zu sein. Beim neuen Buch Schröms "Im Schatten des Schakals - Carlos und die internationalen Wegbereiter des Terrorismus" verhält es sich ähnlich.

Wie man anhand des Titels leider feststellen muß, hat Schröm offensichtlich das Axiom vom sogenannten "internationalen Terrorismus" als existentielle Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Westens und mit ihr des - real nicht existierenden - Weltfriedens verinnerlicht. Dabei sagen alle Militärexperten auf der ganzen Welt - natürlich außer denjenigen, welche dem manichäischen Weltbild der US-Neokonservativen verfallen sind -, daß es sich beim Terrorismus um nichts anders als eine besonders perfide, militärische Taktik handelt. Durch die Verwendung der ideologisch besetzten Formulierung vom "internationalen Terrorismus" kündigt sich eine bestimmte Sichtweise an, die das ganze vorliegende Buch durchzieht. Die Mitglieder von Geheimdienst, Militär, Polizei und Regierung in westlichen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel und den USA sind demnach immer die Guten. Auch wenn die Israelis mit sogenanntem "Gegenterror" "reagieren" - das heißt, ihrerseits Bombenanschläge oder Attentate auf Vertreter militanter, palästinensischer Gruppierungen durchführen - sind sie immer noch gut, ist ihr Handeln gerechtfertigt.

Bei den vermeintlichen Bösen sieht es - per definitionem - anders aus. Ihre Motive gelten stets als von niederer Art - vielleicht deshalb, weil sie die bestehende "Ordnung", sei es im Westen oder im Nahen Osten, nicht akzeptieren. Also gehören zu denjenigen, von denen laut Schröm in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren der "internationale Terrorismus" ausging, palästinensische Widerstandsgruppen wie die PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine = Volksfront für die Befreiung Palästinas), die Geheimdienste des Iraks, Libyens und Syriens sowie ihre Handlanger, der "Schakal", der Venezolaner Ilych Ramírez Sanchez alias "Carlos", und dessen Helfershelfer bei den linksgerichteten Revolutionären Zellen (RZ) in Deutschland.

Mit seiner engen und einseitigen Betrachtungsweise des "Terrorismus", die sich nicht wesentlich von dem atavistischen Schwarzweißdenken eines George W. Bush unterscheidet, wird Schröm diesem Thema überhaupt nicht gerecht. Vergeblich sucht man im vorliegenden Buch nach Hinweisen auf die nachgewiesenermaßen jahrelange Kooperation zwischen dem US-Militär und den islamischen Dschihadisten aus dem Dunstkreis Bin Ladens in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Tatsache ist, daß Chalid Al Midhar und Nawaz Al Hasmi, zwei der mutmaßlichen Kamikazepiloten vom 11. September 2001, wie auch Chalid Scheich Mohammed, der angebliche Chefplaner der Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon, in den neunziger Jahren in Bosnien- Herzegowina auf Seiten der dortigen Moslems gekämpft haben. Viele der peinlichen Details über die aufgrund des UN-Waffenembargos illegale Zusammenarbeit zwischen den USA, dem Iran und Saudi-Arabien bei der Unterstützung der islamischen Mudschaheddin im Kampf gegen die bosnischen Serben und das sozialistische Jugoslawien sind in dem auf den 16. Januar 1997 datierten Bericht der republikanischen Fraktion im US-Kongreß mit Namen "Clinton-Approved Iranian Arms Transfers Help Turn Bosnia into Militant Islamic Base" festgehalten worden.

Ebenso wenig findet man bei Schröm einen Hinweis auf den Attentatsversuch von 1996 auf den libyschen Staatschef Muammar Gaddhafi. Bekanntlich soll der britische Auslandsgeheimdienst MI6 für 100.000 Pfund eine "Zelle" der Al Kaida in Libyen für diesen Anschlag, der mehreren Angreifern, Gaddhafi-Bodyguards und unschuldigen Zivilisten das Leben kosten sollte, angeheuert haben. Dieser mißglückte "Terroranschlag", der im Mittelpunkt der langjährigen Affäre um den MI5-Renegaten David Shayler stand, wurde im Enthüllungsbuch "Die verbotene Wahrheit - Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden" von Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié (Pendo Verlag, Zürich 2002) ausführlich behandelt.

Man kann daher davon ausgehen, daß beispielsweise die vielen Anschläge, welche Ijad Allawi, der heutige Interimspremierminister in Bagdad, und dessen Iraqi National Accord (INA) mit der Unterstützung der CIA in den neunziger Jahren im Irak zwecks Destabilisierung des "Regimes" Saddam Husseins durchgeführt haben, für Schröm auch nicht den Tatbestand des "internationalen Terrorismus" erfüllen würden. Bei einem jener Anschläge, über die am 9. Juni 2004 in der New York Times Joel Brinkley unter der Überschrift "Ex-C.I.A. Aides Say Iraq Leader Helped Agency in 90's Attacks" berichtete, soll Allawis INA einen Schulbus in die Luft gejagt und viele unschuldige Kinder getötet haben.

Bei der sechsjährigen Recherche zum vorliegenden Buch hat Schröm nach Angaben seines Verlages im Umfeld der Gruppe RZ recherchiert, Unterstützer und frühere Mitglieder, darunter Magdalena Kopp, die deutsche Ehefrau und frühere Mitstreiterin von Carlos, zum Reden gebracht, Zugang zu geheimen Unterlagen gefunden und mit Fahndern und Mitarbeitern vom Geheimdienst gesprochen. Im Klappentext heißt es hierzu, dadurch wäre es Schröm gelungen, "die inneren Mechanismen derartiger Netzwerke offenzulegen und Verbindungen bis zu heutigen Terror-Organisationen wie der Al-Qaida aufzuzeigen". Leider muß man feststellen, daß dieses Versprechen dann von dem Buch überhaupt nicht eingelöst wird.

Die hier erwähnten "inneren Mechanismen" sind genau dieselben, mit denen sich die Menschen seit eh und je das Leben gegenseitig schwer machen: Druck, Neid, Mißgunst, Erpressung usw. Die Dreiecksbeziehung zwischen Kopp, ihrem früheren Geliebten Johannes Weinrich und ihrem späteren Mann Carlos nimmt derartig viel Raum ein, daß man sich unweigerlich an das Grundmuster zahlreicher Abenteuerromane von Wilbur Smith - vor dem Hintergrund geschichtlich dramatischer Ereignisse buhlen zwei starke Männer/Freunde/Streitgefährten um die Gunst einer ebenso starken und schönen Frau - erinnert fühlt. Vielleicht deshalb werden auch die früheren Arbeiten Schröms als "Sachbuchthriller" bezeichnet.

Nun, jedenfalls erzählt Schröm flott die Geschichte, wie in den siebziger und achtziger Jahren der Lebemann und notorische Schürzenjäger Carlos "der Schakal" zunächst im Auftrag der PFLP, danach angeblich der libyschen und syrischen Geheimdienste und später auf eigene Rechnung eine blutige Spur in Europa und im Nahen Osten legte. Zu den wichtigsten Meilensteinen der "Karriere" von Carlos als gefürchtetster "Terrorist" seiner Zeit gehören der Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975, die Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe und die anschließende, spektakuläre Befreiungsaktion des israelischen Militärs 1976 sowie die schweren Bombenanschläge auf den Sender Radio Freies Europa 1981 in München und auf das Maison de France in Berlin 1983.

Beim Durchlesen dieses Buchs drängt sich einem eine Frage auf, deren Antwort Schröm schuldig bleibt, nämlich wie Carlos und Weinrich ihr mörderisches Tun überhaupt solange fortsetzen konnten. Führt man sich deren buntes Treiben zum Beispiel in den achtziger Jahren in den Ländern des Ostblocks, speziell in Ostberlin und Budapest, wo sie zum Teil für erhebliche Verärgerung sorgten und sich auch gegenüber den Mitgliedern der dortigen Geheimdienste gewalttätig verhielten, vor Augen, fragt man sich, warum die entsprechenden Stellen die beiden "Abenteurer" nicht durch einen fingierten Autounfall einfach kaltgemacht haben. Daß die Ostdienste Angst vor Carlos hatten, ist wenig wahrscheinlich. Das Ministerium für Staatssicherheit in Berlin beurteilte das Verhalten von Weinrich und dem möchtegern "Revolutionär" leninistischer Schule, Carlos, als "fahrlässig" und "unprofessionell".

Es scheint festzustehen, daß viele Geheimdienste Carlos aus Respekt vor dessen Auftraggeber gewähren ließen. Da stellt sich die Frage, wer diese Auftraggeber waren. Nun, laut Schröms Angaben stand Carlos mit rund 20 verschiedenen Geheimdiensten in Kontakt und hat sich allein dadurch einen gewissen Freiraum verschafft. Lange Zeit lebten Carlos, Kopp und Weinrich in Syrien, also müssen sie von einigen Kräften in Damaskus Unterstützung erfahren haben. Bezeichnend ist jedenfalls die Tatsache, daß Carlos und Kopp, nachdem sie 1991 aus Syrien ausgewiesen wurden, in Libyen nicht aus dem Flugzeug aussteigen durften und schließlich am Flughafen von Sanaa, der Hauptstadt des Jemens, strandeten, plötzlich von der Regierung Jordaniens Asyl erhielten. Angesichts der extrem engen Beziehungen zwischen Amman und Washington deutet dieser wundersame Vorfall auf eine mögliche Verbindung CIA-Carlos hin. Leider geht Schröm dieser Spur nicht nach, obwohl sie auch in einigen der Bücher behandelt wird, die von ihm in seiner Bibliographie - David Yallops "Die Verschwörung der Lügner. Die Jagd nach dem Topterroristen Carlos" von 1994 und Victor Ostrovskys "Der Mossad. Ein Ex-Agent enthüllt Aktionen und Methoden des israelischen Geheimdienstes" - aufgeführt werden. Yallop beispielsweise zitierte Abu Ijad, den 1991 von der Abu- Nidal-Gruppe liquidierten PLO-Sicherheitschef: "Die CIA betrachtete Carlos als Mitarbeiter." Weitere Bestätigung für diese These lieferten am 22. August 1994 Jack Anderson und Michael Binstein mit dem Washington-Post-Artikel "How the CIA spared Carlos the Jackal".

Das mangelnde Interesse Schröms an etwaigen Verbindungen von Carlos zum US-Geheimdienst ist möglicherweise auch für die schwerste Auslassung dieses Buchs, nämlich das Fehlen der Namen von Frank Terpil und Ed Wilson, verantwortlich. 1980 wurden die beiden Ex-CIA- Agenten angeklagt, sieben Ausbilder der US-Spezialstreitkräfte nach Libyen geholt - um dort "Terroristen" ausbilden zu lassen - und Tripolis mit größeren Mengen Plastiksprengstoff und Zeitzündern beliefert zu haben. In der damaligen Berichterstattung der linken US- Politzeitschrift The Nation über den brisanten Prozeß gegen Wilson und Terpil hieß es, letzterer habe im Auftrag der CIA Carlos persönlich ausgebildet. 1983 wurde Wilson, der stets beteuerte, im Auftrag und mit Einverständnis der CIA gehandelt zu haben, wegen des illegalen Exports von zwanzig Tonnen des Plastiksprengstoffs C4 - vergleichbar einer ganzen Jahresproduktion der USA an diesem gefährlichen Sprengstoff - und von 50.000 elektronischen Zeitzündern an Libyen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Terpil konnte durch seine Absetzung in den Libanon und später nach Kuba einem ähnlichen Schicksal entgehen.

Doch im letzten Oktober hat die Richterin Lynn N. Hughes vom Bundesgericht in Houston den Schuldspruch gegen Wilson aufgehoben. In der 24seitigen Begründung ihres Entscheids stellte Richterin Hughes fest, die CIA habe das Gericht 1983 belogen. Des weiteren kam sie zu dem Schluß, daß die Staatsanwaltschaft nicht nur gefälschtes Beweismaterial vorgelegt, sondern auch Informationen, welche Wilson entlastet hätten, dem Gericht und somit auch der Verteidigung vorenthalten hatte. In ihrer Urteilsbegründung befand Bundesrichterin Hughes, daß die Staatsanwaltschaft beim ersten Prozeß gewußt hatte, daß Wilson nach seinem offiziellen Ausscheiden 1971 aus dem Dienst der "Firma" weiterhin enge persönliche und berufliche Verbindungen vor allem zu Theodore "Ted" Shackley, dem legendären, damals für verdeckte Operationen zuständigen Stellvertretenden CIA-Direktor, unterhielt.

Die anderslautende Erklärung aus Langley nannte Richterin Hughes unumwunden eine "unehrliche Mitteilung aus dem CIA-Bunker". Die Staatsanwaltschaft, stellte sie fest, habe 1983 "das Gericht absichtlich getäuscht". Hätten die Geschworenen damals die Wahrheit über die Kontakte Wilsons zur CIA-Spitze gekannt, wäre es gut möglich gewesen, daß sie ihn freigesprochen hätten. Den Umgang der CIA und der Staatsanwaltschaft mit Wilson bezeichnete Hughes als ein "Doppelspiel mit einem informellen Teilzeit-Regierungsagenten". In Ted Shackleys eigenem Buch "The Third Option" [1] wird nahegelegt, daß in einem Guerillakrieg oder einer Auseinandersetzung mit oder zwischen "Terroristen" häufig die Bewaffnung beider Seiten der beste Weg ist, um Verlauf und Ausgang zu kontrollieren, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und daraus Profit zu schlagen. Schade nur, daß dieser Aspekt des "internationalen Terrorismus" im Oliver Schröms Buch über Carlos viel zu kurz kommt.

- 30. November 2004

Fußnote:

[1] Theodore Shackley, The Third Option: An Expert's Provocative Report on an American View of Counterinsurgency Operations, New York, Dell Publishing, 1981.


Oliver Schröm
Im Schatten des Schakals
Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus
Aufbau Taschenbuch, Verlag Berlin 2004
400 Seiten, Euro 9,50
ISBN 3-7466-8119-7